Der Umschlag von Miwon Kwons Buch »One Place After Another« zeigt den in den Wäldern verschwindenden Künstler Christian Philipp Müller beim verstohlenen (und illegalen) Grenzübertritt zwischen Österreich und der Tschechoslowakei. Diese als Beitrag für die Biennale Venedig 1993 durchgeführte Aktion ist deswegen provokant, weil sie das Ausmaß zeigt, in dem KünstlerInnen beim Versuch, Spuren zu hinterlassen, nicht nur gezwungen sind, ihr Publikum vor den Kopf zu stoßen, sondern auch internationale Gesetze zu übertreten. Müllers Aktion ist auch die Apotheose von Kwons radikal neuer Vision der Zukunft des Ortsspezifisch-Nomadischen, Gespenstischen und Widerständigen anstelle des Erdgebundenen, Einheitlichen und Optimistischen. Aber so wie Müller unbemerkt im Wald verschwindet, so verschwindet er auch im Text: Er und seine Kunst fehlen, wie alle KünstlerInnen, deren Arbeiten nicht in den Vereinigten Staaten ausgeführt wurden, völlig in Kwons Argumentation.
Diese Auslassung ist auch der Hauptfehler des sonst so wertvollen Beitrags zur Diskussion der Kunst des späten 20. Jahrhunderts, da die umstrittene Definition von »Community« im Zentrum von Kwons Untersuchung klar an der geografisch selektiven Lesart des Begriffs und dem Missverständnis, dass diese von KünstlerInnen allgemein akzeptiert sei, leidet. Noch unglücklicher wirkt, dass Kwon ihre eigene Voreingenommenheit selbst scheinbar nicht bemerkt. Durch die Auswahl ausschließlich amerikanischer KünstlerInnen schadet Kwon ihrem Projekt, weil sie nicht nur die Gelegenheit verpasst, die Idee von »Community« auf breiterer Basis zu diskutieren (sie vergisst zum Beispiel den Erfolg von Thomas Hirschhorns »Monumenten«), sondern auch Beispiele effektiver Anwendungen jener theoretischen Strategien zu bringen, die sie schließlich selbst auch vertritt.
Das Thema von Kwons »One Place After Another« ist nicht die Geschichte der ortspezifischen Kunst. Anstatt sich mit der immer schlaffer werdenden Debatte rund um Wirksamkeit und Ziele von ortspezifischer Kunst zu begnügen, behandelt Kwon ein wesentlich breiteres Thema: die Konstituierung und Definition des Öffentlichen. Sie ordnet ihre Beispiele, etwa die Kontroverse um Richard Serras »Tilted Arc« und um das »Culture in Action«-Projekt in Chicago, so an, dass jede einfache Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von KünstlerIn und Community sofort problematisiert wird. Der Ausdruck »Community« geistert quasi durch das gesamte Buch. Er verfolgt die Autorin und ihre KünstlerInnen geradezu gespenstisch bei deren Versuch, mögliche (einfache) Antworten darauf zu finden, wie und welche Kunst ihr Publikum erreichen kann.
Die Argumentation des Buchs folgt also Fallbeispielen, die als unterschiedliche Kollisionen von Methoden im Namen der ortspezifischen Kunst mit unerschütterlichen und unkooperativen Communities beschrieben werden, die entweder zu stur oder zu desinteressiert sind, um sich auf gut gemeinte öffentliche Interventionen intellektuell einzulassen. Die implizite Schlussfolgerung der LeserInnen ist dabei nicht gerade erbaulich. Egal, womit KünstlerInnen ihr Publikum zu gewinnen versuchen, sie riskieren immer, ebendieses zu verstören, zu beleidigen, zu bevormunden oder sogar zu verärgern. Es sei denn, sie können sich von den Beschränkungen einer geografischen Definition von »Ort« und vom transzendentalen Glauben an die unentrinnbare Kraft der Kunst befreien.
Wir müssen Kwon beipflichten, dass manchmal die KünstlerInnen selbst die Schuld tragen, wenn dies nicht gelingt. Bei der Rekapitulation der berühmten Kontroverse rund um den »Tilted Arc« (die heute zwar etwas ermüdend, aber nichtsdestoweniger instruktiv ist) erstaunt uns gebührlich, wie lieblos und unangebracht Serras Position heute erscheint. Er bestand nämlich einerseits auf der Autonomie seines Werks gegenüber Öffentlichkeit, Architektur und sogar Nützlichkeit (»jeder Gebrauch ist Missbrauch«, erklärte er), während er die Arbeit andererseits als unverrückbar an den Ort gebunden erklärte. Kwon meint zudem, dass der »Tilted Arc« die Zusammenhanglosigkeit der sozialen Interaktionen am Federal Plaza, einem ehemals wenig benutzten, nach städtebaulichem Schandfleck riechenden Platz, nur noch unterstrich. Man hat sich mit Serras Arbeit schließlich weitaus mehr beschäftigt, als er zuerst dachte, auch wenn ihre Wirkung aus dem spezifischen Ort resultierte. Das eigentliche Problem war, dass der Künstler sich nicht um diese Tatsache scherte.
Kwons Schlussfolgerungen aus den Konflikten um den öffentlichen Raum (in den Vereinigten Staaten) verweisen nicht nur, wie bei Serra, auf Probleme mit der Ignoranz der KünstlerInnen, sondern auch darauf, dass die Selbstgefälligkeit der Öffentlichkeit nur dann erschüttert wird, wenn sie angegriffen wird. Die antiintellektuelle Strömung in Amerika ist als antiprogressiver Rückschlag mindestens seit 1952 eine Tatsache, als mit der Wahl des Populisten Dwight Eisenhower der letzte Schimmer von F. D. Roosevelts »New Deal«-Liberalismus dahinschwand.
Es ist schon ironisch, dass Amerika (oder genauer gesagt New York) genau zu diesem Zeitpunkt Paris die moderne Kunst »stahl«, um Serge Guilbauts klassische Worte zu verwenden. Damit kam auch die Hoffnung auf eine progressivere und kontemplativere Zukunft auf. Doch New York allein ist nicht Amerika, und so sträuben sich noch heute im ganzen Land Gemeinden gegen jede Veränderung, besonders dann, wenn sie in Form von Kunst auftritt. Anstatt das befreiende Potenzial des ästhetischen Diskurses zu nutzen, erbaut sich der/die typische AmerikanerIn nicht an öffentlicher Kunst, sondern ausgerechnet am gemeinsamen Widerstand gegen diese Kunst. So ist Kwons Forderung einer radikalen Entterritorialisierung ortspezifischer Methoden zwar stark, aber leider außerhalb jeder Reichweite – bzw. nicht das Ansinnen – der amerikanischen Wählerschaft. Solange es keinen signifikanten Wechsel in der Kulturpolitik und der Kunsterziehung der Vereinigten Staaten gibt, bleibt Kwons Reise also ebenso einsam wie die von Christian Philipp Müller. Im Wald fällt ein Baum um, doch niemand hört es.
Übersetzt von Thomas Raab