Berlin. Während dieser Tage die EU-Kommission die Wiedervereinigung als »bekannten Grund« für die »deutsche Wirtschaftsmisere« und das »schwache Wachstum«1 anführt, verfolgen Eva Hertzsch und Adam Page in ihrem Projekt »Eine Kampagne« Strategien der kreativen Umverteilung von Besitz. Aufbauend auf der These, dass der »Mangel an Kaufkraft« der neuen Bundesländer eher als ein »Mangel an Kauflust« zu sehen ist, entwickelt das KünstlerInnenduo ein Gegenkonzept der »Improvisation, Selbstbeschäftigung und Freizeit«, das dem Kaufzwang eine Umfunktionierung und Wiederaneignung von Gütern entgegensetzt.
Nach Interventionen vor Ort im Ludwig Forum Aachen anlässlich der Ausstellung »Adieu Avantgarde – Willkommen zu Haus« (2003) sowie am Flughafen Münster/Osnabrück (2002) haben Hertzsch und Page ihr »Kampagnen«-Zelt nun temporär in der Berliner plattform aufgeschlagen. Der Ausstellungsraum wird von einem mit weiß-grauem, floralem Muster handbemalten Zeltarrangement dominiert, dazu Plastikstühle, ein Tisch, ein Grill, eine Hollywood-Schaukel, ein Videogerät, ein Sonnenschirm. Im zweiten, kleineren Raum: ein zur improvisierten Heizung umfunktionierter Lüftungsturm. Schmunzelnd wohnt man im Video im Stile einer Home-Doku der Umwidmung eines Brunnens durch die beiden KünstlerInnen bei, der von einer Investitionsruine einem kleinen privaten Glück in der Kleingartensiedlung zugeführt wird und hier fortan als Gemüsebewässerungsinstrument dient. Recycling war niemals sinnvoller.
Inhaltlich-ästhetische Klammer der Installation bildet ein Werbeslogan in eleganten Lettern: »Wir werben dafür, die Verweigerung von Kommerz und Spekulation der Bürger der Neuen Bundesländer zu erweitern.« Die seltsam vertraute Typografie und der hellgraue Farbton tauchen mehrmals wieder auf, unter anderem auf einer diskret-eleganten Karte. Der Rundum-Déjà-Vu-Eindruck erhält durch die Lektüre des Ausstellungsflyers seine Erklärung: Wir sehen hier »Daimler-Grau«! Analog dazu ist die Schrift, mit der die »Kampagne« vermittelt wird, aus der reduzierten, sauberen Daimler-Werbeästhetik bekannt, die inzwischen ohne Limousinenabbildung auskommt. Unter dem Motto »corporate hospitality« revidiert die Installation gängige Werbeauftritte großer Konzerne auf der Signifikantenebene und entwickelt dabei eine vielschichtige Methode zur Infragestellung ökonomischer Dogmen kapitalistischer Herkunft. Es mischen sich hier nicht nur Improvisation und Bastelwillen mit professioneller, standardisierter Werbeästhetik, sondern diese wird gerade durch die Low-Budget-Inszenierung einer kritischen Aneignung unterworfen. Heterogene Kontexte werden scharfsinnig miteinander kurzgeschlossen. Somit erweitern Hertzsch und Page die im Kunstdiskurstreiben aktuelle Diskussion um Gegenmodelle zum Kapitalismus (siehe unter anderem auch Oliver Resslers Projekt »Alternative Economics, Alternative Societies« in der Galerija Skuc, Ljubljana).
Bereits in früheren Projekten entwickelten Hertzsch und Page alternative Definitionen des öffentlichen Raumes und seiner normierten Abgrenzungen. Die von ihnen entworfenen veränderbaren Strukturen/Räume (beispielsweise Pages »Executive Box/V.I.P. Raum« auf der documenta X oder Hertzsch’ und Pages wandelnder Kiosk in Dresden) werden zu Orten des Austausches, der Kontextvermengung sowie -aneignung und zielen auf die Bildung eines sozialen Netzwerkes. Insgesamt wirkt die Präsentation im Kontext eines Ausstellungsraumes in seinen Agitationsmöglichkeiten etwas eingeengt – ein Umstand, der Hertzsch und Page vollkommen bewusst ist: Mehr Sprengkraft entwickelt die Arbeit zweifelsohne im öffentlichen Raum, in urbaner Konfrontation. Solche Handlungsvorschläge situationistischer Prägung wünscht man sich jedenfalls auf Berlins großen Plätzen.