Heft 2/2003 - Netzteil
Eine der jüngsten Arbeiten, welche die österreichische Künstlerin Michaela Grill gemeinsam mit Billy Roisz produziert hat, trägt den eingängigen Titel »Rock’n’Roll Will Never Die«, mit dem sich die beiden sehr ernsthaft auf ihre musikalischen Wurzeln beziehen. Das Ausgangsmaterial des tonlosen Videos ist die Dokumentation eines Konzerts von Christof Kurzmann, Toshima Nakamura und Martin Siewert beim Jazzfestival Saalfelden. Gedacht war das Video nicht zuletzt als ein visueller Kommentar zu dem Umstand, dass die sensorische Komplexität elektronischer Musikproduktion beinahe ausschließlich mittels Abstraktheit digitaler Daten abgebildet wird. Zu sehen sind aber nicht nur die Musiker, die mit ihren Laptops konzentriert musizieren, sondern auch ein ebenso konzentriertes Publikum sowie eine die Bühne dominierende Leinwand. Man könnte annehmen, die Musiker »begleiten« die Bilder – und ordnet mit diesem Eindruck bereits die Ton- der Bildebene unter. Tatsächlich wirft jedes audiovisuelle Zusammenspiel die Frage nach dem Produktionsprozess, nach den medialen Hierarchien auf. Dass dieser Prozess, der meist unterschiedliche, im Umfeld von Michaela Grill relativ überschaubare Konstellationen von VideomacherInnen und MusikerInnen umfasst, immer wieder neu thematisiert wird, ist nicht ausschließlich auf deren Experimentierfreude zurückzuführen. Vielmehr geht es dabei um einen sehr grundsätzlichen künstlerischen Ansatz: Erstens sollen Bild und Ton nicht gefällig ineinander aufgehen, sondern durchaus Wider- und Eigenständigkeit bewahren; zweitens setzen diese intermedialen Kooperationen auf kollektive künstlerische Praxen; und drittens sollen mit der Einbeziehung der kontextbezogenen Auseinandersetzung mit dem akustischen und optischen Ausgangsmaterial die üblichen Wahrnehmungskriterien der BetrachterInnen bearbeitet werden.
Zum Tragen kommen diese unterschiedlichen Ansätze in Grills Musikvideos, Live-Visuals und Installationen seit 1999. Während ihr erstes Musikvideo »o.T.«, das als solches der üblichen Rezeptionshaltung im Kino verpflichtet war, die Seh- und Hörgewohnheiten zum Schwinden brachte, indem die Kamera zur Musik von Takeshi Fumimoto über eine Betonwand raste, liegt den Live-Visuals und Installationen meist nicht nur eine Geschichte zugrunde, sondern – damit verbunden – auch die Reflexion der Erzählweise und deren impliziten Rezeptionsmuster. Beispielhaft dafür ist das Projekt »Boiled Frogs«, das die Künstlerin, die mit ihren Arbeiten bereits bei renommierten Musik- und Filmfestivals (Avanto/Helsinki, Sonar/Barcelona, Underground Film Festival/New York, Filmfestival/ Rotterdam, etc.) vertreten war, zusammen mit Christof Kurzmann 2000 für den steirischen herbst konzipierte.
Ausgehend von einer makaberen wissenschaftlichen Studie – die bewies, dass Frösche, die in heißes Wasser geworfen werden, dieses so schnell wie möglich wieder zu verlassen versuchen, während sie in langsam erhitztem Wasser verweilen, bis die Anpassung tödlich endet – wurde bei »Boiled Frogs« die Wahrnehmungskapazität der BesucherInnen getestet. Die Intensitätssteigerung der im Raum hängenden Bildträger und der Live-Musik war berauschend, und die Warnung von Tony Conrad (Wegbereiter der Minimal Music und Erfinder des Flicker-Effekts), »What you’re going to see is potentially hazardous for photogenic epileptics or photogenic migraine sufferers«, sollte nicht nur für diesen Abend gelten, sondern auch für das Projekt »Trapist Extended« (2003). Dieses widmete sich den »praktizierten Musizierhaltungen« (Martin Siewert) des so genannten »Theater of Eternal Music« (u.a. La Monte Young, Tony Conrad, John Cale, Robbie Basho und John Fahey) und den der Musik zugrunde liegenden strukturellen, kollektiven und improvisatorischen Ansätzen. Michaela Grills Experimente mit der Schaulust der BetrachterInnen orientierten sich am filmischen Schaffen von Tony Conrad und seinem Interesse an den Auswirkungen, die pulsierende Farbmuster auf den menschlichen Wahrnehmungsapparat haben. Während die Künstlerin ihre Bilder bei »Trapist Extended« bewusst als »begleitende« verstand, war das Live-Experiment »My Kingdom for a Lullaby« (2001) der ambitionierte Versuch eines improvisierten orchestralen Zusammenspiels der VideokünstlerInnen und MusikerInnen: Vorbereitetes Videomaterial, das Michaela Grill und Billy Roisz aus Grundtönen der Instrumente (Gitarre, Theremin, G3 etc.) visuell generierten, wurde live mit neu produziertem Bildmaterial kombiniert, mit dem wiederum die Musik
vorangetrieben wurde.
Der bewusste Einsatz des Basismaterials stand als Thema im Mittelpunkt des Live-Acts »Die Instabilität der Symmetrie« (2002), der von Michaela Grill und den Musikern Martin Brandlmayr, Werner Dafeldecker, Stefan Németh und Martin Siewert im Rahmen der MAK NITE realisiert wurde: Das Konzept sah die »kritische Thematisierung des Phänomens der Ausschlachtung von Basismaterial vor, das im Zuge seiner meist digitalen Wiederaufbereitung (gerade in Zeiten einer so florierenden Remix- und Samplekultur) von jeglichem dem Ausgangswerk immanenten soziokulturellen wie kunsttheoretischen Initialkontext befreit wird«. Die Musiker beschränkten sich konsequenterweise ausschließlich auf akustisches Material, das im Zuge des Projekts entstanden war. Auf den Screens, die als eigenständige Bildträger links und rechts hinter der Bühne betrachtet werden konnten, verfremdete Michaela Grill – dem Grundkonzept inhaltlich nur scheinbar diametral entgegengesetzt – ausgewählte Szenen aus klassischen Hollywoodfilmen bis zur Unkenntlichkeit. Ihre Entkontextualisierung dieser dominanten Bilder, welche die Wahrnehmung bekanntlich nachhaltig infiltrieren, glich einer visuellen Tabula rasa, weil die fehlende Wiedererkennbarkeit jegliche Erklärungsmodi untergrub und so die Intensität der sensorischen Erfahrung extrem potenzierte. Den Höhepunkt erfuhr ihre Auseinandersetzung mit der Filmgeschichte in »re:store« (gemeinsam mit Martin Brandlmayr, Werner Dafeldecker, Dean Roberts und Martin Siewert), mit dem im November 2002 im Österreichischen Filmmuseum der 12. Geburtstag von Sixpack Film gefeiert wurde. Aus den Archiven beider Institutionen, welche die audiovisuelle Szene maßgeblich unterstützen, montierte Grill einen eigenständigen Film, der – ähnlich wie »re:store« – in der Zersetzung der Narration die Konzentration des Publikums vollständig im Atmosphärischen aufgehen ließ.
In ihrem neuesten, bei der diesjährigen Diagonale ausgezeichneten Musikvideo »trans« werden hingegen gerade die narrativen Regeln des klassischen Dramas zum formalen Prinzip erhoben: Der Spannungsbogen wird erzeugt durch Auftakt, Exposition, ein erregendes Moment und dessen Auflösung. Dass diese komplexe, narrative Struktur in einer extrem abstrahierten Version, die auf die Grundelemente des Films (hell/dunkel, Bewegung/Stillstand) reduziert ist, noch immer zu fesseln vermag, birgt ein irrationales Moment, das nur mit dem sensiblen visuellen Gespür der Künstlerin erklärt werden kann. Dass dieses nicht unwesentlich durch jahrelangen MTV-Genuss geschult wurde, führt zurück zu der eingangs erwähnten, von zwei Frauen kühn angeeigneten Beschwörungsformel der männlich dominierten Rockkultur.