Es ist nicht einfach, das Prager Museum des Kommunismus zu finden. Es befindet sich zwar mitten im Zentrum der Stadt, scheint aber auf merkwürdige Weise versteckt zu sein. Es ist nämlich in einem Casino untergebracht, oder genauer gesagt, als eine Art Untermieter in demselben Gebäude – dem Palais Savarin –, in dem sich auch ein Casino befindet. Als würden sie ihren potenziellen BesucherInnen auf der Suche helfen wollen, geben die OrganisatorInnen auf einer Werbepostkarte zusätzliche Koordinaten des Museums an, und zwar auf einem Bild von Lenin gedruckt: »We’re above McDonalds, across from Benetton«. Und damit jedes ideologische Missverständnis von Anfang an ausgeschlossen wird – »Viva La Imperialism!«
Es klingt wie ein Witz und ist auch ein Witz. Das Prager Museum des Kommunismus ist keine ernst zu nehmende kulturelle Einrichtung. Es handelt sich vielmehr um eine Kasperl-Version aus der Sicht des Postkommunismus und ist gerade deshalb so interessant. Zwar erfährt man dort fast nichts über die kommunistische Vergangenheit, desto mehr aber über die postkommunistische Unmöglichkeit, mit dieser Vergangenheit umzugehen.
Natürlich behaupten seine AutorInnen das Gegenteil. Auf dem für die interessierten Journalisten aufgelegten Flugblatt liest man, das Museum sei eine »autoritative historische Erzählung« über das Phänomen des Kommunismus. Und tatsächlich: Auf den 450 Quadratmetern wird den BesucherInnen eine tatsächlich autoritative Geschichte erzählt. Diese handelt zwar nicht vom Kommunismus selbst als vielmehr von einem Volk, das das historische Pech hatte, vom kommunistischen Totalitarismus überfallen und für eine Weile gefangen gehalten worden zu sein. Diese Geschichte hatte aber ein Happy End, den endgültigen Sieg des Kapitalismus, und aus der Perspektive dieses glücklichen Ausgangs wird sie auch retrospektiv erzählt.
Das Museum ist in der Form eines Rundgangs mit drei Hauptstationen strukturiert: der Traum, die Realität und der Alptraum. Nach diesen drei Akten soll sich das historische Drama des Kommunismus abgespielt haben. Man hatte zunächst an die marxistisch-leninistische Utopie geglaubt, wurde von der sozialistischen Realität enttäuscht und endete im totalitären Alptraum. Ein Haufen von Artefakten soll diese simple Geschichte vor unseren Augen wieder beleben: die sowjetischen und tschechoslowakischen Fahnen, Büsten der kommunistischen Ideologen, Fotografien aus der damaligen Zeit, Dokumentarfilme und zahlreiche Gebrauchsgegenstände, die das Alltagsleben in der realsozialistischen Tschechoslowakei wieder sichtbar und spürbar machen sollen. Alle Objekte sind nach Themenkomplexen gruppiert: Industriearbeit, Erziehungssystem, Landwirtschaft, die Kunst des sozialistischen Realismus, die Organisation der Volksmiliz und der Volksarmee, die Geheimpolizei und Praxis des Unterdrückungsapparates, die urbanistische Verwüstung von Prag, die kulturelle Opposition, die Dissidenten etc. Diese Themenkomplexe sind in der Tat kurz zusammengefasste Stereotype: »Wir zeigen Ihnen, was Sie immer schon über den Kommunismus wussten« – so kann man sich das Motto dieses Museums vorstellen.
Zum Beispiel: Die Kommunisten setzten alles auf die Entwicklung der Schwerindustrie, die letztendlich nur Schrott produzierte und ein ökologisches Desaster verursachte. Um das zu
verbildlichen, baute man in einer Ecke des Museums eine »sozialistische Werkstatt« nach. Hier wurde altes, gebrauchtes Werkzeug, darunter auch ein verrostetes Fahrrad, ein kaputtes Mofa, etc. zusammengeschleppt. Dass dieser Trödelhaufen, der uns das ganze Elend der sozialistischen Produktionsweise vor Augen führen soll, neben einem MIG-Cockpit und einem Jurij-Gagarin-Plakat platziert ist, die gleichzeitig – insbesondere der erste Kosmonaut der Weltgeschichte – als Symbole des Fortschritts für die ganze Menschheit gelten, ruft im Kontext des Museums keinen Widerspruch hervor. Kein Wunder. Der diskursive Raum des Postkommunismus kennt prinzipiell keine Widersprüche. So ist auch »der erste Mensch im Kosmos« im Kontext des Museums nur ein weiterer Beweis dafür, dass die kommunistische Utopie, selbst wenn sie verwirklicht wurde, immer schon eine Lüge war. Es wird von den BesucherInnen erwartet, dass sie die Wahrheit der kommunistischen Vergangenheit schon im voraus kennen: Der Flug in das Weltall wurde in der Sowjetunion nicht zum Zweck der authentischen Naturforschung gefördert, sondern aus ganz anderen Motiven, zum Beispiel aus ideologischen (um die Menschen von ihrer miserablen Realität abzulenken), oder zu Propagandazwecken (um die Überlegenheit des kommunistischen gegenüber dem kapitalistischen System zu beweisen), oder einfach, um die kommunistische Macht und Kontrolle über die ganze Menschscheit auszuweiten. Das ganze sowjetische Raumfahrtsprogramm war aber nie so »echt« wie etwa das amerikanische.
Das wichtigste Exponat des Prager Museums des Kommunismus befindet sich aber außerhalb des Museums, auf der Straße. Es handelt sich um ein Poster, das die PassantInnen zum Besuch des Museums motivieren sollte: Das Bild einer russischen Matrjoschka, die an einer Stelle merkwürdig entstellt ist. Die Matrjoschka hat Zähne, und zwar die Zähne eines Hais. In diesem Bild kulminiert der im Museum als eine Art konzeptuelle Essenz allgegenwärtige Antikommunismus. Dieser Antikommunismus ist realpolitisch gegenstandslos. Ohne seinen aus dem historischen Horizont verschwundenen Feind kann er sich in den gegenwärtigen politischen Kämpfen nicht artikulieren. Desto wichtiger wird er im Theater der postkommunistischen Subjektivierung. Im Bild einer russischen Hai-Matrjoschka markiert er eine für die Ausbildung der postkommunistischen Identitäten geradezu ideale Differenz: das gleichzeitig als Phobie und Fetisch greifbare Stereotyp des kulturell Anderen. Zwar mag der Kommunismus einst ein Projekt universaler Emanzipation gewesen sein, heute ist er nur noch eine mit Kastration drohende Russin.
Was sich im Museum des Kommunismus eigentlich abspielt, ist eine Art kulturelle Verortung des Kommunismus. Die ganze Geschichte des Kommunismus, seine traumatische
historische Präsenz wird nachträglich für eine essenzialistische kulturelle Identität fixiert. Was einst der universale Emanzipationsanspruch des Weltproletariats war, wird heute als kulturelle Andersheit partikularisiert, relativiert und hinausprojiziert. So kann man den Kommunismus nicht mehr in der eigenen historischen Identität wieder finden, da er dort auch nie gewesen ist. Er war eine Fremde aus dem Osten, woher er einst uneingeladen zu uns gekommen ist und wohin er auch wieder abgeschoben wurde.
Das, was uns das Prager Museum des Kommunismus vorführt, ist die Geburt des postkommunistischen Subjekts aus dem fetischistischen Stereotyp. Im Verhältnis zu seiner eigenen kommunistischen Vergangenheit zeigt dieses Subjekt die für den Fetischismus typische Ambivalenz: eine gleichzeitige Anerkennung und Verleugnung seiner kommunistischen Vergangenheit. Dass diese Verleugnung die Form der kulturellen Verortung angenommen hat, zeigt uns das Prager Museum am allerdeutlichsten. Es exerziert uns nicht eine Kultur der Erinnerung vor, sondern stellt Kultur selbst als den Ort des Vergessens aus.