Oberhausen. So genau wisse er nicht, warum er seinen »Film über den Arbeiter« (1997/98) als Farocki-Parodie ansehe, aber es habe damit zu tun, dass Harun Farocki Popideologie betreibe, die filmisch und politisch nicht (mehr) funktioniere. Ihm hingegen gehe es darum, sich bei aller Unrepräsentativität, die mit der Umsetzung von Persönlichem in(s) Kino im Idealfall einhergehe, nicht hinter auktorialen Gesten essayistischer Rhetorik zu verstecken. Vielmehr wolle er sich durch das Erzählen des Eigenen und das eigene Erzählen (von Lohnarbeit, Schwänzen, Tunten und Deleuze/Guattari) angreifbar machen. Der da vorsichtig an der Ikone des linken Autorenfilms sägt, ist Stefan Hayn, Studium an der Berliner HdK und später der HFF Konrad Wolf. Ihm war eines der Specials gewidmet, mit denen Oberhausen unterstrich, wie sehr man sich bei den Kurzfilmtagen der unauflösbaren Verschränkung von experimentellem und politischem Film verschrieben hat. Hayns zwischen Re- und Deauthentifizierung ikonischer, filmischer und ideologischer Sedimente oszillierende Filme reichen von »Schwulenfilm – Tuntenfilm – Pissen« (1989/90) bis zur Straub-Huillet-Hommage »Dreizehn Regeln oder Die Schwierigkeit sich auszudrücken« (1998), die alle Register der Travestie zieht – nicht denunzierend, sondern »inhaltlich, direkt, liebevoll«.
Um Ichauflösung und -konstituierung ging es auch im umfangreichen Sonderprogramm »Der gefallene Vorhang. Das Ich und das Andere seit 1989«, kuratiert von Marcel Schwierin. Konzipiert als Gegenbilder im Widerstreit mit dem kapitalistischen Globalisierungsdrang, skizzierten die 15 Einzelprogramme eine Topologie der anderen Seite des Kalten Kriegs und fokussierten jene paradoxe Gleichzeitigkeit von Lokalität und Supranationalität, für die das (durchwegs oppositionelle) sowjetische Filmschaffen in dreifacher Hinsicht stehen sollte: »Ausdruck revolutionärer Utopie, produktives Spannungsfeld zwischen zentraler und regionaler Kultur sowie […] Darstellung der Perestroika als Umbruch globaler Dimension« (Schwierin).
1989 markiert jenen Punkt, von dem aus der Blick auf die Geschichte des Kinos in seiner Genrevielfalt als disparate Modalität der Wahrnehmung und Hervorbringung von gesellschaftlichen Verhältnissen und politischen Positionen geworfen werden sollte. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, so der Imperativ des Programms, sollte dem heraufziehenden Nebel, den das Empire über und in unseren Köpfen und Seelen erzeuge, durch Schärfung der Beobachtung des Menschen und seiner Beziehungen begegnet werden. Dieser perspektivierte filmarchäologische Ansatz ermöglichte zum einen die Neurahmung wahrer Kleinode des sowjetischen Dokumentarfilms: etwa Artavazd Peleschjans »Mènk« (Wir, 1969), der (die armenische) Ethnizität durch das Verfahren der Distanzmontage von »found footage« in ein komplexes Gefüge einer (noch existierenden) übergeordneten Menschheit stellt, oder Pavel Kogans »Vzgljanite na lico« (Schauen Sie ins Gesicht, 1966), der die BetrachterInnen von Leonardo da Vincis »Madonna« den normativen Sehanordnungen einer touristischen Kunstführung entreißt und stattdessen ihre Gesichter einzeln fokussiert; Michail Kalatosovs »Salz für Svanetien« (1930), eine nach dem Buch von Sergej Tret’jakov gedrehte, fast lyrische Studie über das beschwerliche Leben im Kaukasus, ebenso wie »Chronik einer Demonstration« (Dmitrij Zelkovskij, 1988), eine filmisch-performative Dekonstruktion der Sowjetunion, an die Klassiker des postsozialistischen Films wie Sokurovs »Sovetskaja El·egija« oder Svankmajers »Konec Stalinismu v Cechách« anschließen. Zum anderen förderten thematische Querschnitte wie »Materialism«, »Megalomaniac« oder »Cosmic Science« ein kuratorisch gelungenes »Juxtapositioning« von Arbeiten Peter Kubelkas (»Dichtung und Wahrheit«), Sadie Bennings (»Girlpower«) oder Charles und Ray Eames’ (»Powers of Ten«) zutage.
Die formale Ernsthaftigkeit und Strenge aktueller Kunstfilme und -videos, die den Internationalen Wettbewerb prägte, fand ihren vorläufigen Endpunkt in der antinarrativen Kontemplativität der meist aus einer einzigen Einstellung bestehenden, das Ereignis auf ein Warten reduzierenden Arbeiten von Mark Lewis, dem neben der Videokünstlerin Laura Waddington (»Border«, 2004; »Cargo«, 2001) eine weitere Retrospektive gewidmet war. Demgegenüber brach Józef Robakowski, seit 1959 einer der wichtigsten aktionistischen Mediendissidenten, das andächtige Schweigen auf. Selbst in den rein auf die medialen Grundbausteine Licht, Farbe oder Tonspur konzentrierten Filmen wie »Test I« (1971), der rhythmische Licht- und Toneffekte durch die Durchlöcherung von Celluloid erzielt, oder »Katy energetyczne« (1975–2004), der »energetische Ecken« als eine Art »intuitive Geometrie« beleuchtet, zeigen sich die Signaturen eines »glücklichen Strukturalisten«. Seine verspielte Leichtigkeit und witzige »Natürlichkeit« werden besonders in dem »persönlichen »Manifest Energetyczny!« (2003) und den anderen »biomechanischen Aufzeichnungen« offenbar. Jenseits medienkünstlerischer Stilisierung und allzu ernst gemeinte Performances parodierend (»Meine Videomasochismen«, 1989) entfaltet sich so durch die Verkettung von Technologie und Organismus eine minimalistische Subversivität. Indem sie das Ich zum (energetischen) Medium macht, stellt sie einer der bourgeoisen wie der realsozialistischen Wirklichkeit entgegen arbeitende »privacy« her. Ein weiteres, treffendes Beispiel für das im Titel des Sonderprogramms angesprochene Verhältnis.