Heft 4/2004 - Alte Medien


Das Guggenheim Museum

Ein Geschäftsplan

Hans Haacke


Thomas Messer, der Direktor des Guggenheim Museum von 1961 bis 1988, war in vieler Hinsicht der Bahnbrecher für seinen Nachfolger Thomas Krens. Eine der letzten großen Unternehmungen unter seiner Ägide war eine von der Kunsthalle Tübingen übernommene Ausstellung von Andy Wahrhols »Cars«, einem Bildzyklus, den der Künstler kurz vor seinem Tode vollendet hatte. Es war eine Auftragsarbeit, Daimler-Benz Automobile vom ersten Motorwagen der Firma von 1886 bis zu einem Versuchsfahrzeug von 1970 zu porträtieren. Edzard Reuter, der damalige Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz, schloss sein New Yorker Katalogvorwort mit der treffenden Bemerkung: »Die Begegnung eines Unternehmens mit einem Künstler ist so komplex wie die vorbildliche Präsentation vorbildlicher Produkte.«1 In einer sekundierenden Erklärung zollte der Museumsdirektor einem Künstler Tribut, »dessen Leistung von einem außerordentlich scharfen Sinn für die Zeichen der Zeit zeugen.« Er fügte hinzu: »Es ist angemessen, dass Daimler-Benz der Sponsor der Ausstellung ist.«2
In den achtziger Jahren hatte Thomas Messer – wie Andy Warhol und Messers Kollegen in anderen Museen – einen »außerordentlich scharfen Sinn für die Zeichen der Zeit.« Das Metropolitan Museum unter Philippe de Montebello hatte in einem an potenzielle Sponsoren gerichteten Flugblatt eine kühle Geschäftsstrategie vorgestellt: »Dem Sponsor von Veranstaltungen, Sonderausstellungen und Dienstleistungen bieten sich vielfältige Chancen für seine Öffentlichkeitsarbeit. Sie ermöglichen kreative und kostengünstige Lösungen für spezifische Marketingziele, besonders, wenn es um internationale Beziehungen und das Verhältnis zu Regierungen und Verbrauchern geht.«3
Dennoch steckte das Museum 1988, als sich Thomas Messer nach 27 Jahren als Direktor zurückzog, in einer finanziellen Krise. In einem Interview mit der »New York Times« gab er dem 41-jährigen Thomas Krens seinen Segen und taxierte ihn als einen »außergewöhnlichen, jungen Mann mit großer Gelassenheit, mit Takt und Durchsetzungskraft«4. Vielleicht war er etwas zu großzügig, dem jungen Mann Takt zu bescheinigen. Elaine Dannheisser gab jedenfalls 1996 tief verstimmt ihren Sitz im Board of Trustees des Guggenheim Museum auf. Sie klagte: »Tom Krens ist äußerst arrogant. Seine Impertinenz ist einfach nicht auszuhalten.«5 Sie zog ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst zurück und gab sie stattdessen dem Museum of Modern Art.
Aber Thomas Messer hatte in anderer Beziehung Recht, nämlich als er die »Durchsetzungskraft« des frisch gebackenen Direktors und seine »Neigung fürs Internationale«6 pries. Die etwas großsprecherische Behauptung von Krens bei seiner Ernennung, das Guggenheim sei »das einzige Museum in New York, das als Spezialist für internationale Perspektiven gilt«7, entsprach einem kalten Geschäftskalkül: »Ich glaube, darin steckt ein phantastisches Potenzial für die Zukunft.«8 Von Anfang an war die globale Expansion ein wichtiger Teil seiner Strategie. Thomas Messer hatte Peggy Guggenheim 1976 überredet, ihre Sammlung und ihren Palazzo in Venedig der Solomon R. Guggenheim Foundation ihres verstorbenen Onkels in New York zu vermachen. Ihr Vermächtnis gab dem Einsatz, mit dem Thomas Krens sein globales Spiel beginnen wollte, einen wesentlichen Schub.9
Schwerpunkt des von Krens absolvierten College-Studiums war Volkswirtschaft. Anschließend hatte er von der State University of New York in Albany einen Magistertitel in Studio Art erworben.10 Während er mit einem Lehrauftrag in den achtziger Jahren am Williams College unterrichtete, studierte er weiter

»Sie klagte: ›Tom Krens ist äußerst arrogant. Seine Impertinenz ist einfach nicht auszuhalten‹…«

und erhielt einen zweiten Magistertitel, diesen von der School of Management der Yale University. Einer seiner Professoren, Martin Shubnik, ein Experte in Mathematical Institutional Economics und Autor einer Studie mit dem Titel »Spieltheorie in den Sozialwissenschaften«11, hielt große Stücke von ihm: »Ohne Übertreibung kann ich sagen: Tom hat das Zeug eines P. T. Barnum, und ich halte Barnum für einen sehr ernst zu nehmenden Typ. Tom ist wahrscheinlich der größte Verführer, den es in diesem Geschäft gibt.«12
Krens gelang es nicht, die Trustees des San Francisco Museum of Modern Art zu verführen, ihn zum Direktor ihres Museums zu küren. Die Zeitschrift »The New Yorker« zitierte ein Mitglied des Board: »Sein Gerede mit Diagrammen, Spreadsheets, Computern und Strategien hat uns ziemlich verschreckt. Kein einziges Mal hat er ein Kunstwerk erwähnt.«13 Die Guggenheim-Trustees hatten dagegen keine Angst vor dem Managementjargon. Angesichts der Aufgabe, das finanzielle Desaster in den Griff zu bekommen, das sich unter ihrer Leitung zusammengebraut hatte, waren sie nur zu bereit, sich durch einen Vollblutmacher mit einem Geschäftsplan verführen zu lassen. Die Perspektiven von Krens waren mit der besonderen Kultur des Guggenheim-Boards, das seit Jahrzehnten von Peter O. Lawson-Johnston geführt wurde, durchaus kompatibel. Peter O. Lawson-Johnston ist ein Sohn von Barbara Guggenheim. Auch heute gehören ihm bedeutende Anteile an Bergbauunternehmen, die der Zweig der Guggenheim-Familie, aus dem er stammt, seit langem weltweit besitzt. (Ihre Kupfermine El Teniente in Chile spielte in den Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Salvador Allende und nach dessen Ermordung zu Augusto Pinochet eine wesentliche Rolle.) Über Lawson-Johnstons politische Sympathien lassen sich aus seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied von William S. Buckleys konservativer Monatszeitschrift »National Review« Schlüsse ziehen.
Das Guggenheim Museum hatte einen Spieler angeheuert. Gegenwärtig sind Zweifel erlaubt, ob sich der Jünger des Spieltheoretikers von Yale als ein guter Einsatz erweist. Es passt, dass Krens 2001 nicht nur eine, sondern gleich zwei Guggenheim-Filialen in einem Spielkasino von Las Vegas eröffnete. Eine der beiden ist nach 18 Monaten und nur einer Ausstellung inzwischen geschlossen. Wie heißt es doch am Spieltisch: »You win some – you lose some.«
Ein Jahr nach seiner Ernennung wollte Krens der Welt zeigen, dass er trotz mangelnder Erfahrung als Kurator in der Lage sei, eine Ausstellung zu inszenieren, die den spektakulären, von Frank Lloyd Wright ursprünglich als Autosalon entworfenen und dann in ein Museum verwandelten Bau füllen sollte. Die Ausstellung des Neulings »Refigured Painting: The New German Image, 1960–1988« von 1989 erntete keine wohlwollenden Rezensionen. Krens musste sie als ein Verlustgeschäft abschreiben. Vielleicht nahmen Baupläne und Expansionsprojekte – wie so oft in späteren Jahren – seine Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch: die Renovierung und der Anbau eines neuen, kastenförmigen Flügels an die Spirale des Museums uptown und die Eröffnung einer von Arata Isosaki entworfenen Filiale in Soho. Im Hinblick auf die begrenzten Mittel der Solomon R. Guggenheim Foundation hatte Thomas Messer einen vergleichsweise viel bescheideneren Plan entwickelt. Die Emission von Obligationen in einer Gesamthöhe von 54,9 Millionen Dollar sollte Krens ambitiöseres Vorhaben finanzieren.14 Seither plagt das Museum die Tilgung dieser Schuld. Sie ist der Grund für die Rastlosigkeit, mit der Krens um die Welt jagt, immer auf der Suche nach Erlösung von dem, was sich inzwischen in wirtschaftlicher Hinsicht als sein Sündenfall erwiesen hat. 2002 war seine Aufwandsentschädigung höher als die des Direktors des Museum of Modern Art.15
Der Anbau der Architekten Gwathmey Siegel & Associates sollte in 18 Monaten vollendet sein und 40,3 Millionen Dollar kosten. Er dauerte 26 Monate und verschlang 57,9 Millionen Dollar. Die Soho-Filiale kostete 4,6 Millionen Dollar mehr als vorgesehen. Vier Jahre nach der Obligationsemission plagten das Museum 1994 jährliche Kapital- und Zinszahlungen von rund 6,5 Millionen Dollar.16 Die Betriebskosten, die 1988 zehneinhalb Millionen Dollar betrugen, waren innerhalb von fünf Jahren auf geschätzte 23 Millionen angewachsen.17
Das Museum war während der Bauarbeiten für fast zwei Jahre geschlossen und hatte keine Einnahmen aus Eintrittsgeldern, dem Museumsshop und der Vermietung seiner Räume. Als die Soho-Filiale schließlich mit Verspätung 1992 eröffnet

»…Das Museum hatte die Herstellung einer großen Zahl von Objekten, die Werken in seiner Sammlung nachempfunden waren, in Auftrag gegeben:…«

wurde, sahen sich die BesucherInnen, bevor sie die Ausstellungsräume erreichten, genötigt, zunächst den Museumsshop zu durchqueren, der fast das gesamte Erdgeschoß einnahm. Das Museum hatte die Herstellung einer großen Zahl von Objekten, die Werken in seiner Sammlung nachempfunden waren, in Auftrag gegeben: Krawatten, Einkaufstüten, Schals, Mobiles, Puppen und vielerlei anderer Nippes. Das Meiste war nur schwer mit dem erklärten Auftrag des Museums vereinbar, ein Verständnis für Kunst zu vermitteln und Exzellenz zu fördern. Ein Enkel Joan Mirós stoppte den Vertrieb von Nachempfindungen aus der Bildwelt seines Großvaters.
Robin Cembalest berichtete 1994 in »Art News« in einem Artikel, der im Titel den stellvertretenden Museumsdirektor mit dem Zugeständnis zitierte »Es wird jetzt eng«18, über die Absage oder Verschiebung mehrerer Ausstellungen – mit Verstimmungen bei kooperierenden Instituten – und, dass zehn Prozent des Personals, darunter sämtliche BibliothekarInnen, gekündigt worden waren. Krens bat die Verbleibenden, sich in einer Kampagne zur Anwerbung neuer Museumsmitglieder zu engagieren. Wehmütig bekannte er: »Mir wäre es lieber, das Museum kümmerte sich nur um Kunst. Die gegenwärtige Situation erlaubt das leider nicht. Deshalb müssen wir einfach alles unternehmen, was unsere Einnahmen steigern könnte.«19
Während der Erweiterungsbauarbeiten erwarb der Guggenheim-Direktor teils als Schenkung und teils durch Ankauf für angeblich dreißig Millionen Dollar dreihundert Minimal- und Konzeptkunstwerke aus der Sammlung des Grafen Giuseppe Panza die Biumo.20 Krens trieb die Ankaufssumme durch die Versteigerung eines Chagall, eines Modigliani und eines bedeutenden Kandinsky bei Sotheby’s für insgesamt 47,3 Millionen Dollar auf.21 In den Jahren 1999 und 2000 wurden weitere Kunstwerke im Werte von 15 Millionen Dollar abgestoßen. Davon wurden 10,1 Millionen Dollar in einem Sperrfonds des Stiftungsvermögens deponiert. Die Association of Art Museum Directors (Verband der Kunstmuseumsdirektoren) hat das Guggenheim um eine Erklärung gebeten, wie diese Maßnahme mit dem Verhaltenskodex der ADDM zu vereinbaren ist. Er verbietet nämlich, den Erlös aus dem Verkauf von Kunstwerken für andere Vorhaben als den Erwerb von Kunstwerken zu verwenden. Die Hinterlegung in diesem neu eingerichteten Sperrfonds erlaubte es dem Museum, einen entscheidenden Passus seiner Schuldurkunde zu erfüllen. Der Schuldvertrag, der 1997 von der WestLB übernommen wurde, fordert, dass das Stiftungsvermögen ab Juni 2001 einen Wert von mindestens 35 Millionen Dollar erreicht und danach bis 52 Millionen Dollar zu erhöhen ist.22 Die ursprünglichen Bedingungen sahen nicht vor, dass die Sammlung als Sicherheit dient. Die ADDM stellte die Frage, ob im Falle einer Zahlungseinstellung trotzdem die Sammlung gefährdet sein könnte. Es war das erste Mal, dass der Verband das Verhalten eines Mitglieds untersuchte.
Anfang der neunziger Jahre gewann Krens neue, vermögende Mitglieder für das Board of Trustees. Der Investor Samuel J. LeFrak stiftete zehn Millionen Dollar. Seine Erwartung, der Name LeFrak würde neben dem von Solomon R. Guggenheim die Fassade des Museums zieren, durchkreuzte das New Yorker Denkmalpflegeamt.23 Stattdessen heißen jetzt die Ebene Fünf der Rotunde und das Nebengebäude »The Honorable Samuel J. and Ethal LeFrak Galleries and Sculpture Terrace«. Der Milliardär Ronald O. Perelman stiftete 1995 ebenfalls zehn Millionen Dollar und wurde daraufhin als Nachfolger von Peter O. Lawson-Johnson, der das Amt seit 1969 bekleidet hatte, Präsident des Board of Trustees. Er ist der Kopf von Revlon. Neben den beiden Lauder-Brüdern wurde er somit der dritte Kosmetikindustrielle an der Spitze eines der bedeutenden New Yorker Museen. Ronald Perelmans Geschick bei Unternehmensübernahmen und seine Position als Aufsichtsratsvorsitzender und Geschäftsführer eines Mischkonzerns brachten ihn wiederholt in die Schlagzeilen. Berichtet wurde aber auch über seine Großzügigkeit gegenüber republikanischen und demokratischen Politikern24 sowie sein Stellenangebot für Monica Lewinsky zu einem kritischen Zeitpunkt. Artikel der »New York Times« über das Auf und Ab seines Vermögens waren oft von Fotos begleitet, auf denen er im Guggenheim Museum posierte. Als er dem Museum 1998 zusätzliche zwanzig Millionen Dollar zusicherte, wurde die Eingangsebene der Rotunde nach ihm benannt. Er wurde dann jedoch von Peter B. Lewis, dem Chef der Progressive Corporation, einer der größten Kraftfahrzeugversicherungsgesellschaften der Vereinigten Staaten mit Firmensitz in Cleveland, übertrumpft. Lewis gab fünfzig Millionen Dollar unter der Bedingung, dass er statt Perelman zum Vorsitzenden des Board of Trustees ernannt wird. Das Board sah sich die Zahlen an, und seither ist Peter Lewis der Vorsitzende. Perelman trat zurück.25
In der Hoffnung, auf diese Weise die engen Finanzen des Museums sanieren zu können, begann Thomas Krens in den späten achtziger Jahren mit großen Einsätzen ein Spiel globaler Expansion. So hatte er den Berliner Martin-Gropius-Bau für eine Joint Venture im Auge – allerdings ohne Erfolg. Auch sein Plan, von dem österreichischen Architekten Hans Hollein im Salzburger Mönchsberg eine Guggenheim-Filiale bauen zu lassen, blieb unerfüllt. Holleins Sohn arbeitete mehrere Jahren lang mit Krens in New York. Jetzt ist er als Nachfolger von Thomas Messer Leiter der Schirn Kunsthalle in Frankfurt. Auch aus den Versuchen, in Moskau Fuß zu fassen und die Dogana, das alte Zollhaus von Venedig, seinem Imperium einzuverleiben, wurde nichts. Seine Fühler, die er zu mehreren Städten in Spanien ausgestreckt hatte, stießen ebenfalls auf keinen willigen Partner.
Doch dann landete er 1991 unerwartet einen großen Coup in Bilbao. Das Baskenland finanzierte mit hundert Millionen Dollar den Bau eines Museums durch Frank Gehry. Tatsächlich war der Entwurf des Architekten eine modifizierte Version seiner Pläne für die Disney-Konzerthalle in Los Angeles, die erst viel

»…Das Baskenland finanzierte mit hundert Millionen Dollar den Bau eines Museums durch Frank Gehry…«

später verwirklicht wurde. Die Basken stellten darüber hinaus fünfzig Millionen Dollar für Ankäufe zur Verfügung und verpflichteten sich, den Jahreshaushalt des Museums in Höhe von zwölf Millionen Dollar zu übernehmen.26 Und als Einstand zahlte ihm die Regierung des Baskenlandes zwanzig Millionen Dollar. Das Guggenheim Museum sollte Bilbao im Gegenzug seinen Markennamen und Werke aus seiner Sammlung leihen sowie an anderen Orten organisierte Ausstellungen durch Bilbao laufen lassen. Es wurde ihm volle Kontrolle über das Programm und die Ankäufe für die Sammlung in Bilbao zugestanden.
Ich gehörte zu denen, die glaubten, für die Basken könnte das nur ein Verlustgeschäft werden und das Guggenheim sei der alleinige Gewinner. Beide Parteien befanden sich in einer ziemlich hoffnungslosen Lage. Das ehemals blühende Bilbao war durch den Tod der Stahlproduktionsstätten am Ufer des Nervión, die Verwaisung des früher belebten Hafens und den Niedergang der davon abhängigen Industrien schwer angeschlagen. Die Zurückhaltung von Investoren, ihr Geld in einer von Gewaltakten der ETA erschütterten Region aufs Spiel zu setzen, verschärfte die Notlage. Die Basken hofften, dass der Import des kulturellen Kapitals des Guggenheim Museum die Stadtentwicklung befördert, Bilbao ein positives Image verschafft, Touristen aus aller Welt anzieht und ein Motor für die lokale Dienstleistungsindustrie wird. Inzwischen sieht es so aus, als ob die Rechnung der baskischen Regierung tatsächlich aufgegangen ist – zweifellos dank der außerordentlichen Attraktion des im Zentrum der Stadt gelandeten glitzernden Baues von Frank Gehry. Was man auch immer über seine Eignung für die Präsentation von Kunstwerken und seinen architektonischen Rang denken mag, er scheint den wirtschaftlichen und politischen Zweck zu erfüllen. Eine baskische Rechnungsprüfung im Jahre 2001 ergab, dass der Bau 16,5 Millionen Dollar mehr gekostet hatte als veranschlagt und dass das Guggenheim in New York beim Ankauf von Werken für die Sammlung in Bilbao mehr als den normalen Verkehrswert gezahlt hat. Trotzdem wollte die baskische Regierung zusätzliche dreißig Millionen Dollar für weitere Ankäufe zur Verfügung stellen.27 Der internationale Popularitätserfolg von Bilbao ließ den Markennamen der New Yorker Mutter neu erstrahlen. Das mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass Enron sich als Sponsor der Retrospektive von Frank Gehry im New Yorker Flaggschiff engagierte. Die Strategie, Konzessionen auf den Guggenheim-Namen zu erteilen und die Sammlung zum Geldverdienen auf Tournee zu schicken, erhielt einen erheblichen Schub.
Innerhalb eines Monats nach der Eröffnung in Bilbao wurde eine Joint Venture mit der Deutschen Bank in Berlin besiegelt. Krens hatte die Bank im Vorjahr angesprochen. Er wurde mit Hilmar Kopper, seit 1989 Vorstandsprecher und jetzt Aufsichtsratsvorsitzender der Bank, schnell handelseinig. Die Geschäftsleute erkannten sofort den Vorteil, den sie beide aus der Eröffnung einer Guggenheim-Dépendence in der regionalen Bankzentrale Unter den Linden ziehen konnte. Sie fusionierten die Namen ihrer Institute und nannten die Filiale schlicht Deutsche Guggenheim. Die Berliner Vertragsbedingungen bleiben ein wohl gehütetes Geheimnis. In einem Aufsatz für das Buch »Das Guggenheim Prinzip« lieferte Hilmar Kopper ein überzeugendes Geschäftsargument: »Das Deutsche Guggenheim ist Werbung für die globale Kompetenz, die Qualität und das innovative Potential unserer Bank.«28 Kopper war ebenso offen, als er 1995 aus Anlass der Gründung der Kulturstiftung der Deutschen Bank erklärte: »Wer das Geld gibt, kontrolliert.«29 Er sprach praktisch für alle Unternehmenssponsoren.
Die aufsehenerregendste Unternehmung von Krens als Kurator war wohl seine Ausstellung »The Art of the Motorcycle« von 1998. Sie füllte die gesamte Rotunde und hatte Rekordbesucherzahlen – ein unglaublicher Kassenschlager. Der Sponsor des Spektakels war BMW. Im selben Jahr wurden die bereits bestehenden Beziehungen zu dem deutsch-italienischen Herrenausstatter Hugo Boss durch eine von Gucci gesponserte Veranstaltung Vanessa Beecrofts mit Frauen komplettiert. Zwei Stunden lang paradierten in der Rotunde fünfzehn Models in mit Strass besetzten Bikinis und Stöckelschuhen; Design der Versatzstücke von Guccis Tom Ford. Fünf weitere Models waren »stripped bare by their Beecroft even«. Sie trugen nur Gucci-Schuhe.30 Dieser totalen Bloßstellung folgte eine Gala in voller Schale: »Giorgio Armani«, organisiert von dem Arte-Povera-Experten und Gründungsdirektor der Prada-Stiftung Germano Celant. Die weit verbreitete Annahme, Armanis Zusicherung einer 15-Millionen-Dollar-Spende für das Guggenheim hätte etwas mit dieser Unternehmung zu tun gehabt, wird vom Museum heftig bestritten.31 Der offizielle Sponsor der Ausstellung war die Modezeitschrift »In Style« von Time Warner. Robert Wilson zeichnete sowohl für das Design des üppig ausgestatteten Modesalons auf der Fifth Avenue wie auch danach im Guggenheim Bilbao verantwortlich.
»The Art of The Motorcycle« wanderte zusammen mit dem Guggenheim Motorcycle Club nach Las Vegas. Sie waren 2001 im Spielparadies in der Wüste von Nevada die Eröffnungsattraktion zweier neuer Guggenheim-Filialen im Venetian Resort-Hotel-Casino. Ben Hartley, der Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, gab aus diesem Anlass zum Auftrag des Museums eine passende Erläuterung ab: »Wir sind im Unterhaltungsgeschäft und müssen dort mit anderen Formen der Unterhaltung konkurrieren.«32 Das Casino-Hotel hatte die Kosten für den Bau der beiden von Rem Koolhaas entworfenen Museen übernommen, zusätzliche nicht bekannt gegebene Beiträge geleistet und dem Guggenheim einen Anteil von 51 Prozent am Geschäftsgewinn – wie auch am Verlust – zugesichert.33 Beim Zug zu den Gondolieren in Las Vegas begleiteten Krens zwei neue europäische Partner, die wie er in Finanzschwierigkeiten steckten: das Kunsthistorische Museum in Wien und die Eremitage in St. Petersburg. Ihr erklärtes gemeinsames Ziel ist es, Ausstellungen mit ihren Sammlungen in Las Vegas, Bilbao, New York und im italienischen Venedig zu veranstalten – gelegentlich mit der Deutschen Bank als Sponsor. Darüber hinaus vereinbarte Krens mit der Eremitage, gemeinsame Projekte in St. Petersburg zu entwickeln. Neben Michael Piotrowsky, dem Direktor der Eremitage, ist Wladimir O. Potanin eine Schlüsselfigur in dieser Beziehung. Potanin wurde 2002 ins Board of Trustees des Guggenhein Museums gewählt. Er ist der Vorsitzende des Kuratoriums der Eremitage und ebenfalls Vorsitzender des Aufsichtsrats einer neuen Eremitage-Guggenheim-Foundation. Die erste gemeinsame Ausstellung der beiden Museen im Hotel-Casino mit dem Titel »Masterpieces and Master Collectors« hatte als Sponsor die russische Interros Holding, deren Geschäfte Wladimir Potanin leitet. Wenige Jahre nach der Privatisierung der russischen Staatsbetriebe, als Potanin noch keine vierzig Jahre alt war, hielt ihn die amerikanische Wirtschaftszeitschrift »Forbes« 1998 für den reichsten Mann Russlands und platzierte ihn auf Platz 186 der Reichsten der Welt.34 Sein Vermögen wurde 2002 auf vier Prozent des russischen Bruttosozialprodukts geschätzt. Zum Interros-Imperium gehören Norilsk, der größte Nickel- und Palladiumproduzent der Welt und einer der Hauptproduzenten von Platin, Kupfer, Kobalt und Gold sowie bedeutende Beteiligungen an Banken und an den Medien, unter anderem an den Tageszeitungen »Iswestija« und »Komsomolskaja Prawda«.35 Vielleicht angesichts des Schicksals seines Kollegen Michael B. Chodorkowskij von Yukos hat sich Potanin anscheinend neuerdings als stiller Anhänger von Wladimir Putin positioniert. Seine PR-Zentrale hat wissen lassen, dass er der staatlichen Eremitage eine der vier Versionen des »Schwarzen Quadrats« von Malewitsch gestiftet hat. Auf die Frage, wie viel ein Sitz im Board of Trustees des Guggenheim Museum kostet, antwortete er: »2,5 Millionen Dollar, verteilt auf fünf Jahre«36. Wenn sie stimmt, eine recht moderate Summe.
Trotz globaler Winkelzüge stand Ende 2002 das Kartenhaus des Guggenheim kurz vor dem Zusammenbruch. Krens hatte die Zukunft des Museums rücksichtslos auf einem Schuldenberg gebaut. Immer wieder musste er zur Deckung der Betriebskosten das Stiftungsvermögen angreifen. Der Vorsitzende des Board of Trustees, Peter Lewis, las ihm die Leviten. Er demütigte ihn vor der Öffentlichkeit und drohte ihm mit der Entlassung, falls er seinen Laden nicht in Ordnung bringt. Lewis übernahm als Vorsitzender des Board einen Teil der Schuld. Als Preis für seine erneute Spende von zwölf Millionen Dollar zur Begleichung unbezahlter Rechnungen und für den Schuldendienst des Museums forderte er eine drastische Haushaltskürzung um die Hälfte. Der Mitarbeiterstab wurde von 391 auf 181 reduziert, bedeutende Ausstellungen wurden verschoben und die Öffnungszeiten eingeschränkt.37 Pläne, am East River von Manhattan ein weiteres Gehry-Museum zu bauen und ein Online-Geschäft zu entwickeln, wurden aufgegeben. Nachdem die Soho-Filiale bereits im Jahr davor geschlossen worden war, ereilte dieses Schicksal auch eine der beiden Filialen in Las Vegas. Der Motorradsalon machte zu.
Die Geschichte des Guggenheim Museum ist reich an Ironien des Schicksals: Sie reicht vom »Schwarzen Quadrat« über den roten Platz nach Venedig – dem echten und der Imitation –, begleitet von Edelmetallgewinnung, dem Raunen »Über das Geistige in der Kunst« und dem Donner einer Motorradbande.
Unter den Kollegen des Guggenheim-Direktors mangelte es nicht an Schadenfreude. Die früher lobhudelnde Berichterstattung der Presse vergnügte sich mit spöttelnden Kommentaren des Tenors »wir wussten es ja schon immer.« Boards of Trustees, Kuratoriumsmitglieder und die Verwalter öffentlicher Haushalte betrachten Krens jedoch immer noch als einen Wegweiser. Im Stil zwar weniger extravagant als er, aber ebenso entschlossen wird von vielen seiner KollegInnen erwartet, dass sie entsprechende Strategien verfolgen, kulturelles Kapital in Finanzkapital zu verwandeln. Von den Auswirkungen auf »das Gute, Wahre und Schöne«, dem sie alle einen Treueeid geschworen haben, will man nichts wissen – oder die Konsequenzen werden einfach als Kollateralschäden abgebucht.

Leicht gekürzte Fassung eines Vortrags, gehalten auf der Tagung »Learning from the Guggenheim«, Center for Basque Studies, University of Nevada, Reno,
22. bis 24. April, 2004; eine deutsche Fassung wurde auf der Tagung »querdurch«, Hochschule für Bildende Kunst, Hamburg, 24. Juni 2004, vorgetragen.

 

 

1 »A company’s encounter with an artist is as complex as the perfect presentation of perfect products.« Edzard Reuter, in: Andy Warhol, Cars.
New York (Guggenheim Museum) 1988, S. 6
2 »… an artist whose achievement is based on an extraordinarily acute sense of the signs of the time … Appropriately, the exhibition is sponsored by Mercedes-Benz«, Thomas Messer, ebd., S. 7
3 »Many public relations opportunities are available through the sponsorship of programs, special exhibitions and services. These can provide a creative and cost-effective answer to a specific marketing objective, particularly where international, governmental or consumer relalions may be a fundamental concern.«
In: The Business Behind Art knows the Art of Good Business, The Metropolitan Museum of Art, New York, um 1985, keine Paginierung
4 »… an extraordinary young man of great equanimity, of tact, of force.« Zitiert in:
Guggenheim Names New Director, New York Times, 13.Januar 1988, C13
5 »Tom Krens is very arrogant, and his rudeness was just too much to take.« Zitiert in: Martin Filler, Speaking Her Mind About Art, and Giving it, New York Times
28. September 1997, Arts & Leisure Section, S. 35
6 »International propensity«, zitiert in: Guggenheim Names New Director, New York Times, 13. Januar 1988
7 »Is the one museum in New York City that is a specialist in international outlook.« Ebd.
8 »I think there’s tremendous potential in that.« Ebd.
9 Das Guggenheim Museum erwarb 1986 den amerikanischen Biennalepavillon in Venedig für 30.000 Dollar. Seine anhaltenden Versuche, das Ausstellungsprogramm des Pavillons zu bestimmen, stoßen auf heftigen Widerstand in der amerikanischen Kunstwelt.
10 An Hochschulen der Vereinigten Saaten wird zwischen Studio Art und Art History unterschieden. Mit Studio Art werden Studien für die künstlerische Praxis bezeichnet wie zum Beispiel Malerei, Bildhauerei, Grafik usw.
11 Martin Shubnik, Game Theory in the Social Sciences
12 »Without exaggeration, I can say that Tom has the mantle of P.T. Barnum on his shoulders, and I regard Barnum as a very serious fellow. Tom is probably the
greatest seducer in the business.« Zitiert in: Martin Filler, The Museum Game, The New Yorker, 17. April 2002, S. 96-105.
13 »We were scared to death by all his talk of flow charts and spreadsheets and computers and strategies. He never mentioned a work of art once.« Zitiert in: Filler, ebd.
14 Andrew Decker, Can the Guggenheim pay the price? Art News, Januar 1994, S. 142-149
15 Einkommensteuererklärung von 2002 der Solomon R. Guggenheim Foundation, Anhang 13, Teil V
16 Andrew Decker, ebd.
17 Andrew Decker, ebd.
18 Robin Cembalest, It’s Tight Right Now, Art News, Mai 1994, S. 41
19 »I’d rather that the museum was only about art. But that’s the situation that doesn’t exist. So therefore we have to do whatever we can to maximize our revenues.« Andrew Decker ebd., S. 146
20 Vogel, Carol, As Guggenheim Adjus, Pinch is felt Elsewhere, New York Times, 24. Februar1994, Arts & Leisure Section, C16.
21 Robin Cembalest, The Guggenheim’s high-stakes gamble, Art News, Mai 1992, S. 84-92.
22 Kelly Devine Thomas, Following the Money, Art News, Januar 2004, S. 45-46.
23 Clash over Name puts Museum Gift in Doubt, New York Times, 17. Dezember 1994, S. 13.
24 Wayne Barrett, The man behind the job, Village Voice, 3. Februar, 1998, S. 37.
25 Deborah Solomon, Is the Go-Go Guggenheim Going, Going …, New York Times Magazine, 30. Juni 2002, C36.
26 The Basques Get Modern, New York Times, 24. Juni1997, C1, 10.
27 Georg Stolz, The Guggenheim Gets Audited, Art News, Mai 2001, S. 98.
28 Hilmar Kopper, 1+1=3: Das Deutsche Guggenheim Berlin, in: Das Guggenheim Prinzip, Hg. v. Hilmar Hoffmann, Köln: DuMont Buchverlag, 1999, S. 56-67.
29 Hilmar Kopper, Die Kultur und das Kapital,
in: Süddeutsche Zeitung, 18. Mai 1995, S. 13.
30 Patricia Bickers, Marriage à la Mode, Art Monthly, November 2002, S. 1-4.
31 Herbert Muschamp, Where Ego Sashays In Style,
New York Times, 6. Juni 1999, Week in Review, S. 6.
32 »We are in the entertainment business and competing against other forms of
entertainment out there.« Zitiert in: Ralph Blumenthal, Painting by Numbers:
My Renoir Beats Your Vermeer, New York Times, 6. Juni 1999: Week in Review, S. 6.
33 Kelly Devine Thomas, The Guggenheim Downsizes, Art News, Februar 2003, S. 100-105.
34 »Russia cracks down on ›oligarch‹ critics: Loyal businessmen not targeted”, USA Today, 13. Juli 2000. In der Ausgabe vom 15. März 2004 platzierte »Forbes«
Potanin auf Platz vier. Drei Öl-Oligarchen hatten ihn vom ersten Platz verdrängt. In der Weltliste der Milliardäre war er allerdings inzwischen mit 4,9 Milliarden Dollar an die 85. Stelle vorgerückt.
35 Sylvia Hochfield, Oligarch at the Guggenheim, Art News, März 2002, S. 45, Am 6. September 2004 wurde der Chefredakteur der »Iswestija«, Raf Schakirov,
entlassen, weil er vollseitig das Foto eines Mannes mit einem Kind, das beim Überfall von Tschetschenen auf eine Schule in Beslan verletzt worden war, auf die
Titelseite gesetzt hatte. Vgl. Seth Mydans, Grief in Russia Mixes With Harsh Words for Government, New York Times, 7. September 2004, S. 3.
36 Adrian Dannat, Guggenheim, Las Vegas: Gambling a sin – Rev. Rosenthal, The Art Newspaper, November 2001, S. 1.37 Celestine Bohlen, Chairman Gives Guggenheim An Ultimatum, The $12 Million, New York Times, 4. Dezember 2002, B1, 6.