Heft 1/2004 - Lektüre
Ausgehend von Gayatri C. Spivaks Aufsatz »Can the Subaltern Speak?« (1987), setzt sich die Anthologie »Spricht die Subalterne Deutsch?« mit der Frage auseinander, ob und wie sich postkoloniale Theorien in den deutschsprachigen Raum übersetzen lassen bzw. welche Praxen oder Anwendungen sie dort, insbesondere im Kontext des migrantischen Widerstands gegen die zunehmende rassistische und antisemitische Gewalt der Dominanzgesellschaft, finden. In Deutschland hat sich postkoloniale Kritik zwar mittlerweile in den (akademischen) Feldern künstlerischer und wissenschaftlicher Produktion als wichtige Thematik etabliert, doch wird sie, wie die Herausgeberinnen Hito Steyerl und Encarnación Gutiérrez Rodríguez treffend festhalten, zumeist als Wissens- und Praxiszweig verstanden, der mit der gesellschaftlichen Realität vor Ort nichts zu tun habe, da er Vorgänge beschreibe, die anderswo stattfinden oder -fanden. »Spricht die Subalterne Deutsch?« zeigt jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist. In den vierzehn Beiträgen des Buches werden nicht nur faktische, historische und aktuelle Bezüge zur deutschen (und österreichischen) soziopolitischen Situation hergestellt. Es wird zudem deutlich gemacht, welche Auswirkungen postkoloniale Analysen und Debatten auf das Selbstverständnis und die Politik von MigrantInnen und Minorisierten haben.
Die einzelnen Beiträge behandeln durchaus unterschiedliche Aspekte und Positionen von/zu postkolonialen Theorien und Praxen. Encarnación Gutiérrez Rodríguez etwa gibt Einblick in die Postcolonial Studies im englischsprachigen Raum und diskutiert deren Übersetzbarkeit in den deutschen Kontext aus einer feministischen Perspektive, indem sie den Fokus auf die Repräsentation und die Artikulationspraxen minorisierter Frauen/Queers/Lesben legt. Grada Ferreiras Beitrag zur Kolonisierung des Selbst und dem Platz des Schwarzen ist ein Grundlagentext, der Alltagsrassismen anhand von Interviews mit in Deutschland lebenden schwarzen Frauen als Kontinuität kolonialer Gewalt zeigt und analysiert. Fatima El-Tayebs Text über Queer Identitiy in der Festung Europa untersucht die Verbindung von Sexualität, Gender und Ethnizität im deutschen Zusammenhang, kritisiert die von weißen mehrheitsdeutschen Lesben/ Schwulen/Queers allzu oft vernachlässigte Auseinandersetzung mit »Whiteness« und fragt nach Möglichkeiten für Koalitionen von Mehrheitsdeutschen und Ethnisierten.
Kien Nghi Has Beitrag, der umfassendste Text der Anthologie, beschäftigt sich mit den kolonialen Mustern deutscher Arbeitsmigrationspolitik. Ha konstatiert massive Defizite in den Forschungsarbeiten zu deutscher »Ausländer- und Gastarbeiterpolitik«, die er als bundesrepublikanische Varianten moderner Kolonialwissenschaften bezeichnet. Er kritisiert die isolierte Betrachtung der Migrationsbewegungen verschiedener Zeitphasen nach Deutschland, deren Folge eine Enthistorisierung ist. Dies wird unter anderem an der gängigen Meinung, Migration habe erst mit der Anwerbung der so genannten Gastarbeiter in den 1950er Jahren begonnen, deutlich. Ha analysiert Arbeitsmigration nach Deutschland entlang der Achse Wanderarbeit – Zwangsarbeit – Fremdarbeit – Gastarbeit und untersucht die Aktualität kolonialer und nationalsozialistischer Diskurse im heutigen Umgang der Dominanzgesellschaft mit ImmigrantInnen und Flüchtlingen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es interessant, die zentralen Fragestellungen des Buches auch auf den österreichischen Kontext anzuwenden und beispielsweise nach den kolonialen Mustern der Donaumonarchie und deren Tradierung in die Gegenwart zu fragen. Oder nach dem Fortbestehen nationalsozialistischer Modelle in der aktuellen österreichischen Gesellschaftspolitik. Also danach, welche Kontinuitäten und welche Brüche das koloniale und das nationalsozialistische Erbe in Österreich haben, in welchen gesellschaftlichen Bereichen dies der Fall ist und was es für wen bedeutet. Dass die Beschäftigung mit diesen Fragen eine andere ist und sein muss, je nachdem, wer aus welcher gesellschaftlichen Position (jener der Mehrheit oder der Minderheit, oder jener der …) spricht und handelt, sei hier vorausgesetzt. Das Buch »Spricht die Subalterne Deutsch?« bietet für ein solches Unternehmen im österreichischen Zusammenhang jedenfalls eine ganze Reihe wichtiger, sorgfältig recherchierter und historisch wie gegenwartsbezogen sehr präzise kontextualisierter Anhaltspunkte.