Zürich. Eine Besonderheit der historischen Konzeptkunst bestand in ihren literarischen Aktivitäten; Ähnliches findet sich in der Gegenwart selten. Oftmals werden heute Arbeiten, die auf irgendeine Weise Schrift benutzen, als »konzeptuell« deklariert, ohne dass nach ihrem Ansatz, ihrer Bedeutung oder ihrer Funktion gefragt würde. Differenzierungen kommen zu kurz. Mein Anlass, zur Ausstellung von Art & Language nach Zürich zu fahren, war ein Interview mit Michael Baldwin und Mel Ramsden, den gegenwärtigen Aktivisten des ehemals internationalen und vielfach verzweigten Kollektivs, das ich für einen Essayfilm aufnehmen wollte. Anlässlich der Ausstellung führten Baldwin und Ramsden eine ihrer inszenierten Diskussionen auf, die sich unter dem Titel »Theses on Feuerbach« als dialogisch aufgebauter Vortrag darstellte: In einem Diskurs über erkenntnistheoretische Fragen sowie aktuelle Entwicklungen des künstlerischen Feldes, die durch Bezüge auf populäre Tendenzen oder die Aktualisierung linguistisch-postmoderner Reflexivität ergänzt wurden – wie sie für die Auseinandersetzungen von Art & Language typisch waren und sind – spielte ihr gelesener Dialog unterschiedlichste Denkweisen durch, um voller Selbstkritik bzw. Ironie in einem Beckett-Zitat zu enden: »If you’re full of shit, the only thing you can do is sing«.
Ihre im migrosmuseum präsentierten Arbeiten konzentrierten sich auf die letzten vier Jahre, akzentuierten jedoch mit »Index 003« von 1973 eine gewisse Kontinuität innerhalb der eigenen Arbeit; diese Arbeit markiert ein »strukturalistisches Forschungsanliegen«, das von ihnen jedoch auch wieder zurückgewiesen wird. Neben der Ausstellung von Art & Language wird ein Ausschnitt aus der Sammlung des migrosmuseums gezeigt – etwa Gerhard Richter, Georg Baselitz, Robert Mangold, Robert Ryman, Julia Scher und andere –, in den sich Arbeiten von Art & Language einstreuen: »Homes From Homes II« (2000–01) zeigt unterschiedlichste Malweisen auf kleinen Keilrahmen, die frühere eigene Themen aufgreifen.
In fast allen gezeigten Arbeiten von Baldwin und Ramsden tritt die Rationalität der Erscheinung nicht als erkenntnistheoretisches Programm auf, sondern als künstlerisch-visuelle Haltung. Es geht vor allem – wie durch diese heterogenen Bildstrategien an der Wand dokumentiert – um den künstlerischen Diskussionsprozess, der mittels unterschiedlicher formaler sowie inhaltlicher Bezüge vorangetrieben wird. Wie die beiden Protagonisten im Gespräch betonen, speist sich ihre Haltung aus der Modernismuskritik der 1960er Jahre. Diese künstlerische Provokation wurde oft als Designstandpunkt abgetan, da sie durch Reihung, Serialität, einfache Materialien und Einführung grafischer Elemente das Gestische und das »Kreativistische« des Modernismus in eine ideologiekritische Gestaltung umdefinierten: »It may be instructive to unpack the remark that Conceptual Art wasn’t a style, it was more like Modernism’s nervous breakdown.« Dieses Zitat aus der großen Wandinstallation »Study for Index. Landscape with St. George« (2000-01) im Hauptraum des migrosmuseums verdeutlicht in der Auseinandersetzung mit monochromer Malerei die Autodiskursivität von Art & Language, die jedoch wie in der Arbeit »Now They Are Again I-XIX« von 2002 an einem provokanten Bild der Geschichte der Kunst verankert wird; in diesem Fall Courbets »L’Origine du Monde« (1866). Courbets Abbildung eines weiblichen Geschlechts wird als Zeichnung und in Verbindung mit dem Natursymbol »Baum« auf typische Formate von monochromen Gemälden bezogen und serialisiert.
Die Installationen im vierten Raum, »Mother, Father, Monday I-III« (2001-02), greifen das Thema der Kartografie auf, um die Subjektivität und Abhängigkeit von Raumwahrnehmung durch ihre sprachliche Auffassung zu reflektieren; beispielsweise findet sich an einer Stelle der grafisch und unterschiedlich farblich gestalteten horizontalen Fläche die Wortkombination: »Semiotic Hardcore«, die aus der Überschrift eines eigenen Aufsatzes stammt und sich als selbstreflexives Wortspiel ironisiert. Kommen im Arrangement der migros-Sammlung ältere mit neueren Art-&-Language-Arbeiten in einen Dialog über Kontext und Reproduktion – beispielsweise werden fast identische Motive in unterschiedlichen Farben wiederholt –, verbinden sich hier erkenntnistheoretische Fragen mit populären Wortspielen.
Zu jedem der in der Ausstellung erhältlichen ausführlichen Kommentare von Art & Language zu den einzelnen Arbeiten – die nur bestimmte Aspekte der Produktionsseite beleuchten, jedoch keine allgemeine Erklärung anbieten – fallen einem sofort jede Menge Einwände, Fragen, Kritik und Ablehnung ein; doch genau diese Mischung aus persönlich biografischen, erkenntnistheoretischen oder kontextbeziffernden Kommentaren provoziert den Widerspruch gegen das am häufigsten vorgebrachte Vorurteil gegen die Konzeptkunst: dass sie rationalistisch oder gar didaktisch ihre Rezeption determiniere.
Lässt man sich neben der räumlichen Installationen auch auf die Diskussionsstrukturen dieser Kunstpraxis ein, eröffnen sich mehr Fragen als Antworten zur zeitgenössischen Kunst. Die künstlerischen Risiken, denen sich Art & Language aussetzen, erscheinen ebenso menschlich sympathisch wie zum Teil theoretisch schwer nachvollziehbar, auf jeden Fall aber als eine diskursiv-politische Position.