Die Rebellion an der Columbia University 1968 nahm ihren Anfang, als Studenten eine rassistische Barriere, einen Zaun, der die ehrwürdige New Yorker Universität von dem »schwarzen« Stadtteil Harlem abschotten sollte, niederrissen. Einige von ihnen wurden daraufhin verhaftet. Aus Empörung darüber kam es zu längerfristigen Besetzungen und heftigen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht. Warum Philipp Lachenmann einen Film über diese Revolte, der im Internet von Newsreel angeboten wird, an den Beginn seiner Ausstellung »Preview« in der Galerie Andreas Binder stellte, hängt eng mit seinem Interesse an der Neugestaltung überholter Strukturen, am Entstehen und Verschwinden von Ordnungen zusammen.
Die Veränderungen von Strukturen sowohl auf semiotischer, naturwissenschaftlicher als auch politischer Ebene bilden den Strang, der die einzelnen filmischen und fotografischen Elemente der Installation inhaltlich verbindet. Dazu gehörten auch die zwei auf Flachbildmonitoren gezeigten Interviews, die beide von Kodierung - aber auf ganz unterschiedliche Weise - handeln.
Mit einer Videokamera zeichnete Lachenmann Gespräche auf, die er im letzten Jahr in den USA mit zwei Personen führte. Einer davon, Dr. Steen Rasmussen, ist Leiter eines staatlichen Forschungsinstituts für Biological Engineering in Los Alamos. Er erzählt, dass die Erforschung der Kodierung von Lebewesen bereits so weit fortgeschritten ist, dass die Herstellung künstlichen Lebens durchaus möglich scheint. Während Rasmussen, eine Art moderner Frankenstein, die Wissenschaftsentwicklung der westlichen Welt repräsentiert, vermitteln die Aussagen von James Peshlakai über Lebenskräfte und Energien ein ganz anderes, an Mythen orientiertes Denken.
Peshlakai ist Medizinmann und kultureller Führer der Navajos, einer ethnischen Gruppe, die eine besondere Rolle im »Info War« des Zweiten Weltkriegs spielte. Der Stamm besitzt keine Schriftsprache, kein Wörterbuch. Diesen Umstand machten sich die amerikanischen Militärs zu Nutze, als es darum ging, geheime Informationen zwischen entlegenen Truppenteilen auszutauschen. Sie stellten für die mündliche Kommunikation Navajos ein, da deren Sprache für japanische und deutsche Abhördienste nicht zu entziffern war.
Auch für die Besucher sind die Aussagen des interviewten Navajo nicht zu verstehen, übrigens großteils auch nicht die des Biotechnikers, der ebenfalls in seiner Muttersprache, nämlich Dänisch, spricht. Aber was sie erfassen, sind Gestik, Tonfall und Mimik.
Das Thema der Transformation von Strukturen und Codes kann sehr allgemein und banal bleiben, wird es nicht durch gut gewählte Beispiele und interessante Fakten gestützt. Und gerade die Details sind es, die die Stärke von Philipp Lachenmanns Installation ausmachen. Sie vermitteln ein persönliches Spektrum an Ideen und Bezügen. Nachdem man im ersten Raum auf einem Leuchtkastenfoto einen Blick auf die Bestuhlung eines Kinos geworfen hat, entdeckt man im zweiten eine ähnliche Situation als Beginn eines an die Wand projizierten Films (»Perfect Sculpture«, 2001).
Der Blick wandert darin langsam durch die Sitzreihen. Auf der Leinwand des Kinos erscheint plötzlich ein seltenes Filmdokument: die Aufnahmen des letzten Tasmanischen Tigers vor dem Transport in einen Zoo. Die Kamera bleibt nie still und blickt aus unterschiedlichen Winkeln auf den gezeigten Schwarzweißfilm. Der Projektion gegenüber hängt eine Aufnahme von Karl Marx' Grab, »Marx Highgate II« (2002). Auf diesem Schwarzweißabzug einer Infrarotaufnahme erscheint Lebendiges wie die Blätter der Bäume weiß. Selbst die Umgebung dieser Grabstätte hat etwas Morbides. Beide Werke, der Film und das Foto, erzählen von Verlusten, vom Verschwinden sozialer und biologischer Ordnungssysteme.
Paradoxerweise wurde die Ausstellung nach einer Arbeit benannt, die nicht in ihr zu sehen ist. Sie ist somit in gewissem Sinn ein Preview eines Previews. »Preview I. Der Herr der Ringe II: Die zwei Türme« nennt Lachenmann einen 88-minütigen Film, der am 8. Oktober seine Premiere im Werkstattkino in München erlebte. Als Reaktion auf die Verfilmung von Tolkiens »Der Herr der Ringe« entstanden, handelt diese Arbeit von Verlust an Imagination; denn mit der exakten Ausformulierung der Phantasiefiguren und -sprachen geht ein Großteil des besonderen Reizes der literarischen Vorlage verloren.
Bevor also das wirkliche Hollywoodopus »Der Herr der Ringe II« in unsere Kinos kommt, sollte man sich auch als Nicht-Tolkien-Fan mit Hilfe dieses Films der Defizite bewusst werden, die mit einem solchen Medienwechsel verbunden sind.