Heft 3/2005


Hoffnung Südamerika?

Editorial


Gegenüber dem Trend neoliberaler Konsolidierung scheinen in einzelnen Ländern Südamerikas die politischen Verhältnisse zusehends in Bewegung zu geraten. Aus unterschiedlichsten Richtungen werden heute Hoffnungen auf die emanzipatorischen Bewegungen dieses Kontinents projiziert. Nicht immer entspricht dies den lokalen Gegebenheiten; nicht immer geht der tatsächlich erreichte minoritäre Fortschritt mit den weltweiten Erwartungshaltungen einher.
Die aktuelle Ausgabe widmet sich den Versprechungen, die mit dieser politischen Neuausrichtung kulturell und künstlerisch verknüpft werden. In der Gesprächsrunde der KünstlerInnen Lívia Flores, Lúcia Koch und Ricardo Basbaum kommt explizit das Aktions- und Widerstandspotenzial der brasilianischen Gegenwartskunst in der Ära Lula da Silvas zur Sprache. Den aktuellen Produktionen Ricardo Basbaums ist ein eigenes Feature gewidmet, das sich vor allem mit deren Implikationen im Hinblick auf kontrollgesellschaftliche Entwicklungen befasst. Welche »Selbst-Choreografien« den Subjekten im südamerikanischen Kontext abgenötigt werden, macht zudem der Beitrag über den chilenischen Künstler Edgar Endress deutlich, der lange Zeit schon den vielen kleinen Migrationsgeschichten entlang der Süd-Nord-Route nachgeht.
»Hoffnung Südamerika?« fragt aber auch nach den Aussichten einer neuen »tropischen Moderne«, wie sie etwa die Manifeste des brasilianischen Kinos der sechziger Jahre formulierten. Was wurde aus der »Ästhetik des Mülls« oder der »Ästhetik des Hungers«, welche die frühen Filme Glauber Rochas zentral propagierten? Auf welche Weise wirken diese Produktionen klassischen Widerstandskinos in die Gegenwart nach? Dass der Kontinent nicht nur historisch immer wieder maßgebliche politisch-künstlerische Programme hervorgebracht hat, beweist der Blick auf aktuelle netzkünstlerische und musikalische Entwicklungen, denen ebenfalls eine Reihe von Beobachtungen gewidmet ist.
Südamerika als Testlabor global-sozialer Gerechtigkeit wird – wie zuletzt in einer Reihe von Beiträgen über Argentinien – in diesem Heft am Fall Venezuela unter Hugo Chávez durchdiskutiert. Inwiefern die gerade stattfindenden kulturellen Veränderungen, in Venezuela und anderswo auf dem Kontinent, tatsächlich zur Bildung neuer (auch globaler) Solidargemeinschaften beitragen, bleibt abzuwarten. Voraussetzung dafür ist, sie überhaupt einmal sichtbar zu machen – so wie dieses Heft es versucht.