Heft 1/2003 - Bilder-Politik


Kunst des Handelns

Über die Interventionen der dänischen Gruppe SPACECAMPAIGN

Hito Steyerl


Hinter der Polizeiabsperrung wartet geduldig eine junge, in grellem Gelb verschleierte Frau. Der Platz vor dem dänischen Parlament ist durch Scheinwerfer taghell erleuchtet. Es ist die Nacht der dänischen Wahlen 2001. Die PolitikerInnen strömen nach und nach im Parlament zusammen. Als Pia Kjærsgaard, Vorsitzende der rechtpopulistischen Dänischen Volkspartei, die Stufen des dänischen Parlaments hinaufsteigt, fängt die junge Frau an, mit durchdringender, klarer Stimme die dänische Nationalhymne zu singen. Verunsicherte Polizisten drängen sie ab. Wie aber sollten sie ihr verbieten, die Nationalhymne zu singen? Der rätselhafte Vorfall schafft es sogar in die Abendnachrichten, wo ein Sprecher den denkwürdigen Satz verkündet: »Vor dem dänischen Parlament wurde heute Abend die Nationalhymne gesungen, als Pia Kjærsgaard das Gebäude betrat. Was aber die symbolische Bedeutung dieses Vorfalls betrifft, so kann ich darüber nichts sagen, da ich es einfach nicht weiß.«
Dokumentiert ist dieser Vorfall in einem kurzen Video (»Danish Elections«) der Kampagne »SPACECAMPAIGN«, das die Aktion in Bezug zu Wahlkampfäußerungen in TV-Sendungen setzt, in denen die Verteidigung der dänischen Identität gegen EinwandererInnen vorherrschendes Thema ist. Während der Wahlkampagne, die auch von bürgerlichen Parteien massiv mit xenophober Propaganda gegen Asyl, Einwanderung und Islam geführt wurde, hat »SPACECAMPAIGN« aber noch andere Aktionen durchgeführt. Im Mittelpunkt steht dabei Alem, eine in Gelb verschleierte junge Frau, die auf Anfrage bekannt gibt, sie sei ein Flüchtling aus Somalia. Den Bezug der Organisation zu dieser Person, ihre Identität sowie die Identität der anderen Kampagnenmitglieder werden dabei bewusst im Dunkeln gelassen – nur dass es sich bei der Verschleierung eigentlich um ein IKEA-Tischtuch handle, wird offiziell bekannt gegeben. Denn nicht ihr Grad an Authentizität oder Inszenierung steht bei den Aktionen im Vordergrund, sondern ihre Effekte im öffentlichen Raum. Und hier funktioniert die Figur Alems als eine durch den politischen Diskurs vorgestanzte Ikone der Rückständigkeit, der Sprachlosigkeit und des Analphabetismus. Mit diesen Codierungen arbeitet »SPACECAMPAIGN« – ohne sie plump zu ironisieren oder zu versuchen, sie mit Gewalt ins Gegenteil zu verkehren. Die rassistischen Codierungen werden stattdessen in Situationen »getestet«, an denen sie beginnen, ihren eigenen Rahmen zu destabilisieren.
Auf diese Weise geriet Alem auch auf das Pressefoto, das in Dänemark zum Pressefoto des Jahres 2001 nominiert wurde. Auf diesem Bild ist sie in ihrem gelben Schleier zwischen Pia Kjærsgaard und dem dänischen Politiker Mogens Glistrup, dem Vorsitzenden einer weiteren ausländerfeindlichen Partei namens »Fremskridspartiet«, in einer weiteren Wahlkampfsituation abgebildet. Das Bild komponiert eine Konstellation von Blicken. Alem sucht den Blick des Politikers, der sich aber von ihr abwendet, während Kjærsgaard stumpf an ihr vorbeistiert. Natürlich hätte kein Mensch damit gerechnet, dass ausgerechnet eine Person wie Alem bei der Preisverleihung zum »Pressefoto des Jahres« auftauchen würde. Sie platzierte sich aber direkt vor dem Foto, das sie zeigte, und löste damit beim Fotografen, der ihr Bild ausgestellt hatte, einige Verlegenheit aus. »Danish Elections« löste insgesamt ein riesiges Medienecho und sogar Debatten im Fernsehen aus.
Diese aktive Einforderung öffentlicher Präsenz ist auch Bestandteil des Namens der Gruppe: »SPACECAMPAIGN« bedeutet, dass es um eine Kampagne für öffentlichen Raum und die Partizipation daran geht – in einem politischen Umfeld, in dem, wie auch die Reaktionen zeigen, Frauen wie Alem keineswegs vorgesehen sind. Dies umso mehr, als die neue Regierung nach den Wahlen ein Ausländergesetz entwarf, das im Wesentlichen auf den Forderungen der rechten Dänischen Volkspartei beruht. Darin vorgesehen ist etwa das Mindestalter von 24 Jahren für nachziehende Ehepartner, die Abschaffung von muttersprachlichem Unterricht sowie die Einführung von Niedriglohntarifen für EinwandererInnen. Der Entwurf, in dem Entwicklungshilfe und die Rücknahme von Flüchtlingen aneinander gekoppelt werden, wurde unter dem zynischen Namen »Eine Bessere Integration« präsentiert – und veranlasste Stephen Smith vom britischen »Guardian«, sich entsetzt zu fragen, »ob das Diskriminierung oder Rassismus ist, oder ob Kopenhagen nicht schon mit dem Faschismus flirtet.«1 Die Aktionen von »SPACECAMPAIGN« sind als Thematisierungen dieser Situation zu verstehen.
Die Figur Alem kam zum ersten Mal während der Aktionen der Antiglobalisierungsbewegung beim EU-Gipfel in Göteborg 2001 zum Einsatz. Damals nahm sie an den Demonstrationen teil, bei denen sie ein Plakat in der Form einer EU-Flagge mit sich trug – auf dem allerdings innerhalb des Sternenkranzes die Einschränkung »Whites only« vermerkt war. »SPACECAMPAIGN« bezieht sich damit nicht nur auf den nationalen dänischen Kontext, sondern untersucht einen viel breiteren politischen Diskurs, der verkürzt vielleicht als dialektische Beziehung zwischen rassistischer Abschottung und ebenso rassistischem Humanitarismus bezeichnet werden könnte. Die Beziehung zwischen Humanitarismus, Entwicklungshilfe und Rassismus stand auch bei einer anderen Maßnahme in Berlin im Vordergrund. Auch in dieser, auf Video dokumentierten Aktion (»One Dollar«), arbeitet »SPACECAMPAIGN« mit kollektiven Projektionen auf die Person Alem. Alem steht mit einem Bündel Dollarscheinen in einer weihnachtlichen Einkaufsstraße und versucht, einen Dollarschein an PassantInnen zu verschenken. Vergeblich, denn die meisten PassantInnen nehmen sie gar nicht zur Kenntnis. Kaum jemand will einen Dollar von Alem annehmen. Was in dieser Aktion sichtbar wird, ist die umgekehrte, aber üblicherweise unsichtbare Projektion der PassantInnen auf Alem als lästige und überflüssige Bittstellerin und Objekt karitativer Fürsorge. Diese Projektion macht sie außerstande zu erkennen, dass in diesem Fall sie selbst als Almosenempfänger adressiert werden.
In diese Richtung geht auch eine weitere Handlung der Gruppe – diesmal wieder in Dänemark. Auch in ihr ist die Figur von Alem zentral, diesmal allerdings in Form eines Strichzeichnungsporträts in der Zeitung »Politikken«, der größten Tageszeitung des Landes. »SPACECAMPAIGN« hatte einen zwar realistischen, aber dennoch gefälschten Artikel über die humanitäre Situation im Irak verfasst – und zwar aus der Sicht einer dänischen NGO-Expertin, die eine gefühlsbetonte »Human-Interest-Geschichte« über die katastrophalen Verhältnisse im Land erzählt. Die Figur von Alem, die ausgemergelt auf einen Gitterbett sitzt, dient dafür als passende Illustration. Ziel des Fakes war es, die Perspektive des Textes zu problematisieren und die Frage zu stellen, wieso in westlichen Medien politische Katastrophen eigentlich immer nur von der Subjektposition des/der westlichen NGO-ExpertIn als sentimental-humanitäres Drama artikuliert werden können. »Wir weinen nicht, weil die irakische Frau leidet, sondern weil die dänische Expertin weint«, so »SPACECAMPAIGN«.
Auch hier wird also mit dem Raum des Öffentlichen gearbeitet. Und da eine Person wie Alem immer nur als Ikone und Projektion darin auftaucht, dienen diese Projektionen als Rohmaterial der Arbeiten. Das gelbe IKEA-Tischtuch, das als Schleier fungiert, wird zur Projektionsleinwand. Was dabei produziert wird, ist Wirklichkeit. Politische, mediale, journalistische und künstlerische Inszenierung gehen hier eine ebenso schwankende wie unauflösliche Verbindung miteinander ein und gerinnen zu Realität.

 

 

1 The Guardian, 5. Juni 2002.