Heft 3/2003 - Artscribe


»Sound Systems«

14. August 2003 bis 12. Oktober 2003
Salzburger Kunstverein / Salzburg

Text: Christian Höller


Salzburg. »Sound Systems« nannte man in den fünfziger Jahren auf Jamaika jene Verstärkeranlagen, mittels derer lautstark Reklame für die ortsansässigen Bierbrauereien gemacht wurde. Dass diese, meist auf den Ladeflächen von LKWs platzieren rollenden Sound-Anlagen alsbald auch mit DJs und Musikern bestückt wurden, tat ihrer marktschreierischen Funktionalität keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, es erwuchs daraus ein neuer Funktionszusammenhang, der die Interaktion zwischen zeitgemäßer Musik und ihren KonsumentInnen bis heute bestimmt. Fünfzig Jahre (und mehr) reicht diese Geschichte der Sound-Anlage und Sound-Verbreitung zurück, Jahre, in denen auch unablässig neue Sphären der Klang-Erprobung und entsprechender Gehörjustierungen ausgelotet wurden. Dass die bildende Kunst seit langem schon ein intimes Verhältnis mit den Mitteln solcher Klangerzeugung pflegt, haben mehrfach Überblicksausstellungen (etwa »Crossings« in der Kunsthalle Wien 1998) veranschaulicht. Und in letzter Zeit ist es mit Shows wie »Sonic Boom« (Hayward Gallery London, 2000), »Sonic Process« (MACBA Barcelona und andere Orte, 2002) oder »Frequenzen« (Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2002) zu einem wahren Boom an Sound-Art-Ausstellungen gekommen.
Für den Salzburgen Kunstverein haben die KuratorInnen Edek Bartz und Hildegund Amanshauser in den Leerstellen und Zwischenräumen dieser repräsentativen Themenschauen gestöbert und die mittlerweile breitgetretenen (Akustik-)Pfade vor allem in zwei Richtungen erweitert. Zum einen verfolgen sie »Klang als gestalterisches Element der zeitgenössischen bildenden Kunst« (Pressetext) auf recht großzügige Weise bis in den Klassik-Bereich hinein – etwas, was angesichts grassierender Abstract-Electronica-Visualisierungen zunächst überraschen mag. Hier sind es überwiegend Beispiele assoziativer bzw. nachträglicher Musikbebilderung, die in »Sound Systems« Mozart, Beethoven und Wagner in den Resonanzraum der Gegenwart holen. So setzt die estnische Künstlerin Kai Kaljo der von ihr selbst gespielten Beethoven-Klaviersonate »Pathétique« Bilder eines torkelnden Betrunkenen entgegen, die sie digital verfremdet hat. Vielleicht, um zu zeigen, dass eins und eins hier nicht einfach zwei ergibt, dass sich vielmehr eine (soziale) Lücke auftut, wenn klassisches Bildungsgut auf zeitgenössische Realität trifft. Ähnlich »additiv« verfährt die Lettin Laila Pakalnina, die für ihr Video »Papa Gena« (2001) der Bevölkerung von Riga stichprobenartig Köpfhörer übergestülpt hat, aus denen das bekannte Duett aus Mozarts »Zauberflöte« ertönt. Die Kompilation ergibt ein bescheiden beschwingtes Schwarzweißporträt vom harmoniebedürftigen Leben an den urbanen Rändern Europas.
Neben der Erkundung osteuropäischer Klassik-Visualisierungen ist es – als zweite entscheidende Erweiterung – die weitgehende Synchronschaltung aller präsentierten Arbeiten, die »Sound Systems« zentral kennzeichnet. Keine Kojen, Kopfhörer oder Audiokammern, welche die insgesamt elf, überwiegend lautstark dröhnenden Einzelwerke voneinander trennen würden. Stattdessen strömt, pocht und oszilliert alles durcheinander (einzige Ausnahmen sind das Video »Pit Music« 1996 von Joachim Koester, für die das elegant-minimierte Ausstellungsdesign von Walter Kirpicsenko eine eigene Vorführbox vorgesehen hat sowie Elisabeth Penkers dreiteilige Audioinstallation, die wummerndes Pumpengedröhn aus Moskau durch den abgetrennten Raum der Ringgalerie hallen lässt). So scheint die Ausstellung der Einsicht verpflichtet zu sein, dass Klangwelten heute nicht mehr ohne weiters voneinander scheidbar, ja unterscheidbar sind: nicht von der natürlichen Umgebung, was Henrik Håkansson mit seiner Verstärkeranlage für eine im Künstlerhaus angesiedelte Grillenkolonie (»The Monsters of Rock, Tour«, 1996) ironisch zuspitzt; nicht vom maschinellen Eigenklang, wofür Martin Creed mit seinem in regelmäßigen Intervallen alle gespeicherten Drum-Sounds abspielenden Yamaha Rhythm Programmer RY 10 ein demonstratives Exempel liefert; und schon gar nicht von der Vielfalt kulturgeschichtlicher Bezüge, was die junge britische Künstlerin Nadine Robinson mit Anleihen bei Barnett Newman und dem von ihr geloopten Siebzigerjahre-Soul-Stück »It`s a Thin Line Between Love and Hate« von den Persuaders unterstreicht.
All diese Überlagerungen, die »Sound Systems« konsequent in eins blendet, kommen in Mark Leckeys Installation »Dubplate« (2002) noch einmal gebündelt zusammen. In kompaktem Pressspandesign hat er einen mehrteiligen Boxenturm – mit visueller Betonung der Basslautsprecher – errichtet, der von einem Mixer mit angeschlossenem CD-Player gespeist wird. Zwar ist die titelgebende Vinylscheibe im Depot des Sammlers geblieben, aber auch die CD-Kopie verdeutlicht das Simultanitätsprinzip heutiger Sound-Bastelei: Cut-ups, Sprachfetzen, elektronische Soundeffekte, isolierte Bassläufe, Melodie- und Rhythmusspuren sind darin zu einer zehnminütigen Sampling-Komposition verdichtet, wie sie auch von Leckeys Band »donAtella« stammen könnte. Vor allem aber spannt die Arbeit den Bogen zurück zu den fahrenden Tonanlagen der Jamaikaner, bei denen Musik, Agitation und Reklameansagen auf Straßenlärm und eine lebendige Umwelt trafen. Alles Elemente, deren historisch veränderlichen Beziehungen weiterhin erforscht werden wollen. »Sound Systems« ist vielleicht erst der Beginn.