Heft 1/2004 - Diadochenkultur?


Postkommunistische Übersetzungen

Synonyme, Homonyme und Palindrome: Zum Verhältnis von Postkommunismus und Postkolonialismus

Suzana Milevska


Kann der postkommunistische Zustand in die Sprache des Postkolonialismus übersetzt werden, und ist eine derartige Übersetzung – selbst wenn sie theoretisch fruchtbar wäre – überhaupt notwendig, um die postkommunistische Erfahrung extrapolieren zu können? Oder anders gefragt: Ist der postkoloniale Diskurs, der zu einer hegemonialen akademischen Sprache geworden ist, überhaupt in der Lage, die »postkommunistisch werdende« Situation zu erklären?

Lassen Sie mich diesen Text mit einem Witz über die (Un-)Möglichkeit der Übersetzung einleiten: Warum kann ein bulgarischer Mann, der von einer mazedonischen Frau oral befriedigt wird, das nicht genießen und kommen? Antwort: Weil er ihre fremde Zunge nicht anerkennt.
Ich möchte den Witz keiner wie auch immer gearteten Gender- oder Psychoanalyse unterziehen, obgleich sich alle Elemente für solch eine Interpretation anbieten würden: Das Unbewusste, das wie eine Sprache strukturiert ist, DIE Frau, die es nicht gibt (weil ihre Sprache und folglich ihr Unbewusstes nicht existiert), die vom Namen-des-Vaters ausgeübte hegemoniale Macht, das Begehren des Anderen als unser eigenes Begehren, und so weiter. Was ich hier vielmehr betonen möchte, ist die Tatsache, dass diesem Witz im Deutschen der Höhepunkt fehlt: Das entscheidende Wortspiel, das den politischen Konflikt
zwischen bulgarischen und mazedonischen Linguisten und Politikern in Bezug auf die linguistische Differenzierung zwischen
den zwei angrenzenden Sprachen mit einer sexuellen Anspielung verquickt, bleibt einem deutschsprachigen Publikum verschlossen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil das slawische Wort »jazik« in beiden Sprachen (Bulgarisch und Mazedonisch) ein Homonym sowohl für »Zunge« als auch für »Sprache« ist.
Die Ironie, dass dieser sprachliche, aber auch kulturelle
und politische Witz ohne weitere Kontexterklärungen nur Bulgaren und Mazedoniern verständlich ist, schwingt mit bei dem Hauptanliegen dieses Textes, nämlich den Blick auf eines der entscheidenden Probleme zu lenken, welches im Kontext postkolonialer Theorie diskutiert wird: das Konzept der kulturellen Übersetzung – und zwar im Hinblick auf dessen Grenzen, die der postkommunistische Zustand an ihm offenbart.
Die komplexen Implikationen dieses Witzes über einen potenten Mann, dessen sexuelle Befriedigung durch seine
politische Mission verhindert wird, welche die Legitimität der Sprache seines Objekts der Begierde nicht anerkennt (und
dem dadurch der Subjektstatus verweigert wird), hängen mit Erinnerungen an den orthodoxen kommunistischen Glauben zusammen, welcher besagt, dass Politik, politische Mission, aber auch ökonomische Anliegen Vorrang vor allem anderen haben. Kultur und/oder jegliche persönliche Vergnügen können lediglich ein Supplement sein.
Eine Umkehrung dieser Ordnung erfolgte im Rahmen postkolonialer Theorie, in der die kulturelle Übersetzung die Symptome politischer und ökonomischer Verhältnisse durch eine Dekonstruktion jener Codes, die den Übersetzungsprozessen
von einer Kultur in eine andere zugrunde liegen, enthüllen und dadurch auch die Bedeutung dieses Supplements betonen
sollte. In Derridas Begriffen: Es gelingt nicht, den leeren Raum eines »manqué« zu füllen, da das Supplement schon von Anbeginn an da war.
Obgleich der postkoloniale Diskurs sich dadurch auszeichnet, dass er konkrete koloniale und postimperialistische Situationen kritisiert, bleiben zahlreiche der dadurch aufgeworfenen Fragen unbeantwortet, da die politische Dimension des gesamten Projekts von Anfang an von seinen eigenen Initiatoren geleugnet wurde. Die problematische politische Ethik des postkolonialen Diskurses der »Hybridität« wurde von Terry Eagleton angegriffen, der meinte: »Verglichen mit der Bejahung menschlicher Solidarität und Gegenseitigkeit, [handelt es sich um] eine drastisch verarmte Form von politischer Ethik«.1
Es ist also keine Überraschung, wenn verschiedene Passagen von Homi Bhabha, etwa: »wir sollten daran denken, dass es das ›inter‹ – die Schnittkante der Übersetzung und Verhandlung, das Dazwischen – ist, welches die Last der Bedeutung
der Kultur trägt«2 unvermeidlich Kritik provozierten, da sie die damit einhergehende politische Last nicht thematisierten. Auch wurde angemerkt, dass sich Passagen wie diese »in gefährlicher Nähe zu einer Verabschiedung jeglicher Suche nach gemeinschaftlichen Ursprüngen bewegen«.3 Was einst als klare politische Programmatik von Cultural Studies, etwa bei Stuart Hall und Frantz Fanon, auftrat, diffundierte allmählich in eine Art neutrale und fröhliche »Dazwischenheit« hybrider Identitäten; in die leicht übersetzbaren Tragödien und Traumas von Identitäten der Unterschicht in der Sprache von OberschichtsakademikerInnen.4
Jeder Versuch, die Spezifität des postkommunistischen Zustands dadurch zu übersetzen, dass man postkoloniale Theorie mitsamt ihrer Betonung der versteckten kulturellen Machtmechanismen anwendet, muss sich zwangsläufig mit der gleichen Kritik auseinandersetzen, wie sie bereits gegenüber dem postkolonialen Diskurs, vor allem in Bezug auf seine politische Ambiguität und die Privilegierung der Kultur, geäußert wurde. Worauf es mir ankommt, ist folgendes: Obgleich die Bedeutung von Hybridität, Kreolisierung, Übersetzung, Deterritorialisierung etc. mehrfach unter die Lupe genommen wurden und dabei ihre
Unzulänglichkeiten und Inkonsistenzen mehr oder weniger erfolgreich durch eine harte Kritik am postkolonialen Projekt mitsamt seiner unscharfen politischen Programmatik aufgezeigt worden sind, bemühen sich zahlreiche Intellektuelle aus Osteuropa und vom Balkan immer noch darum, das postkoloniale Vokabular zu übernehmen.
Eine der wichtigsten Fragen ist jene nach den Beziehungen zwischen dem Kulturellen und dem Politischen innerhalb des Kontextes postkolonialer Theorie – wobei nicht vergessen werden sollte, dass in der Privilegierung und Favorisierung des
Kulturellen gegenüber dem Politischen auch ein euphemistischer Eskapismus gegenüber den zentralen politischen Spannungen
in gegenwärtigen liberalen Demokratien liegen kann. Wichtig ist diese Frage deshalb, weil sie die Komplexität der miteinander verschlungenen und sich gegenseitig bedingenden Erzählungen des postkolonialen und postkommunistischen Diskurses betont. Viel versprechender scheint es demgegenüber zu sein, die
Verstrickung von regionalen und universellen Werten innerhalb einer Kultur, darüber hinaus aber auch die Differenz zwischen kultureller Spezifik und Singularität zu untersuchen.5 Trotz der gemeinsamen Begriffe wie Globalisierung, Übergang, Nationalstaat, hegemoniale Macht, Biomacht etc., die der Postkolonialismus und der Postkommunismus miteinander teilen – außerdem sollte nicht vergessen werden, wie viel die postkoloniale Theorie dem Marxismus zu verdanken hat –, bleibt dennoch die Gefahr bestehen, homonyme Missverständnisse zu übersehen. Und zwar hauptsächlich deshalb, weil nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der SFRJ, dem Fall der Mauer und mehr oder weniger dramatischen Systemwechseln in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und Rumänien all diese Veränderungen bloß in einem politischen und wirtschaftlichen Kontext diskutiert werden. Der Übergang von Kolonial zu Postkolonial wurde hingegen von den dominierenden TheoretikerInnen des Postkolonialismus, die unter kolonialen Bedingungen aufwuchsen, aber im Westen ausgebildet wurden, in der kulturellen Kritik der Erzählungen des Kolonialismus »lokalisiert«.
Deshalb will und kann sich dieser Text nicht auf die Anwendung des postkolonialen Vokabulars auf den postkommunistischen Zustand – trotz der unleugbaren Verbindung dieser beiden Phänomene – einlassen, auch deshalb nicht, weil man dadurch den postkolonialen Diskurs zu einem hegemonialen und kolonialisierenden Diskurs machen würde. Dass die unleugbaren
Verbindungen nicht homogen und einseitig sein können, sollte von Anfang an klar sein. Während der postmarxistische Diskurs
den postkolonialen und den postkommunistischen in einem
sehr komplexen Netz von Abhängigkeiten und Beziehungen verbindet, die kaum temporalisiert und hierarchisiert werden können, spielt die Globalisierung sie in einem harten, erzwungenen Kampf gegeneinander aus. Eine Aufstellung der Synonyme
und Schnittstellen beider Diskurse wäre wohl eine allzu ambitionierte Aufgabe, zumal eine solche Analyse in die komplexe Geschichte dieser äußerst ausgedehnten Perioden eingebettet werden müsste. Mir geht es auch nicht darum, die Momente »homonymer Divergenz« auszumachen, da die Dekonstruktion eben dieser Homonymie eine sorgsamere und ausführlichere Argumentation bedürfte, als dieser Text erlaubt. Dennoch kann die Symmetrie oder Asymmetrie zwischen dem postkolonialen und dem postkommunistischen Zustand nicht diskutiert werden, ohne das entscheidende Problem zu erkennen, welches bei-
de in ähnlicher aber umgekehrter Ordnung grundiert – das Herr-Knecht-Verhältnis.
Tatsächlich ist die Herr-Knecht-Dialektik eine Art Palindrom6 (in metaphorischer, nicht sprachlicher Hinsicht), das in der Mitte zwischen postkolonialem und postkommunistischem Zustand steht und niemals angemessen übersetzbar wird sein können, obwohl es aus beiderlei Richtung gelesen dasselbe bedeutet – wie es mit Palindromen in jeder Sprache der Fall ist: sie sind unterschiedlich und unübersetzbar. Damit will ich nicht behaupten, dass das hegelianische Paar alle anderen Probleme, die zu diskutieren wert wären, überschattet. Wohl aber handelt es sich dabei um ein Konzept, das Klarheit verschafft über das gesamte Problem der Möglichkeit einer »Übersetzung« des postkommunistischen Zustands in die breitere »Universal«-Sprache des Postkolonialismus.
Um die Unübersetzbarkeit der Herr-Knecht-Dialektik in den Ansätzen von Frantz Fanon und Homi K. Bhabha gegenüber
der postkommunistischen Situation deutlich zu machen, können wir auf Slavoj Zizeks Untersuchung der marxschen Bedeutung des Warenfetischismus zurückkommen, die er auf der Basis
von Lacan entfaltet. Der Warenfetischismus wird zuerst beschrieben als »eine bestimmte soziale Beziehung zwischen Menschen, die, in ihren Augen, die fantastische Form einer Beziehung
zwischen Dingen annimmt«.7 Der Wert einer bestimmten Ware setzt das quasi »naturgegebene« Eigentum einer anderen Ware voraus – Geld. Dementsprechend impliziert die wesentliche Eigenschaft des Warenfetischismus nicht die Ersetzung von Menschen durch Dinge (»eine Beziehung zwischen Menschen nimmt die Form einer Beziehung zwischen Dingen an«), »sondern besteht eher aus einer gewissen Verkennung, welche die Beziehungen zwischen einem strukturierten Netzwerk und einem seiner Teile betrifft«.8 Sobald es um die Identifizierung mit Dingen geht, vollzieht Zizek eine paradoxe Wendung und behauptet, dass
der Warenfetischismus nur in kapitalistischen Gesellschaften auftritt, wo ein Tausch zwischen freien Menschen vollzogen wird, wohingegen er in Gesellschaften fehlt, in denen es eine fetischisierte Form der Beziehung zwischen den Menschen selbst gibt: den vorkapitalistischen Gesellschaften.
Laut Zizek entwickelt sich dort kein Warenfetischismus, weil er »natürliche« Produktion ist und eben nicht für den Markt produziert wird.9 Demgegenüber dient in Gesellschaften, in denen die Beziehungen zwischen Menschen nicht »Beziehungen der Herrschaft und Knechtschaft« sind, sondern Menschen in ihren PartnerInnen Subjekte sehen, welche die gleichen Interessen teilen bzw. nur dann interessant sind, wenn sie etwas besitzen – etwa eine Ware, die ihre Bedürfnisse befriedigt –, in solchen Gesellschaften dient die soziale Beziehung zu Dingen als Deckmantel für die real existierenden sozialen Beziehungen zwischen Individuen. Ein Phänomen, das man auch als »Konversionshysterie«10 betrachten kann.
Meine Anmerkung zu diesem Argument wäre, dass sich während des kommunistischen Versuchs, mit jeglicher Art von fetischisierten Beziehungen »der Herrschaft und Knechtschaft« zwischen Menschen zu brechen und sie stattdessen auf Waren zu übertragen, eine schlagartige Auflösung der Herr-Knecht-Dichotomie vollzog. Als der Kommunismus mit der Realisierung dieses geplanten Bruchs scheiterte, wurde auch eine umfassende Rekonstruktion der dialektischen Moments notwendig.
Worauf ich hinaus möchte, ist die Tatsache, dass im Zuge des Übergangs vom Kommunismus zum Postkommunismus die Herr-Knecht-Beziehungen sich auf äußerst chaotische und unvorhersehbare Weise neu zu bilden begannen, die nicht auf ausschließlich ethnischer oder geschlechtsspezifischer Basis beruhten. Während in der postkolonialen Situation das imperiale Herr-Knecht-Modell aus der Zeit der kolonialen Dominanz noch eine umgekehrte Entwicklung hätte nehmen können, zumindest
der Möglichkeit nach (die nichtsdestotrotz sehr bald durch das
kapitalistische Modell ersetzt wurde), musste die Herr-Knecht-Dialektik im postkommunistischen Zustand tiefer greifenden Revisionen unterzogen werden – eine Phase, die bis heute andauert.
Die ehemaligen »Eigentümer« der Fabriken und Produktionsmittel versprachen Gleichheit und Brüderlichkeit, was als politische Wahrheit unrealisiert blieb. Vielmehr wurden sie zu Gefangenen der strategischen Situation, beherrscht von unserem eigenen »Begehren, Vermittler einer höher entwickelten Gesellschaft«11 zu sein. In vielerlei Hinsicht gab es – im Gegensatz zur kolonialen Situation – auch viel zu verlieren: Das Ideal der Gleichheit und Solidarität wurde, obgleich es nur im Reich der Ideale existierte, durch das Ideal der Demokratie, der Marktwirtschaft und durch das des endlosen Konsums ersetzt – letztere ebenso eher im Reich des Idealen als in dem des Realen angesiedelt. Wie Zygmunt Bauman in einem Essay über die historischen und politischen Implikationen des kommunistischen Zusammenbruchs schreibt: »Die Welt ohne Alternative braucht Selbstkritik, als Voraussetzung des Überlebens und der Dezenz«.12
Schwer vorstellbar, dass der Postkolonialismus Potenziale zur Selbstkritik des postkommunistischen Zustands enthält,
vor allem, wenn man bedenkt, dass er diesbezüglich in seinem eigenen Kontext nicht sehr erfolgreich war. Aber aus den Fehlern kann man auch lernen. Es ist wichtig festzuhalten, dass die überzogene Bedeutung der kulturellen Übersetzung innerhalb der postkolonialen Theorie als ein Indikator innergesellschaftlicher Widersprüche, um den Witz zu Textbeginn aufzugreifen, nichts beweisen oder klären kann, solange der politische Hintergrund der Phänomene ausgeblendet bleibt. Einzig durch eine profunde Analyse des politischen Rahmens des Kulturellen können die Gründe für eine erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Interaktion der Kulturen verstanden werden.

 

Übersetzt von Brandon Walder

 

1 Terry Eagleton, Postcolonialism and »Postcolonialism«,
in: Interventions,1:1 (1998-1999), S. 26; zitiert nach Peter Hallward,
Absolutely Postcolonial: Writing between the Singular and the Specific. Manchester/New York 2001, S. 338, Fn. 34.
2 Homi K. Bhabha, The Location of Culture. London/New York 1998, S. 38.
3 Ella Shohat, Notes on the Post-Colonial, in: Contemporary Postcolonial Theory:
A Reader. Hg. v. Padmini Mongia. London 1996, S. 330; zitiert nach Hallward,
Absolutely Postcolonial. S. 36, Fn. 94.
4 Slavoj Zizek, The Spectre is still Roaming Around – an introduction to the
150th anniversary edition of the Communist Manifesto. Zagreb 1998, S. 70.
5 In seinem Buch Absolutely Postcolonial gibt Peter Hallward Einsicht in jüngste
Diskussionen über die Unzulänglichkeiten des postkolonialen Diskurses
aus einer postmarxistischen Position heraus, wobei nicht einfach nur der Ruf
nach mehr Spezifität oder Kontextualisierung laut wird (ihm zufolge stoßen
gerade hier heidungen, die in diesen Texten gezogen worden sind:
zwischen einer spezifischen und einer singulären Betonung der Gefahr, dem
»Spezifizierten« in die Falle zu gehen.
6 Ein Palindrom (von griechisch palíndromos = rückwärts laufend) ist ein Wort
oder ein Satz, der von vorne oder hinten gelesen den gleichen oder einen
anderen Sinn ergibt.
7 Slavoj Zizek, How did Marx Invent the System?, in: Mapping of Ideology.
Hg. v. S. Zizek. London/New York 1999, S. 308.
8 Ibid., S. 310.
9 Ibid.
10 Ibid., S. 314.
11 Gayatri Chakravorty Spivak, A Critique of Postcolonial Reason:
Toward a History of the Vanishing Present. Cambridge Mass., London 1999, S. 357.
12 Zygmunt Bauman, Living without Alternative, in: Post-Marxism: A Reader.
Hg. v. Stuart Sim. Edinburgh 1998, S. 100.