Heft 2/2004 - Artscribe


Jiri Kovanda – »I am not against«

6. April 2004 bis 9. Mai 2004
Haus der Herren von Kunstat / Brünn

Text: David Kulhanek


Brünn. Für eine komplexe Retrospektive auf das Werk von Jiri Kovanda (geboren 1953) gibt es triftige Gründe. Insbesondere seine Aktionen aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und Anfang der achtziger Jahre, die in der zeitgenössischen tschechischen Kunst einen wichtigen Referenzpunkt darstellen, werden vor allem in den letzten Jahren in einem breiteren (nicht nur mitteleuropäischen) Kontext gesehen. »Traditionsannullierung« der festgefahrenen tschechischen Kunst könnte vereinfacht ein Stichwort für Kovandas frühe Werke heißen. Seine konzeptionelle Position ist nicht mit der derzeitigen Situation der tschechischen Kunst gleichzusetzen und begründet (unbeabsichtigt) »seine Linie«, die wiederum mit der Gegenwart stark verknüpft ist. Auf diesem Rück-Blickwinkel beruht auch die aktuelle Wertschätzung Kovandas. Der Titel der Brünner Ausstellung »I am not against« ist wahrscheinlich aufgrund eines intensiven Gefühls entstanden und sollte als lakonisches Statement des Künstlers betrachtet werden, der vor allem ein Künstler des »Standpunktes« ist: dem der Verbindung zwischen (latenter) radikaler Geste und bewusstem (passiven) Abstand, welcher diese Geste mit einem gewissen stillen Staunen umsorgt. Was bedeuten Kovandas Radikalität, Passivität und Staunen über die schlichteste Realität?
Die ersten Aktionen von Jiri Kovanda datieren 1976 – einer Zeit, in der auch die Aktionskunst eines Jan Mlcoch, Petr Stembera oder Karel Miller nur marginal rezipiet wurde. Kovandas Aktionen, in denen er selber als Performer agierte, hatten ein ziviles Erscheinungsbild, das vom spektakulären Experimentieren mit physischer Belastung und metaphorischen Hinweisen abwich. Ihre Stärke beruht auf einer gewissen substanziellen sozialen Gewöhnlichkeit und auch in ihrer Unsichtbarkeit.
Wenn er eine Rolltreppe benutzt und den Leuten hinter ihm gebannt in die Augen starrt (3.9.1977) oder sich auf einem Gehsteig mit offenen Armen der vorbeigehenden Menschenmenge entgegenstellt (19.11.1976), geht es nicht nur um die Exposition des eigenen Körpers und auch nicht allein um Interaktivität. Die Realisierung dieser Szenarios beinhaltet einen ganz speziellen »ontologischen« Übergriff. Als ob Kovanda lediglich auf einen sehr zerbrechlichen, feinen, in seiner entwaffnenden Einfachheit unantastbaren »Zwischenraum« der menschlichen Realität hinweisen wollte.
In weiteren Aktionen und Installationen interveniert er unauffällig im öffentlichen Umfeld mit Hilfe banaler Objekte und Materialien, wie zum Beispiel einem Häufchen Mehl auf einem Brückengeländer aus Stein oder Plastilin auf einem Geländer aus Holz (z.B. »Salzige Ecke, Süßer Bogen«, Brücke des 1. Mai, Prag, September 1981).
Seit der Mitte der achtziger Jahre malt Jiri Kovanda und baut Objekte. In der Malerei verfolgt er das Collagenprinzip des Überdeckens von Bedeutungen und Anhäufungen von absurden Kombinationen. Er verwendet kuriose Informationen aus der Tagespresse und entfernt die Schlagzeilen aus ihrem Kontext. Objekte, in denen er die Ästhetik der Armut und des Außergewöhnlichen, des Seltsamen darstellt, setzt er aus alten Holzstücken oder aus anderen gebrauchten Gegenständen zusammen.
Auch die Retrospektive in Brünn, die Vit Havranek mit Marek Pokorny und Zbynek Baladran kuratierte, arbeitete mit den oben erwähnten »Techniken«. Die Dokumentation von Kovandas Aktionen wurde in »körperliche« und »materielle« Interventionen gegliedert, ausgewählte Bilder und Objekte werden ebenso präsentiert. In der improvisierten Publikation, die in einer Auflage von zwei Bänden auf einem leeren Tisch lag, konnten sich die BesucherInnen mit dem Inhalt von Kovandas Bibliothek (einer Liste künstlerischer Publikationen und der involvierten KünstlerInnen) vertraut machen, um Einblick in die möglichen Inspirationsquellen der Künstlers zu erhalten.
Ein wichtiger Faktor, der die Ausstellung beeinflusst hat, waren einige Einrichtungsdetails der Galerie. Das »Haus der Herren von Kunstat« wurde in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre aufwendig rekonstruiert, das Resultat der Rekonstruktion illustriert den postkommunistischen Realismus. Die italienischen Fliesen, das Geländer aus einer Kombination aus Holz, Glas und Metall, goldene Türschnallen und der polierte Parkettboden erinnern eher an eine Luxuspension. Kovanda betrachtete die Installation der Ausstellung als eine Art Ironisierung des Raumes. Aus dem Lagerraum verwendete er neben Sockeln und Gipsplatten auch alte Lehnstühle und einen zusammengerollten, aus dem Büroraum des Direktors geliehenen Teppich, der zu einem eigenständigen Exponat umfunktioniert wurde.
Kovandas individuelle künstlerische Arbeit stellt im tschechischen Umfeld eine wesentliche Abweichung von der Mythologisierung des Künstlers und des künstlerischen Prozesses dar. Kovanda entzieht Dinge und Situationen ihrer automatischen Eingliederung in einem logischen System. Er schiebt sie »irgendwoanders« hin, setzt Dinge und Situationen in Bewegung, deren Richtung vollkommen frei ist. Diese radikale Betrachtung und Vorgangsweise, ob man sie nun als Konzept oder ironisierendes Spiel sehen will, intendiert vor allem eine Befreiung von festgefahrenen, automatisierten Praktiken der alltäglichen Selbstreflexion und der künstlerischen »Tat«.

 

Übersetzt von Jan Svoboda