Heft 3/2003 - Netzteil


Persönliche Spurensicherung

Über das künstlerische und taktische Potenzial von GPS

Julia Gwendolyn Schneider


Soweit technisch alles klappt, werden ab dem 31. August auf allen deutschen Autobahnen satellitengestützte Überwachungssysteme dafür sorgen, dass Lkws ihre Mautpflicht erfüllen. Und wenn es nach den Wünschen einiger PolitikerInnen ginge, wäre es auch kein Fehler, dieses System auf alle BürgerInnen auszuweiten. Jede automobile Bewegung ließe sich damit aufzeichnen und zentral überwachen. Damit wäre in etwa der Rahmen an Kontrolle erreicht, auf den das Projekt »VOPOS« von 0100101110101101.ORG 1 anspielt. Doch nicht immer wird GPS (Global Positioning System) in das Umfeld der ständig perfekter werdenden Überwachungsmethodiken eingeordnet. So gibt es derzeit zunehmend künstlerische Ansätze und medienaktivistische Projekte, die über alternative Gebrauchsformen von GPS-Empfängern nachdenken.

»Mir mein Leben als eine Zeichnung vorzustellen, die mit jeder meiner Bewegungen aktiv wächst, finde ich sehr verlockend,« gesteht der Performancekünstler Dan Belasco Rogers 2, der GPS als ein Tool zur Aufzeichnung seiner persönlichen Bewegungsspuren in Berlin benutzt. Während GPS-Empfänger von der Industrie als Orientierungshilfe vermarktet werden, interessiert Rogers vor allem, wie er sie als Malwerkzeuge verwenden kann. Mittels der Daten, die der Satellit sendet, trägt das Display des Handheld seinen Bewegungen nahezu in Echtzeit Rechnung. Er kann damit mühelos seine Position speichern, während er sich von Ort zu Ort weiter bewegt und die Daten später auf seinen Computer überträgt. »Im Grunde ist das Ganze eine Performance. Ich bin permanent dabei, den Stadtraum wie eine Leinwand zu benutzen, auf der mein Körper wie ein Pinsel seine Spuren hinterlässt.« Es gibt sogar eine Website 3, auf der zahlreiche GPS-Gemälde ausgestellt werden, aber Rogers findet das Erstellen persönlicher Karten spannender als zum Beispiel einen Hund in den globalen Raum zu malen.

Die so erzeugten GPS-Karten stehen mit ihrem subjektiven Gestus in der Tradition künstlerischer Kartografien. Die Bildgrafiken zeigen computergenerierte Linien, die fast wie handgezeichnet aussehen. Für die BetrachterInnen stellen sich diese Bewegungslinien vor allem als ästhetische Gebilde dar, es sei denn, sie verfügen über eine genaue Ortskenntnis und erkennen an den sich herausbildenden Straßenrastern, wo die Spuren hinterlassen wurden. Was kryptische Informationen zu sein scheinen, ist für den Spurenerzeuger aber von einem hohen narrativen Wert: Er erinnert sich. Durch den imaginären Blick aus der Umlaufbahn und die bodenverhaftete Erfahrung der BenutzerInnen verbinden GPS-Karten den allwissenden objektiven Kartografiediskurs mit einem subjektiven Körperdiskurs.

Auch »AmsterdamREALTIME«, ein Projekt, das Ende 2002 von Esther Polak in Zusammenarbeit mit der Waag Society in Amsterdam entstand, arbeitet mit der Aufzeichnung von Bewegungen im Stadtraum per GPS. Durch eine Funkverbindung werden die Aufenthaltsorte der teilnehmenden BewohnerInnen in Echtzeit für die GaleriebesucherInnen sichtbar gemacht. Dadurch spitzt sich für einige die Frage der Überwachung zu. Aber so wie Esther Polak das Projekt versteht, waren die Leute, deren Bewegungen aufgezeichnet wurden, in einer beneidenswerten Position, denn sie selbst bestimmten, wann sie ihren GPS-Empfänger an- und ausschalteten, während die ZuschauerInnen zuweilen begierig auf die Visualisierungen warten mussten.

Ähnlich verschwommen ist die Frage nach der Kontrolle bei der Multimedia-Aktion »Can You See Me Now?« 5, für welche die britische Künstlergruppe Blast Theory bei der diesjährigen Ars Electronica die Goldene Nica für interaktive Kunst erhält. Während die drei Künstler in der Stadt mit Hilfe von GPS-Technologie lokalisiert werden und ihre Koordinaten an die Online-SpielerInnen weitergesendet werden, fahnden sie auf der Straße mit derselben Technologie nach jenen, die bequem vor einem Computer sitzen und nur den virtuellen Stadtraum betreten haben. Gefangen werden dabei nicht die, die durch den Stadtraum laufen, sondern die Avatare der Online-MitspielerInnen. Wer einem Läufer zu nahe kommt, wird auf dessen Handheld-Computer gesehen und aus dem Spiel eliminiert. Der Stadtraum wird dabei real und zugleich virtuell bespielt, als Verbindungskomponente dienen die wechselnden Positionsdaten, die per GPS-Technologie festgelegt werden. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern man hier nur ideell auf etwas vorbereitet wird, das später kommerziell nutzbar werden soll.

Um Lokalisierung im realen und virtuellen Raum geht es auch bei »GPSter/ Geograffiti« 6, einer Open-Source-Datenbank, die von Marc Tuters und Karlis Kalnins in Kanada entwickelt wird. Mit Hilfe von Internet, GPS und Handheld-Computern werden global Daten mit Bezug zu einem lokalen Ort für andere hinterlassen und erzeugen so kollaborative Gegen-Kartografien. Diese persönlichen Markierungen und Spuren verstehen sich als eine Reaktion gegen Werbung, die über ortsbasierte Technologien geschaltet wird. Problematisch ist dabei, dass die virtuellen Graffiti nur für die zugänglich sind, die auch technologisch entsprechend ausgerüstet sind, interessant hingegen, dass sich der Fokus des Projekts langsam zu verschieben scheint: Ging es Tuters anfangs vor allem darum, einen offenen Informationsraum zu schaffen, in dem sich der virtuelle über den realen Raum legt, egal mit welchem Inhalt, so interessieren ihn nun verstärkt Geschichten, die an ganz spezifische Orte gebunden sind. So organisierte er diesen Sommer einen »Locative Media Workshop« 7 am K@2 Kultur- und Informationszentrum in Karosta, Lettland, um die paradoxe Geschichte dieser verlassenen Militärstation an der baltischen Küste mit Hilfe von ortsbezogenen, ursprünglich rein militärischen Technologien zu erforschen. In Zukunft soll so ein Interface entstehen, das diesen Ort mit persönlichen »Geograffitis« versieht.

Auch mit »Milk«, einer Weiterführung von »AmsterdamREALTIME«, wollen Esther Polak und Ieva Auzina die Möglichkeit persönlicher Erzählweisen durch GPS verstärkt untersuchen. Dabei liegt ihr Fokus weiterhin auf Bewegungsvisualisierungen. »Wir führen keine Interviews, sondern gebrauchen GPS als Aufzeichnungsgerät. Damit gehen wir der Frage nach Raum sehr offen nach. Wir setzen diese Technologie ein und schauen dann, was sich für Situationen ergeben«. Den Einsatzrahmen haben sie allerdings genau festgelegt. Sie wollen die landwirtschaftliche Milchproduktion im östlichen Lettland visualisieren sowie deren Reichweite bis zu den KonsumentInnen in Holland. »Wenn die Leute in Amsterdam ihre persönlichen Spuren betrachteten, fingen sie an, von ihrem Alltag zu erzählen«, berichtet Polak. »Die Leute erlebten ihre gewohnten Wege auf einmal viel bewusster«. Mit »Milk« soll dieser Komponente Rechnung getragen werden. Ziel ist es, das romantische Bild vom Landleben zu dekonstruieren und so eine inoffizielle Repräsentation der komplexen Veränderungen im ländlichen Lettland zu schaffen.

Wie die aufgeführten Projekte zeigen, ist es möglich, GPS nicht nur als militärisches Präzisionstool oder in der Überwachungstechnologie zu verwenden. Vor allem in seiner Funktion als persönliches Aufzeichnungs- und Markierungsinstrument weist es durchaus auch ein emanzipatorisches Potenzial auf.