Heft 2/2004 - Artscribe


»Call me ISTANBUL ist mein Name«

18. April 2004 bis 8. August 2004
ZKM / Karlsruhe

Text: Dietrich Heißenbüttel


Karlsruhe / Stuttgart / Berlin. Trotz einer langen Geschichte kultureller Beziehungen hat Gegenwartskunst aus der Türkei im deutschsprachigen Raum lange Zeit wenig Beachtung gefunden. Eine Hand voll Namen sind inzwischen bekannt, doch nun, im fünfzehnten Jahr der Istanbul Biennale, scheinen sich Galerien und Museen endlich auch jüngeren KünstlerInnen zu öffnen. Dass sich in diesem Frühjahr gleich zwei Ausstellungen in Karlsruhe und Stuttgart dem Thema Istanbul widmen, ist jedoch Zufall. Bei näherer Betrachtung kamen die Projekte aus ganz verschiedenen Gründen zustande.
»Call me Istanbul« im ZKM ist Teil der 17. Europäischen Kulturtage, mit denen sich Karlsruhe für die Wahl zur Kulturhauptstadt 2010 herausputzt. Peter Weibel stützt sich dabei auf sein KuratorInnenteam von »In Search of Balkania«, 2002 in Graz, mit Eda Cufer und Roger Conover. Im Katalog entrollt Weibel die komplexe historische Dimension gegenwärtiger Probleme, weist zu Recht noch einmal auf Edward Saids Epoche machendes Werk zum Orientalismus hin und versucht mit Hilfe der Systemtheorie, der chaotischen Entwicklung der Stadt am Rande Europas eine utopische Perspektive abzugewinnen.
Freilich ist es mit den Stereotypen nicht so einfach: Wer einen eher monumentalen als schönen Ausstellungsraum, wie ihn das ZKM bietet, bespielen will, muss zunächst Aufmerksamkeit erregen und die Besucher anlocken. So kommen KünstlerInnen zum Zuge, die sich interessant machen wollen, indem sie sich als »anders« präsentieren, und schon halten fröhlich die alten Klischees wieder Einzug, die soeben noch in der Kritik standen: Tanzende Derwische und Minarette dienen als kulturelle, Kopftuch und Schnauzbart, Schleier und Bauchtanz als geschlechtsspezifische Differenzmarkierungen. Auch das Spiel mit neuester Technologie garantiert noch keine künstlerische Relevanz. Umgekehrt hat die im Handwerklichen verbleibende, raumgreifende Filzinstallation von Selçuk Gürisik wenigstens einen ästhetischen Reiz.
Ex oriente lux: Die utopische Hoffnung, aus Istanbul wegweisende Anregungen zu erfahren, scheint durch die Ausstellung kaum gedeckt. Frauen in Schwarz auf schwarzweißen Videoleinwänden, sich drehende Schaufensterpuppen, Mädchenporträts mit rohem Fleisch: All dies lässt sich mühelos auf bekannte Vorbilder zurückführen. Sinnvolle Strategien scheinen eher im Bereich des Dokumentarischen zu liegen, wenn auch die überbordende Materialsammlung zur Geschäftsstraße Istiklal von Ertug Uçar, Simge Göksöy und Erhan Murtaoglu die Frage nach dem Sinn eines solchen Unterfangens aufwirft. Überzeugend gelingt es dagegen Can Altay in einer Arbeit über Altpapiersammler, die Allgegenwart des Dokumentierens und Wegwerfens durch Ausdrucke zum Mitnehmen in die Realität der AusstellungsbesucherInnen zu verlängern. Weiterhin interessant, weil auf die Frage nach Blick und Repräsentation rückbezogen, bleiben ferner die Arbeiten von Aydan Murtezaoglu und Bülent Sangar zum Verbergen des Gesichts und des Körpers. Die historische Tiefe des Stadtraums erkundet im wörtlichen Sinne Gérard Mermoz, der die scheuen Versuche eines sechsjährigen Mädchens aufzeichnet, in einer jahrhundertealten Zisterne seine Stimme zum Klingen zu bringen. Einige der lohnendsten Arbeiten etwa der Gruppen nomad und xurban oder die Dokumentation von Esra Ersen über Straßenkinder finden sich indes in die verborgensten Winkel des Raumes verbannt.
Dass weniger mehr sein kann, zeigen die parallelen Ausstellungen im Badischen Kunstverein, in der Stuttgarter ifa-Galerie und in der K&S-Galerie in Berlin. Mitteleuropäische KünstlerInnen türkischer Herkunft präsentiert der Kunstverein: Einige sind in der Türkei geboren, andere in Deutschland. Alle gehören zur Generation der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen, doch die künstlerischen Mittel von konventioneller Malerei bis zur Objekt- und Medienkunst könnten unterschiedlicher kaum sein. Nevin Aladags Arbeiten zur Hiphopkultur prägen das Bild und bringen Schwung in die Ausstellungsräume. Nasan Tur reflektiert mit einer Videoüberwachung türkischer Gebetsräume aktuelle Ereignisse. Doch es gibt weitere bemerkenswerte Arbeiten wie die Videoinstallation Fahrettin Örenlis, der in einem vermeintlichen Rednerpult unter der Europafahne einen Skorpion sich winden lässt, oder die von unsichtbarer Hand bewegten Eisenfeilspäne Banu Cenettoglus.
Auch die Ausstellung der ifa-Galerie versucht zunächst, den Betrachter gefangen zu nehmen, und zwar auf vollkommen klassische Weise: Die Rückenfigur einer rauchenden Frau am Fenster auf einem Foto von Aydan Murtezaoglu lenkt den Blick auf eine Stadtlandschaft mit zwei Minaretten. Eine Arbeit des Berliners Erik Göngrich, der auch im ZKM vertreten, dort aber in einen engen Zwischenraum gezwängt ist, nimmt den Betrachter weiter an die Hand. Göngrichs Daumenkino gibt einen amüsanten und lehrreichen Einblick in das Wachstum der Megalopole, die inzwischen auf zwölf bis über fünfzehn Millionen Einwohner beziffert wird. Vorbei an den ersten Katasterplänen aus den zwanziger Jahren, an fotografischen und multimedialen Erkundungen des öffentlichen und halböffentlichen Raums führt der Weg zu einem einladenden Büchertisch, den die Soziologin Pelin Tan zusammengestellt hat: Eine Innenansicht der größten türkischen Stadt bietet der Kurator Vasif Kortun in der Stuttgarter Ausstellung, der ersten in einer Reihe über die Megastädte der Welt.
Wie sich Klischeebilder vermeiden lassen, zeigt die kleine, von Erden Kosova kuratierte Ausstellung in der Berliner Galerie K&S. Ob Erinç Seymen durch Vermummung die Isolation des Individuums im städtischen Raum sichtbar macht oder auf einem Foto der Finnin Tea Mäkipää ein Fotograf das Biwak eines Wohnsitzlosen auf dem Dach eines Kaufhauses aufnimmt: Beides deutet weniger auf kulturelle Identitäten als auf Verwerfungen im urbanen Gefüge. Keine Arbeit bringt dies so klar auf den Punkt, wie eine Dokumentation Esra Ersens über AfrikanerInnen, die – oft auf dem Weg nach Deutschland – in Istanbul gestrandet sind und sich dort nun in einer ähnlich marginalisierten Situation wiederfinden wie ihrerseits TürkInnen in Mitteleuropa.

 

 

2.5.-10.6.04: Badischer Kusntverein, Karlruhe
7.4.- 30.5.04: ifa-Galerie Stuttgart
29.10.04-9.1.05: ifa-galerie Berlin
22.4.- 29.5.04: Galerie K&S, Berlin