Heft 4/2002


Fernost

Editorial


Der asiatische Raum gilt für die Kartografien der Gegenwartskunst immer noch als kaum erschlossenes Terrain. Trotz einzelner Versuche in den letzten Jahren - sei es in Einzelausstellungen oder in Form ganzer Länderpräsentationen - sind die vielfältigen Produktionen des fernen Ostens im westlichen Kunstbetrieb immer noch merkwürdig unterrepräsentiert. Darüber hinaus bleiben die Vermittlungszusammenhänge, sobald der Blick von West nach Ost schweift, oft genug von »Exotisierung« und »Orientalisierung« geprägt.

Um die Zwangsläufigkeit solcher »Orientalismen« in Bezug auf den asiatischen Raum in Frage zu stellen, befasst sich das Dezember-Heft von springerin auf dialogischer Basis mit »Fernost«. AutorInnen aus Taiwan (Kuan-Hsing Chen), Indien (Nancy Adajania) oder Kasachstan (Julia Sorokina) wurden eingeladen, über spezifische Problematiken der lokalen kulturellen Szenen zu reflektieren. Dass dabei immer wieder die imperialistische Kultur des - US-dominierten - Okzidents zur Sprache kommt, ist ebenso signifikant wie der Versuch, dezidierte Gegenprogramme zu neo-imperialen »Einverleibungen« zu formulieren (vgl. den Beitrag der chinesisch-amerikanisch Autorin Rey Chow). Abseits der spezifisch inner-asiatischen Probleme einer nachhaltigen »Ent-Kolonialisierung« (Chen) hat sich in den letzten Jahren aber auch eine Reihe selbstbewusster und kontextkritischer künstlerischer Ansätze entwickelt - dies belegen die in diesem Heft enthaltenen Features über die gerade erstarkenden Szenen in Myanmar (Keiko Sei) oder Südkorea (Gregor Jansen).

Dass eine erste, größer angelegte Beschäftigung mit »Fernost« zwangsläufig ausschnitthaft und fragmentarisch bleiben muss, versteht sich angesichts der Weite und Komplexität asiatischer Territorien beinahe von selbst. »Fernost« unternimmt dennoch, wie zahlreiche Hefte der springerin der Vergangenheit auch, den Versuch, neu sich entwickelnde »artscapes« zwischen Diaspora und lokalen Machtfeldern zu verorten. Nicht nur sollen die immer noch dominanten west-östlichen intellektuellen Projektionen damit besser in den Blick kommen, sondern auch »Orientalismus-kritische« Gegenprojekte gestärkt werden.