Heft 4/2002 - Lektüre
Während die Verstrickungen von Visualität, sozialer Positionierung und Geschlecht seit den siebziger Jahren mit der Thematisierung moderner Sehmaschinen, Repräsentationsapparate und Subjektivierungsprozesse verstärkt im Visier feministischer Dekonstruktionsverfahren stehen, stellt das Verhältnis zwischen Raum, Architektur und Geschlecht ein nach wie vor unterbelichtetes Theoriefeld dar. In den von GeografInnen und UrbanistInnen vorgelegten Analysen zur als postmodern kategorisierten Verschiebung vom paradigmatischen Ordnungsprinzip Zeit zu jenem des Raumes schrumpfen Theorien zur geschlechtlichen Raumstrukturierung vielfach zum marginalen Fußnotenverweis; im deutschsprachigen Kontext illustrieren Sammelbände zu den Themen Stadt, Metropole oder Raum die nur begrenzt in Frage gestellte Hegemonie eines »einäugigen Meisterblickes«, der sich zwar im Bezugsfeld radikaldemokratischer Traditionen positioniert, in der konkreten Politik der Diskursproduktion jedoch einen männerbündlerischen Konnex und damit eine eingeschränkte Perspektive reproduziert.1
»räumen«, die Veröffentlichung einer Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, konfrontiert das Manko an feministischen Raumtheorien mit der Komplexität kontemporärer Visualisierungstheorien - und fächert eine transdisziplinäre Bandbreite an feministischen Ansätzen auf, die auf die Herausarbeitung der Wirkungsweisen, Verfahren und Effekte des polyglotten Ineinandergreifens visueller, räumlicher und geschlechtlicher Indexe ausgerichtet sind. Ausgehend von den diskursanalytisch abgeleiteten Prämissen kontinuierlicher Denaturalisierung, Dezentrierung und Repositionierung vermeiden die Beträge des Sammelbandes großteils ein naives Verständnis der Kategorien Raum, Visualität und Geschlecht als abgeschlossene, fixierte Einheiten und interessieren sich für die in den Objekten - Bildern, Räumen, Architektur, urbanem Stadtgefüge, etc. - sichtbar werdenden diskursiven Zonen und Dispositiven. Der Titel »räumen«, so postuliert Irene Nierhaus in ihrem vorangestelltem Prolog, indiziert eine auf Handlung ausgerichtete Zielorientierung; mentaler Raum und soziale Realität sind, so betont sie mit Verweis auf Victor Burgin, in der Realität untrennbar miteinander verbunden.
»räumen« setzt sich aus drei Teilen zusammen, die die Themen medienübergreifend gruppieren und dabei einem teilweise arbiträren Ordnungsprinzip folgen: In »Blick/Raum/Bild« analysieren die Autorinnen die variable Konstituierung von Bildräumen. Hier beschäftigt sich beispielsweise Eva Warth mit der Konstruktion von Raum und Geschlecht im Film der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus und interpretiert die Inszenierungen der Resignifizierung von Stadt auf der Folie destabilisierter Geschlechterrollen. In »Hegemonie/Intervention« setzen sich die Beiträge mit sozialen Funktionalisierungsprozessen von Vorstellungswelten auseinander; Susanne Lummerding etwa analysiert die Inanspruchnahme gesellschaftlicher Fantasmen im Kontext virtueller Räume für die Herstellung der ersehnten, jedoch inhärent utopischen Kohärenz von Identität und Bedeutung. Im Zentrum des dritten Teils, »Betrachter/Raum«, steht das Beziehungsgeflecht zwischen Autorenschaft, »Spectatorship« und Raumbildern; Ruth Noack bearbeitet dabei das Spannungsfeld Raum - Projektion - Subjektivität am Beispiel der »Kinematografisierung« von Ausstellungen.
Während der Haupttitel auf poetische Weise Inhalt, Impuls und Intention des Projekts auf den Punkt bringt - umräumen, abräumen, wegräumen, etc. -, legt die Wortakkumulation im Untertitel die Metapher einer Rumpelkammer nahe, in der verschiedenste diskursive Residuen gelagert und nun »aufgeräumt« werden. Die divergente über- und transdisziplinäre Verschränkung von Analysen zur Visualisierung, Verräumlichung und Vergeschlechtlichung bezieht sich im Allgemeinen auf Fragen nach dem dialektischen Verhältnis zwischen der textuellen und visuellen Repräsentation von Räumen bzw. die Semiotik repräsentativer Räume. Dieser Fokus führt tendenziell zur Vernachlässigung der dritten Ebene von Henri Lefebvres konzeptueller Triade der Raumproduktion: der räumlichen Praxis. Neomarxistisch orientierte Diskurstraditionen definieren Raum nicht als Text oder Serie semiotischer Kodierungen, sondern als Artikulation spätkapitalistischer Produktions- und Konsumprozesse sowie konkreter, alltagspraktischer Aneignungstaktiken, in denen die Mikrophysik der Machtverhältnisse auf lokaler Ebene ausgehandelt und materialisiert wird. Dieses Terrain bietet noch reichhaltiges Potenzial für zukünftige feministische Räumungsverfahren.
1 Vgl. etwa die Suhrkamp-Veröffentlichungen »Mythos Metropole« (1995), »Die Krise der Städte« (1998), »Perspektiven metropolitaner Kultur« (2000), aber auch »Metropole Wien - Texturen der Moderne« (Wien: WUV 2000)