Heft 2/2005 - Artscribe
Hamburg. Fast eine Milliarde Postkarten beförderte die Deutsche Reichspost im Jahr 1900 – ein Hinweis auf die große Popularität, der sich das Medium um die Jahrhundertwende erfreuen konnte. Oftmals verschickte der Absender seine Post nach Deutschland, um seine Anwesenheit an einem anderen Ort zu dokumentieren. Unzählige Bilder aus fremden Ländern fanden so ihren Weg in heimische Wohnzimmer und vermittelten den Daheimgebliebenen einen Eindruck von Erfahrungen, an denen sie nicht teilgenommen hatten. So wurde insgeheim ein Bündnis des Blicks zwischen Absendenden und EmpfängerInnen eingeübt, der nicht selten die abgebildeten Menschen exotisierte oder als minderwertig denunzierte. Denn gerade Postkarten aus den Kolonien, auf denen so genannte Eingeborene zu sehen waren, vermittelten rassistische Stereotype. Sie sollten das eigene und nationale Handeln in den Kolonien legitimieren, das im Fall des Deutschen Kaiserreichs faktisch Zwangsarbeit, Massenvergewaltigungen, Krieg und Völkermord beinhaltete.
Es ist der Ausstellung »Bilder verkehren. Postkarten in der visuellen Kultur des deutschen Kolonialismus« zu verdanken, dass mit der deutschen Kolonialgeschichte und ihren Mythen und Märchen aufgeräumt wird. In akribischer Kleinarbeit hat das Ausstellungsteam die private Postkartensammlung von www.postcard-museum.com aufgearbeitet, Exponate ausgesucht, thematisch gruppiert und kommentiert. Bildliche und textliche Verweise werden mit historischen Fakten kontrastiert, nicht selten wurden Zeugenaussagen der Kolonisierten ausgewählt, die klar und deutlich über Gewalttaten der Kolonisierenden berichten. »Unsere Frauen wurden gezwungen zu gehen und für den weißen Mann zu arbeiten und die Männer wurden zu den Kupfer- und Diamantenminen gebracht, oder zum Eisenbahnbau. Viele von unseren, auf diese Weise unter Zwang fort geschaffenen Frauen und Töchter kehrten später entweder schwanger oder mit einem Kind von einem weißen Mann zurück« heißt es z.B. auf einer der Texttafeln, die sich thematisch mit dem »Krieg führen« der deutschen Kolonialisierenden beschäftigt. Sie dokumentiert die Sichtweise eines Herero auf Vorkommnisse in den so genannten Kraalen, den deutschen Gefangenenlagern in Deutsch-Südwestafrika (heute: Namibia). Indem historische Fakten und Zeugnisse die Postkarten kontextualisieren, machen sie deren rassistische Darstellungen lesbar und veranschaulichen deren Funktionsweise. Auffällig ist, wie oft als Gefahr empfundene Begebenheiten wie z.B. die »Rassenvermischung« verniedlicht oder lächerlich gemacht werden. »Seltsame Bettgenossen« oder »Gefährliche Bettnachbarn« steht auf Postkarten geschrieben, bei denen ein schwarzes und ein weißes Baby ihr Körbchen teilen. Sie verweisen sowohl auf den Zeugungsakt als auch auf die Tabuisierung der realen Vermischung, die eine klare Grenzziehung zwischen weißer und schwarzer Hautfarbe unmöglich macht. In verzerrter Gestalt kehren Begebenheiten wieder und zeugen z.B. von sexuellen Beziehungen zwischen Kolonialisierenden und Kolonialisierten, die oftmals gewaltsam waren, aber bisweilen aus Liebe, Respekt und Zuneigung eingegangen wurden und später durch ein »Mischehenverbot« kriminalisiert werden sollten.
Der zweite Schwerpunkt der Ausstellung trägt den Titel »Migration« und verdeutlicht die Geschichte all derjenigen Schwarzen, die durch ein Studium oder einen Arbeitsaufenthalt im Deutschland des Kaiserreichs oder der Weimarer Republik blieben. Da diese nicht selten in der Unterhaltungs- oder Werbebranche arbeiteten – oftmals, weil sie in diese Rollen gezwungen wurden –, verschickten sie selbst Postkarten, die sie bei der Berufsausübung zeigen. War es bereits den Postkarten aus den Kolonialgebieten oft nicht gelungen, den Gezeigten ihre Würde und Menschlichkeit zu nehmen, gelingt es in diesen Darstellungen noch seltener, insbesondere, wenn die Bilder Selbstrepräsentationen sind. Eine Werbepostkarte wie jene für »Mohra-Margarine« aus dem Jahr 1905/06 beabsichtigt zwar eindeutig, das Produkt zu exotisieren und eine Kolonialbeziehung zwischen »Herren« und »Dienern« in Szene zu setzen. Sie scheitert jedoch an dem offenkundigen Gleichmut, der einem der Dargestellten ins Gesicht geschrieben steht und der mit direktem Blick offenbart, dass er die gewünschte Darstellung nur nachahmt. Hier entlarvt sich der koloniale Blick als eine Wunschproduktion, die seine Anderen zwar entmenschlichen will, es aber nur durch reale Gewalt – die repräsentiert wird oder die Repräsentation ist – schafft, deren Würde zu unterdrücken. Indem die Ausstellung den Blick der Kolonialisierenden diskreditiert, die selbst stilisierenden Lügen der deutschen Kolonialmacht aufdeckt und die Erfahrungen der Kolonisierten zur Sprache bringt, lässt sie ein Stück halbvergessener Geschichte auftauchen. Denn hartnäckig hält sich der Glaube, der deutsche Kolonialismus sei unwesentlich, unbedeutend und kurz gewesen. Dabei waren die deutschen Kolonialgebiete Togo, Kamerun, das heutige Namibia und Tansania dreimal so groß wie Deutschland, und mehrere Jahrzehnte besetzt. Die gewaltsame Unterwerfung und Ausbeutung der Einheimischen hatte nicht nur enorme Auswirkungen auf die weltweite Verteilung von Gütern und Nahrungsmitteln, sondern zog bereits während der Kolonialzeit zwei Kriege nach sich.