Heft 4/2003 - Lektüre
1984 formierte sich in Ljubljana das multimediale Künstlerkollektiv Neue Slowenische Kunst (NSK) als Zusammenschluss dreier Gruppen: der 1980 gegründeten Musikgruppe Laibach, dem Theaterensemble Gledalisce Sester Scipion Nasice und dem Malerkollektiv Irwin, die beide seit 1983 bestanden. Teilnehmende BeobachterInnen wurden im Laufe der Jahre immer wieder durch die totalitäre Rhetorik verunsichert bzw. – wie Inke Arns in der Einleitung schreibt – bewusst im Unklaren gelassen: »Totaler als der Totalitarismus« (Boris Groys) in einer affirmativen »Über-Identifizierung« (Slavoj Zizek) mit verpönten Ideologien umzugehen, war schließlich keine Herangehensweise, die auf eine gesicherte historische Basis verweisen konnte.
Die Studie von Inke Arns zeichnet im Gegensatz zur oft emotional aufgeladenen Rezeption der ersten Stunde im östlichen und westlichen Ausland einen geradlinigen und klaren Denk- und Aktionsraum der Gruppe nach. Schritt für Schritt geht sie den künstlerischen Strategien nach, ohne jedoch auf die Rezeptionsgeschichte einzugehen, die vermutlich ein weiteres Buch füllen würde, wenn dies nicht aus historischer Sicht sowieso schon obsolet geworden ist.
»Wie kommt es, dass eine Künstlergruppe, die durch den Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden Mittel von sich das Bild einer durch und durch anti-demokratischen und totalitären Bewegung entwarf, gegen Ende der 1980er Jahre rückblickend zum Katalysator der Pluralisierungs- und Demokratisierungsprozesse in Slowenien erklärt wurde?« Auf diese Fragestellung, die auch etwas von einer »posthumen« Legitimierung in sich trägt, kommt Arns immer wieder zurück, die mit viel Quellen- und Verweismaterial zunächst Struktur und Intention der Gruppe erläutert, um anschließend eine (kunst)theoretische Einordnung vorzunehmen. Hier werden Verbindungen zur slowenischen Lacan-Schule und Slavoj Zizek herausgearbeitet sowie die »retrogardistische« Arbeitsmethode erläutert, Aspekte der Postmoderne und Phänomene wie Appropriation Art vergleichend herangezogen. Schließlich erfolgt eine Einordnung in die kulturelle und politische Entwicklung im Jugoslawien der achtziger Jahre, von Titos Tod (1980) bis zur Unabhängigkeit Sloweniens 1991, wobei auf die Subkultur und alternative Szene Ljubljanas ausführlich eingegangen wird.
Inke Arns stellt hier viele Verknüpfungen her, die logisch nachvollziehbar sind, vor allem aber immer das Spezielle der Situation in Slowenien vor Augen führen. Die affirmative »Über-Identifikation« (Zizek) justiert eine dysfunktionale Ideologie nach, welche die eklektizistische Arbeitsmethode der Retrogarde im traumatischen Ende der Moderne und ihrer Auflösung in totalitären Systemen aufspürt. Auch aus der historischen Perspektive scheint die slowenische Situation tatsächlich singulär, und man fragt sich immer wieder, wo vergleichbare Entwicklungen ähnlich in politisch-kulturelle Prozesse eingegriffen hätten. Keine Beispiele gibt es etwa in der deutschen Geschichte, wo Ironie und Spott eine entmachtende Distanz herstellen, welche die NSK gerade vermeidet und mit der (distanzlosen) Bewusstmachung der Macht von Zeichen arbeitet. Wie verführerisch diese sein kann, zeigt die Plakataffäre um den Dan Mladosti (Tag der Jugend) von 1987. Der Plakatentwurf der Gruppe für den Bund der Sozialistischen Jugend Jugoslawiens wurde zunächst von einer gesamtjugoslawischen Jury prämiert und hoch gelobt, bis knapp vor Drucklegung entdeckt wurde, dass NSK eine Vorlage des Nazi-Künstlers Richard Klein von 1936, »Das Dritte Reich – Allegorie des Heldentums« verwendet hatte. Ein gutes Beispiel für Zizeks »Genießen« im Umfeld von ideologischer Dekonstruktion.