Wer diesen Sommer von Belgrad aus in die Provinz aufgebrochen ist, um sich in Vrsac nahe der rumänischen Grenze die jugoslawische Biennale junger KünstlerInnen1 anzusehen, fand dort eine Arbeit, welche die momentane politische, gesellschaftliche und kulturelle Situation der Metropole Belgrad vorführt. Biljana Bodiroga und Slavica Daniç dokumentieren den größten »Open Market« Jugoslawiens, »Aerodrom Panãevo«. Verbunden ist dieser Ort mit der Stadt Belgrad über die einzige U-Bahn-Linie des Landes, Beovoz, an deren anderer Endhaltestelle nicht von ungefähr der große informelle Markt am (Wohn-)Block 70 in Novo Beograd (Neu Belgrad) liegt.
Diese beiden Orte des informellen Handelns, verbunden durch die U-Bahn, scheinen für die Stadt Belgrad wichtiger als der internationale Flughafen. Eine Hypothese, die Bodiroga und Daniç in ihrer Recherche untermauern, wonach »Aerodrom Panãevo« landesweit besser per Bus erreichbar ist als der internationale Flughafen.2
Belgrad ist eine große Stadt. Wer heute die Knez Mihailova entlang geht, die bekannteste Einkaufsstraße der 1,5-Millionen-Stadt3, findet dort die üblichen Markenartikel jeder größeren Stadt. Inzwischen sind auch das Goethe Institut, das Institut Français und das British Council wieder fester Bestandteil der Innenstadt. Nichts erinnert an die Ausschreitungen von 1999 während der NATO-Luftangriffe auf Belgrad, deren Angriffsziele diese Institute aus NATO-Ländern waren.
Belgrad ist eine international bekannte Stadt, die sich um internationalen Anschluss bemüht. Branislav Dimitrijeviç, Leiter der »Schule für Geschichte und Theorie der Bilder«4, formulierte dies schon 2001: »Eine radikale Internationalisierung ist eine dringende Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Nur auf diese Weise wird man eine Restauration des ›ancien regime‹ verhindern können.«5 An dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert. Katarina Zivanoviç, die Leiterin des Kulturzentrums Rex6, erklärt, angesprochen auf die Ermordung des Ministerpräsidenten Zoran Djindjiç (Demokratische Opposition Serbiens) im Jahr 2003, dass während des folgenden nationalen Notstands die Angst in der Öffentlichkeit groß war, nationalistische Kräfte könnten den Demokratisierungsprozess kippen. Im Verlauf der Ermittlungen wendeten sich Spezialeinheiten der Armee gegen die Regierung und blockierten die Autobahn, die Belgrad mit Budapest verbindet. Das Land entging nur knapp einem Bürgerkrieg. Im Westen blieben diese Konflikte im Aufmerksamkeitsschatten der Kriege in Afghanistan und dem Irak weit gehend unbemerkt.
In dieser Verschiebung der internationalen politischen Aufmerksamkeit liegt auch ein Teil des Problems, das Belgrads Kulturinitiativen zunehmend zu schaffen macht. Wichtige Kulturförderungen für die Region, wie sie zum Beispiel der »Stabilitätspakt für Südosteuropa«7 generierte, versiegen. Ersetzt werden sie durch Programme, die sich mit Religionen und dem Islam im Besonderen beschäftigen. Auch der Schwerpunkt »EU Osterweiterung« übergeht Belgrad und arbeitet sich an benachbarten Ländern wie Kroatien, Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien ab. Selbst »relations«8, ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes im Programm Mittel- und Osteuropa, lässt Belgrad 2004 voraussichtlich leer ausgehen.
Dabei sind es gerade internationale Kontakte und Kollaborationen, um die sich verschiedene Institutionen wie Rex oder die in der Gründung begriffene Galerie O3one (Ozon) in ihrem Programm bemühen.9 Das Student Cultural Center (SKC)10 holte diesen Sommer einen solchen internationalen Bezug in die Innenstadt Belgrads. Die Abschlussveranstaltung des »Peoples’ Global Action«-Netzwerks11, das sich für eine Woche in einem Vorort Belgrads versammelte, fand in der Galerie statt und legte für einige bewegende Minuten den Straßenverkehr der angrenzenden Hauptverkehrsstraße zwischen dem Hotel Slavija und dem Parlament lahm.
Neben internationalen Kontakten geht es heute auch verstärkt um eine Reform nach Innen. Das verbindende Ziel vieler heterogener Gruppierungen, der Sturz von Miloseviç, ist Geschichte. So wurde aus der außerparlamentarischen Protestbewegung Otpor eine parlamentarische Partei gleichen Namens12 sowie eine »Consultancy« für Widerstandsbewegungen13, die zuletzt erfolgreich in Georgien zum Einsatz kam.14
Im kulturellen Bereich lässt sich diese Umorientierung am Beispiel der Institution Rex illustrieren. Rex wurde in den neunziger Jahren als Teil des unabhängigen Belgrader Radios B92 ins Leben gerufen und machte sich mit Aktionen, Theater- und Filmprogrammen lokal einen Namen in der Widerstandsbewegung. International erlangte es durch Internetprojekte Anerkennung an der Schnittstelle von Kultur, Politik und Zivilgesellschaft. B92 ist inzwischen vom demokratisierenden Radioprojekt zum Medienunternehmen mutiert, kommerzieller Fernsehsender inklusive. Damit unterliegt es finanziellen Zwängen und ist bemüht, schwarze Zahlen zu schreiben.
In diesem Zuge wird Rex derzeit von B92 getrennt und als unabhängige Institution etabliert, die ihre Finanzierung eigenständig sichern muss.
Neben der formalen Umstrukturierung versucht Rex sich auch inhaltlich neu zu orientieren. Das aktuelle Projekt »Plan B«15 für 2004 und 2005 wendet sich der demokratischen Öffentlichkeit zu, nach dem Motto: »from tactical media to practical media«. In einer Reihe von Veranstaltungen geht es darum, eine kritische, demokratische Öffentlichkeit zu bilden bzw. diese zu finden und zu unterstützen. Medien werden hier nicht mehr als Waffe definiert, sondern als Hilfsmittel.
Viele Initiativen in Belgrad positionieren sich noch in der oppositionellen Tradition, und man findet sie in der Regel in Nebenstraßen oder Hinterhöfen. Oder, wie das Galerie- und Magazinprojekt »Remont«16, in der zweiten Etage eines Einkaufszentrums. Versteckt liegt auch die Galerie des »Belgrade Youth Cultural Centre«17, dessen Erdgeschoß aus Finanzierungsgründen als Café untervermietet wird.
Raus aus den Hinterhöfen und die Öffentlichkeit suchen, das ist ein wichtiger Schritt für das Team um die im Oktober eröffnende Galerie O3one. Aus diesem Grund wurde die ehemalige Galerie für jugoslawische Kunst angemietet, die traditionell und mit großer Fensterfront regimefreundliche Kunst aus Groß-Jugoslawien zeigte. Finanzielle und materielle Unterstützung kommt aus der Medienbranche – dank der guten Kontakte des Initiators und Gründers der Belgrader Werbeagentur Orange Studio, Nebojsa Babiç. Die Belgrader Kunsthistorikerin Milena Grabaciç arbeitet seit kurzem als Kuratorin für den künftigen Veranstaltungsort für neue Medien. Folgt man den Ausführungen von Grabaciç, wird man dort ein interessantes Programm vorfinden – besonders wenn sie es noch schafft, die allzu westlichen Pläne für eine Espressobar in der Galerie zu kippen.
Belgrad ist eine große Stadt mitten in Europa. Vielleicht ist es die kulturelle Nähe zum Orient, die Westeuropa verunsichert.
Belgrad stand vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert unter türkischer Herrschaft. Das ist lange her, möchte man meinen, aber vielleicht verlaufen die kulturellen Grenzen heute immer noch durch Belgrad. So antwortet Grabaciç auf die Frage, wie ihr New York gefallen habe: »It was great. Almost as interesting as Istanbul.«
1 Die Biennale zeigte dieses Jahr zum ersten Mal
seit langem wieder internationale KünstlerInnen. http://www.yuartbiennial.vrsac.com
2 Vgl. Biljana Bodiroga and Slavica Daniç
im Katalog der »Jugoslovenski Bijenale Mladih 2004«
(The Yugoslav Biennial of Young Artists 2004).
3 http://www.beograd.org.yu/cms/view.php?id=301201
4 http://www.dijafragma.com/education.html
5 Vgl. Branislav Dimitrijeviç im Gespräch mit Boris Buden, »Nachdem alles wieder normal ist«,
in: springerin 1/2001, S. 51.
6 Rex lief bis 1999 unter dem Namen Cinema Rex. http://www.rex.b92.net
7 http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/
regionalkonzepte/westlicher_balkan/index_html
8 »Relations entwickelt gemeinsam mit KuratorInnen, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen in verschiedenen Ländern des östlichen Europa und in Deutschland Kunst- und Kulturprojekte. Unser Ziel ist es, aus dem lokalen Kontext heraus übergreifende Fragestellungen zu formulieren, die Kunst,
Lebensalltag, Wissenschaft, Politik und Geschichte miteinander in Beziehung setzen.« (http://www.projekt-relations.de)
9 http://www.o3.co.yu/. Auch der 45. October Art Salon kündigt eine »International exhibition for the first time« an (http://www.oktobarskisalon.org/home_e.htm).
10 http://www.skc.org.yu/infoeng.php
11 http://www.pgaconference.org/call/en_call.html
12 http://www.otpor.com
13 »›Im Spätsommer des letzten Jahres sind die Georgier zu uns nach Belgrad gekommen und hier haben wir die ersten Erfahrungen ausgetauscht‹, berichtet Aleksandar Waric von der serbischen Otpor-Widerstandsbewegung. ›Vor allem haben sie uns ihre Situation klargemacht. Wir haben sie beraten, und sind dann vor Ort in Tiflis gewesen – so hat ein regelrechter Wissenstransfer begonnen.‹« (http://www.ndrtv.de/kulturreport/revolution_als_exportschlager.html)
14 Vgl. den Bericht auf http://www.freerepublic.com/focus/f-news/1029727/posts
15 http://www.rex.b92.net/planb
16 http://www.remont.co.yu
17 http://www.dob.co.yu