Heft 3/2004 - Lektüre
Urbane Räume sind zentrale Austragungsorte gesellschaftlicher Emanzipationsprozesse. Gerade hier formieren sich Widerstand und Subversion gegen die kapitalistisch-patriarchale Alltäglichkeit. Ausgehend von dieser These versucht die Architektin und Stadtforscherin Yvonne P. Doderer in ihrem Buch der Frage nachzugehen, in welcher Weise sich die Neue Frauenbewegung im Urbanen lokalisiert hat.
Zunächst versucht die Autorin die Kategorie »Raum« näher zu bestimmen. Im ersten Schritt wird mit Henri Lefebvre der Raum als Ergebnis eines konkreten Produktionsprozesses vorgestellt. Der französische Philosoph entwickelt aus seiner Kritik am fordistischen Vergesellschaftungsmodell eine räumliche Theorie gesellschaftlicher Praxis, die von den Subjekten und ihren sozialen Beziehungen ausgeht. Lefebvres Herangehensweise ähnelt der Marx’schen Methode. Dessen Verfahren bestand darin, von den Resultaten der Produktion zur produktiven Aktivität als solcher zurück zu schreiten und anstelle des Studiums isolierter Objekte eine Analyse der gesellschaftlichen Arbeit, der Produktionsverhältnisse und der Produktionsweise durchzuführen. Für Lefebvre kann es nicht darum gehen, die Dinge im Raum zu betrachten, sondern den Raum selbst als soziales Produkt zu analysieren und die in der Produktion des Raumes enthaltenen sozialen Verhältnisse aufzudecken. Der urbane Alltag ist zwar für ihn wesentlich von den ökonomisch-technologischen Vorgaben geprägt, die Raum und Zeit kolonisieren, dennoch geht die soziale Praxis der Kollektive nicht völlig in der Systemlogik auf: Zurück bleibt immer ein nicht domestizierbarer Rest. Diese Ambiguität produziert Konflikte, die das Alltagsleben als Widerspruchsverhältnis strukturieren. Deshalb muss für Lefebvre die Analyse des Bestehenden stets auch auf das Sprengende verweisen und die Frage nach einer befreienden Perspektive stellen. Damit geraten nach Doderer jene subversiven Aneignungspraktiken in den Blick, die die herkömmliche Planungstheorie und -praxis in der Regel ausklammert. Als politisch begründete »Gegenräume« könnten auch die Räume und Räumlichkeiten feministischer Frauenöffentlichkeit gelesen werden. Allerdings kritisiert die Autorin an der Theorie Lefebvres, dass die Rolle der von Frauen geleisteten Reproduktionsarbeit und deren räumliche Folgen ausgespart würden.
Mit Michel Foucault erfolgt dann eine nähere Bestimmung des Verhältnisses von Macht und Raum. Während Henri Lefebvre lediglich zwischen Räumen der Herrschaft und Räumen der Beherrschten unterscheide, betone Foucault das zirkulatorische Moment der Macht. Für Doderer erschließt sich die Geografie der Macht in modernen Gesellschaften nicht aus einer Perspektive, die lediglich von der Souveränität des Rechts und der Staatsapparate ausgeht. Benötigt werde vielmehr eine Analyse, die nach »lokalen Systemen dieser Unterwerfung« und damit nach Technologien von Herrschaft frage, die den sozialen Körper konstituieren. Die Machtanalytik von Foucault sei deshalb Ausgangspunkt feministisch-poststrukturalistischer Kritik an einer Lokalisation, bei der die Macht bis
in das Innere der Körper reicht. Sind die Dispositive »Raum« und »Geschlecht« in »ein Spiel der Macht eingeschrieben«, dann stellt sich auch die Frage nach den Widerstandsformen. Da Foucault zufolge die Gesellschaft durch die gegenseitigen Machtbeziehungen ihrer Subjekte ständig reproduziert und verändert wird, sind auch die jeweiligen konstitutiven Machtökonomien bedroht. Für Doderer stellt die Neue Frauenbewegung einen Versuch der Auflösung dieser Machtverhältnisse dar.
Schließlich geht die Autorin mit Pierre Bourdieu auf die Bedeutung des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals für den sozialen Raum ein. Entsprechend dem jeweiligen Kapitalvermögen können Räume und darin enthaltene Güter nicht nur angeeignet, sondern auch dominiert werden. Die Struktur der räumlichen Verteilung der Machfaktoren spiegelt die objektive Form eines Zustandes sozialer Auseinandersetzungen um »Raumprofite« wider. Damit bietet für Doderer auch die Kapital- und Raumtheorie Bourdieus mehrere Anschlussmöglichkeiten. Die Raumprofite, die durch die Etablierung einer urbanen Frauenprojektkultur erzielt werden, lassen sich als eine Form von Kapitalbildung verstehen. Der »Mehrwert« der mit diesen Raumproduktionen geschaffen werde, bestehe vor allem in einer Akkumulation sozialen und kulturellen Kapitals durch den Aufbau von Kommunikationsnetzen und alltagsorientierten Einrichtungen.
Auf der Grundlage dieser Theoreme werden nun Frauenprojekte in verschiedenen Großstädten (Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Stuttgart) vorgestellt und bewertet. Hatte sich nach Doderer die Frauenbewegung anfänglich als radikalfeministische Protestbewegung dargestellt, die ihren politischen Widerstand und ihre Aktionen aus den Frauenzentren organisierte, verschob sich der Fokus zusehends auf ein differenzfeministisches Selbstverständnis. Die autonomen Freiräume sollten Möglichkeiten schaffen für die Freisetzung und Entfaltung unterdrückter weiblicher Subjektivität, für Selbstbestimmung, für die Verbindung von alltäglichem Leben und politischer Arbeit. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen habe sich die Neue Frauenbewegung vor allem in den größeren Städten und Metropolen zu einer feministisch-lesbischen Frauenöffentlichkeit verräumlicht. Doderer verortet die Frauenprojektkultur auf vier unterschiedlichen Raumfeldern: In Anlehnung an Bourdieu unterscheidet sie nach sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Projekten. Als Resümee kommt die Autorin abschließend zu der Einschätzung, dass die Frauenbewegung und die Frauenprojektkultur an Dynamik verloren hat und es – wie in anderen sozialen Bewegungen auch – zu einem Stillstand gekommen ist. Im Zuge der Professionalisierung und widersprüchlichen Vervielfältigung hätten viele Frauenprojekte ihr subversives Moment eingebüßt.
Diese seien häufig nicht mehr Austragungsorte gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen, sondern Zentren der Alltagsbewältigung und Aufarbeitung. Eine Entwicklung, die nicht nur interne und gesellschaftliche, sondern auch unmittelbar urbane Prozesse widerspiegle. Trotz solcher Schwierigkeiten bleibt aber für die Autorin die zentrale Frage bestehen, WER sich Raum aneignen kann, mit welchen MITTELN und zu welchem ZWECK. Denn vom Standpunkt der Macht aus sei die Frage nach Ungleichheiten, Hierarchisierungen und Asymmetrien auch innerhalb der Frauenöffentlichkeit nach wie vor virulent.