Die Kunst der Gegenwart bezieht ihre Bestätigung zu einem Gutteil aus der »Differenz zum Provinziellen«. Der weltoffene, ja kosmopolitische Impuls hier – der rückständige, engstirnige Provinzialismus dort. Zumindest als rhetorischer Schachzug scheint dies immer noch gut zu funktionieren, und so war etwa, bezogen auf Globalisierungszusammenhänge, zuletzt gar von einer »Kunst aus den Weltprovinzen« die Rede.
Wer aber bestimmt darüber, welche Herkunfts- und Referenzbereiche von Kunst als provinziell und welche als weltgewandt-mondän anzusehen sind? Wo genau verläuft die Grenze zwischen urban-zentral und ländlich-peripher? Welche kulturellen Faktoren speisen das immer noch dominante Machtgefälle von Stadt und Land? Aus unterschiedlichen Perspektiven gehen die AutorInnen des aktuellen Heftes diesen Fragen nach. Zunächst steht dabei einmal mehr die neue alte Machtgeografie im Mittelpunkt, die im Zuge der Globalisierungsdebatte zwar einer grundlegenden Revision unterzogen wurde, praktisch aber auf die erneute Einrichtung einer »imperialen Infrastruktur« (Brian Holmes) hinauszulaufen scheint. Dass die Topografie von Zentrum und Peripherie kein ein für allemal gegebenes Diskursraster bildet, kommt ebenso zur Sprache (Klaus Ronneberger) wie die aktuelle Neubegründung von Grenzregimes an den Aussengrenzen Europas (Serhat Karakayali & Vassilis Tsianos).
Darüber hinaus richtet sich der Blick weit über Kernzonen westlicher Gegenwartskultur hinaus und geht den hartnäckigen Zuschreibungen von westlich-modern und nichtwestlich-rückständig nach. Eine Bestandsaufnahme aus der Kunstszene Kirgisistans sowie ein Schlaglicht auf die paradoxe Gespaltenheit der chinesischen Gegenwartskunst beleuchten dieses immer noch gängige Leitmotiv vieler Debatten. Eine mehrteilige Diskussion aktueller Afrika-Bilder innerhalb und außerhalb des Kontinents rundet diese Auseinandersetzung ab. Durchgehend verdeutlicht sich daran, dass Provinzialisierung zumeist als ebenso gewollter wie strategischer Prozess funktioniert. Gleichfalls erkennbar wird, dass sich die kulturellen Konturen einer nachhaltigen Ent-Provinzialisierung der Welt – und nicht nur der Kunst aus benachteiligten Regionen – bestenfalls erahnen lassen.