Heft 4/2002 - Lektüre
Wie wird Antirassismus heute gedacht? Können wir antirassistische Kämpfe überhaupt beschreiben, ohne sie sofort und ausschließlich als temporäre oder lokale Reaktionen auf die vielen Formen von Rassismus in westeuropäischen Gesellschaften zu verstehen? Wie lässt sich ein politischer Antirassismus denken und praktizieren, der nicht nur zum Ziel hat, rassistischer Gewalt punktuell entgegenzutreten oder die Wirkungsweisen unterschiedlicher Rassismen zu erklären, sondern der grundlegende Veränderungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen erreichen will? Entlang dieser Fragestellungen unternimmt die Anthologie »Landschaften der Tat« den zweifellos gelungenen Versuch, antirassistische Kämpfe, Forderungen und Erfolge in ihren spezifischen historischen Zusammenhängen zu zeigen und so eine kontinuierliche und andauernde Geschichte des politischen Antirassismus erst einmal sichtbar zu machen. Denn diese Geschichte wurde und wird immer wieder ausgelöscht und unsichtbar gemacht, was bei der Lektüre des Buches nicht zuletzt an der eigenen (Un-)Kenntnis derselben deutlich wird. Neben einer präzisen historischen Kontextualisierung und Positionsbestimmung der antirassistischen Bewegungen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Italien und Großbritannien liefern die AutorInnen auch Analysen und Vorschläge dafür, was die Geschichte dieser Bewegungen gegenwärtig bedeutet oder bedeuten könnte, welches Wissen aus ihr resultiert und wie es nutzbar gemacht werden kann für die antirassistischen und feministischen Kämpfe um die Utopie einer egalitären Gesellschaftsform. Benannt und beschrieben werden im Buch vor allem die Kämpfe aus dem Umfeld der politischen Selbstorganisation von MigrantInnen, die oder deren Eltern in westeuropäische Staaten eingewandert sind. Die AutorInnen thematisieren dabei unterschiedliche Praxen, Strategien und Diskussionen in der antirassistischen Politik.
Einige Debatten wie etwa jene um die Möglichkeiten und Probleme von Identität und Identitätspolitiken haben im Buch immer wieder großen Stellenwert. Ein weiterer Topos, der sich durch fast alle Beiträge zieht, ist die Analyse unterschiedlicher Formen der Diskriminierung in ihrer Verknüpfung. Antirassistisches, antifaschistisches und feministisches Wissen wird historisch kontextualisiert, aufeinander bezogen und schließlich in Strategien und Handlungsoptionen übersetzt.
Die einzige Fragestellung, die im Buch mehr Raum einnehmen könnte, ist jene nach der strategischen Rolle von Öffentlichkeit und Bildpolitiken in den unterschiedlichen antirassistischen Kämpfen. Der Text von Ari Joskowicz, der die Gedenkdiskurse der jüdischen Gemeinde in Wien als Strategien politischer Selbstermächtigung liest, oder auch der Text von Rubia Salgado und Luzenir Caixeta, die Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit als ein Fundament der Arbeit der feministischen Migrantinnenorganisation MAIZ beschreiben, deuten dieses Thema jedoch an und wecken so erst das Interesse oder den Wunsch nach umfassenderer Auseinandersetzung. Ein Wunsch vielleicht, dessen Erfüllung sich die Mehrheits-LeserInnen selbst erarbeiten sollen.