Heft 1/2005 - Artscribe


Alejandra Riera: »maquettes-sans-qualité: Travail en Grève / Work on Strike«

12. November 2004 bis 16. Januar 2005
Fundació Antoni Tàpies / Barcelona

Text: Angelika Bartl


Barcelona. Dass Streiken nicht mit Untätigkeit zu verwechseln ist, macht die Ausstellung »Work on Strike« ihren BesucherInnen bereits zu Beginn klar. Sie vermittelt diese Erkenntnis aber nicht durch Bilder von streikenden ArbeiterInnen, sondern durch ihre Struktur. Denn obwohl auf einer großen Holzwand mitten im Ausstellungsraum »streikende Arbeit« ausgerufen wird, verweist die immense Fülle an Fotografien, Texten, Legenden und Videos nicht nur auf das hohe Maß an Arbeit, das hier versammelt ist, sondern auch auf die Anstrengung, die von den RezipientInnen gefordert wird. Die strenge Anordnung der Dokumente in fünf so genannten »maquettes-sans-qualité« (architektonische Modelle bzw. Skizzen ohne Qualität), die sich in farbig markierten Bändern entlang der Wände ausbreiten, scheint der Rezeption zunächst entgegen zu kommen. Relativ schnell wird aber deutlich, dass eine befriedigende Rezeptionshaltung nicht möglich ist: zunächst, weil die Ausstellung eine Unzahl an assoziativ miteinander verbundenen Materialien bereitstellt, deren komplexe Inhalte weder zur Gänze gesichtet, noch in ihren sich überlagernden und durchkreuzenden Bezügen erfasst werden können. Aber auch der Versuch, die Gesamtheit der Installation als Werk zu verstehen, wird vereitelt, da die einzelnen »maquettes« unentwegt ihre Unfertigkeit, Vorläufigkeit und Instabilität betonen.
In »Work on Strike« zeigt Alejandra Riera erstmals einen Überblick über ihr 1995 begonnenes Projekt »Un problème non résolu« (ein nicht gelöstes Problem). Es handelt sich dabei um ein imaginäres Archiv, in dem sie diverse Dokumente zu Fragestellungen der Politik der Repräsentation von Alterität versammelt. Die »maquettes-sans-qualité« stellen jene temporär fixierten Zwischenstufen dar, in denen einzelne Objekte dieses Archivs in ein konkretes, räumliches Bezugsystem gesetzt werden, das bestimmte Bedeutungszusammenhänge erkennen lässt. Dass sie jedoch nicht als geschlossene Wissenssysteme funktionieren, zeigen nicht nur ihre Titel (etwa »3e maquette-sans-qualité … travail abandoné«, zu deutsch: abgebrochene Arbeit), sondern auch die Tatsache, dass einzelne AkteurInnen und Motive (Freundschaft, Solidarität, Gefangenschaft/Freiheit, Sprache, Bild/Text) in den unterschiedlichen Sektionen wiederkehren. Durch die Dichte der einzelnen Dokumente und Zwischenstufen sowie durch die Vielzahl an möglichen Bezugslinien sind Bedeutungen zwar in Überfülle vorhanden, ein totalisierendes Verstehen ergibt sich daraus jedoch nicht. Genauso wie die Künstlerin scheinen auch die Werke zu »streiken«. Aber wofür bzw. wogegen?
Zwei Videos, die als einzige nicht den »maquettes« zugeordnet sind, scheinen dies in Form eines Prologs zu verdeutlichen. Das erste Video (»Gouvernementalité?«) zeigt Großaufnahmen von aufeinander abgestimmten Handlungsfolgen einer Gruppe Aikido-KämpferInnen. Das Einüben einer scheinbar reibungslos funktionierenden (Kampf-)Technik, in der die interagierenden Subjekte widerstandslos sowohl die Rolle der Dominierenden wie auch der Unterdrückten einnehmen, lässt das Video wie eine Metapher des »Programms« der Foucault’schen »Gouvernementalität« erscheinen. Im zweiten Video (»Del 11 al 12 Noviembre de 2004, Ici et ailleurs, Paris-Barcelona«) ist die distanzierte Kamera ungewöhnlich lange auf austauschbare Straßen und Gebäudeeingänge gerichtet. Erst langsam wird erkennbar, dass es sich dabei um Orte handelt, in denen Obdachlose ihre provisorischen Lebens- und Schlafstätten eingerichtet haben. Hier wird das im ersten Video verdeutlichte »Programm« mit der diskontinuierlichen und asymmetrischen »Realität« des modernen Lebens konfrontiert. In ihrer Abfolge verdeutlichen die Videos, dass jede Form des sozialen Interagierens in das – von zumeist unsichtbaren Gewaltmomenten strukturierte – Konzept der »Regierung« eingeschrieben ist. Damit ist aber auch gesagt, dass selbst scheinbar widerständige Handlungen, sobald sie im sozialen Feld getätigt werden, unhintergehbarer Teil der dominanten Macht-Wissen-Formationen sind. Eine paralysierende Situation.
Eine Situation, in der »Work on Strike« selbst gleichsam zu streiken beginnt und sich die Frage stellt, wie dennoch politische Arbeit – zumal im Kunstraum – möglich ist. Dass es darauf keine eindeutigen Antworten geben kann, sondern dass die Frage selbst als Widerspruch zu erkennen ist, darauf verweist das Paradox einer »streikenden Arbeit«. Es verweist aber auch darauf, dass aus einem politischen Anliegen heraus versucht werden muss, sich innerhalb der Ambivalenzen dieser Frage zu bewegen – also mit ihr und gegen sie zu agieren. Indem die Ausstellung das Werk und sein Subjekt auf einen »dubiosen Boden« stellt, erinnert es an jene Beschreibung des Essayistischen, die Adorno in seinem Aufsatz »Der Essay als Form« (1958) formulierte. »Work on Strike« betont allerdings nicht so sehr die Negativität dieser Form, sondern stellt einen Versuch dar, innerhalb dessen Momente des Politischen aufzuspüren. In der Ausstellung nehmen diese Momente die Form von Freundschaft und geteilten Erfahrungen an, von Versuchen der Identifikation über soziale, kulturelle oder geschlechtspezifische Gleichheiten, aber auch die Form von großen politischen »Traditionslinien« wie Feminismus oder Antirassismus. Gleichzeitig zeigt sie auch die Differenzen und Brüche in diesen Momenten und macht deutlich, dass ihnen keine stabile Essenz zugrunde liegt. »Work on Strike« vermittelt aber nicht nur das Wissen darüber, sondern involviert die BetrachterInnensubjektivität selbst über repräsentatorische Prozesse in die essayistische Form der Ausstellung. Da somit die Aporien der eigenen Subjektposition erfahrbar werden, scheint die Frage nach der Möglichkeit politischer Arbeit im Kunstraum gerade durch die Interaktionen der BetrachterInnen mit den Repräsentationen gleichzeitig beantwortet und neu gestellt.