Heft 1/2005 - Lektüre



Jens Schröter / Alexander Böhnke (Hg.):

Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?

Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung

Bielefeld (transcript) 2004 , S. 71

Text: Petra Löffler


Analog und/oder Digital: Kaum ein anderes Begriffspaar hat die Diskussion um die so genannten Neuen Medien in den letzten Jahren so bestimmt wie dieses. Und kein anderes wurde in gleichem Maße strapaziert, um die Erfolgsgeschichte der digitalen Medien zu schreiben: der Computer als digitales Supermedium, das alle analogen »Vorgängermedien« in sich aufnimmt. Auch in der Mediengeschichte wird die Wende von den analogen zu den digitalen Medien oft als Zäsur verstanden. Als deren theoretische Leitdifferenz fungiert die Unterscheidung analog/digital. Die Fragwürdigkeit dieser Geschichte untersucht der von Jens Schröter und Alexander Böhnke herausgegebene umfangreiche Band »Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?«. Das Spektrum der verhandelten Medien und Gegenstände in den einzelnen Beiträgen ist entsprechend breit. Es reicht von den »ältesten« zu den »jüngsten« Medien, von der Schrift bis zum Computer, und umfasst auch Bereiche wie Kryptologie und Kriminalistik.
Wie Jens Schröter in seiner Einleitung betont, wird die Zäsur nicht nur zeitlich verschieden angesetzt, sondern auch die Unterscheidung analog/digital bleibt durchaus diffus und ideologisch befrachtet: Sie impliziert bis heute eine Hierarchie, in der das Binär-Digitale als das Omnipotente erscheint. Diese Annahme gipfelte in der Gleichsetzung von Denken und Digitalität und in der Utopie eines Elektronengehirns, die sich jedoch mittlerweile als zu optimistisch herausgestellt hat. Kompliziert wird die Annahme eines generellen Gegensatzes noch durch den Befund, dass ein Medium »auf verschiedenen Ebenen zugleich analog und digital sein kann«. Dies bestätigt der Beitrag von John Haugeland, der die Grenzen der Digitalisierbarkeit analoger Vorrichtungen bestimmt.
Verdächtig waren die Hymnen auf das digitale Zeitalter und seine Möglichkeiten scheinbar grenzenloser Wirklichkeitssimulation bereits Medientheoretikern wie Norbert Wiener. In Theorie und Praxis erwies sich die Unterscheidung dieser Begriffe als schwierig, nicht nur weil das Digitale oft vorschnell mit dem Binären gleichgesetzt wurde, sondern weil ihre Verwendung von den jeweiligen theoretischen oder praktischen Umständen abzuhängen schien. So kam es, dass ihre Abgrenzung die Unterscheidung erst stabilisierte. Wolfgang Ernst plädiert deshalb dafür, »die Diskontinuitäten zwischen vergangenen und gegenwärtigen Mediensystemen« im Blick zu behalten, um eine Universalisierung des Digitalen zu vermeiden. Für ihn macht die emphatisch verteidigte Analog/Digital-Differenz »allein aus medienanthropologischer Perspektive Sinn«, das heißt, für menschliche BeobachterInnen und ihre Sinne, weil für sie digitale Daten nur analog wahrnehmbar sind.
Besonders am Begriff der Grenze prüfen viele Beiträge des Bandes die Zulässigkeit der strikten Unterscheidung in analoge und digitale Medien. Auch der bereits veröffentlichte Beitrag von Hartmut Winkler übt Kritik an der Hegemonie des Digitalen, indem er ihm das Analoge als notwendige »Instanz des Einspruchs« zur Seite stellt. Ausgehend von der systemtheoretischen Medium/Form-Unterscheidung fragt der Beitrag von Leander Scholz nach Figuren der »medialen Latenz«, nach der bestimmenden Unbestimmtheit von Medienvorgängen. Digitale Medien zeichnen sich in dieser Perspektive durch gesteigerte Möglichkeiten der Kombination von Datenmengen und Prospektion (und im besonderen Anwendungsfall der Kriminalistik: der Prävention) aus, die sich sowohl für eine umfassende Kontrolle der Gesellschaft als auch zur freien Meinungsbildung nutzen lassen. Entscheidend ist der jeweilige Kontext der Mediennutzung.
Gleich zwei Beiträge widmen sich der Bildtelegrafie als hybrides Mediensystem zwischen Analogizität und Digitalität. Geoffrey Batchen verknüpft seine Kritik an Lev Manovichs »The Language of New Media« mit einer archäologischen Rekonstruktion der gleichzeitigen Anfänge von Fotografie, »Computik« und elektrischer Telegrafie, die er in die Entwicklung der Bildtelegrafie gipfeln sieht – aus genealogischer Sicht sind Neue Medien also keineswegs so neu, wie sie scheinen mögen. An der komplizierten Geschichte der Bildtelegrafie lässt sich exemplarisch zeigen, dass viele Medien auf analogen Anordnungen und digitalen Verarbeitungen basieren, ohne dass diese Begriffe überhaupt eine Rolle spielen. Albert Kümmel weist zudem darauf hin, dass sich Erfolgsgeschichten von Medien – welcher Provenienz auch immer – nur um den Preis von Auslassungen erzählen lassen.
Eine solche Geschichte berichtet auch Claus Pias in seinem spannenden Beitrag über die wechselvolle Geschichte der Kybernetik und ihre Ablösung durch die anwendungs- und lösungsorientierte Informatik. Ausgerechnet die Kybernetik, für deren Epistemologie die Unterscheidung analog/digital in den vierziger Jahren prägend war, plädierte für hybride Rechnerstrukturen an der unscharfen Mensch-Maschine-Grenze, um Übersetzungsproblemen zwischen dem analogen Realen und dem digitalen Symbolischen zu begegnen. Weil sie jedoch weniger an der digitalen Implementierung dieses Realen interessiert war, hatte sie das Nachsehen gegenüber dem binär-digitalen Computermodell John von Neumanns. Pias betont, dass erst der diskursive und institutionelle Ausschluss der Kybernetik dem Digitalen zum Erfolg verholfen hat.
Der Band ist in einen Theorie- und einen Geschichtsteil gegliedert, die der Untertitel mit einem »und« verbindet. Damit wiederholt er in der Anordnung der einzelnen Texte genau die Konstellation des Begriffspaars analog/digital und entscheidet sich für ihre Konjunktion. Obwohl die Beiträge des Bandes eindeutig entweder dem Bereich der Geschichte oder dem Bereich der Theorie zugeordnet werden (etwas anderes ließe das Medium Buch auch gar nicht zu), schreiben sie wie Wolfgang Ernst (»Theorie«) oder Claus Pias (»Geschichte«) im besten Falle Theoriegeschichte.