Heft 3/2005 - Artscribe


Charlotte Posenenske

2. Juni 2005 bis 28. August 2005
Museum für Gegenwartskunst Siegen / Siegen

Text: Susanne Neuburger


Siegen. KünstlerInnen mit kurzen Schaffensperioden haben oft ein großes Oeuvre hinterlassen, Robert Smithson etwa oder Peter Roehr. Die früh verstorbene Ljubow Popowa, die ihre Malerei ganz aufgab, um gesellschaftsrelevantere Produktionen aufzunehmen, ist ebenso ein Beispiel wie Lee Lozano, die in zehn Jahren ein gewaltiges Oeuvre schuf. Im Gegensatz dazu gibt es in der kurzen Karriere aber auch Minimalisten wie Lewis Stein, der seine Malerei nach einigen wenigen Jahren für ausgeschöpft erachtete, oder den Konstruktivisten Karl Joganson, von dem acht Arbeiten dokumentarisch überliefert sind. Das Werk Charlotte Posenenskes scheint in diese zweite Kategorie zu fallen, wenngleich zu bedenken ist, dass wir das Gesamtoeuvre der Künstlerin, die bekanntlich kurz vor ihrem Tod einen Teil ihres Werkes vernichtete, nicht kennen. Ihre Arbeiten am Theater eingeschlossen, war es vielleicht wesentlich umfangreicher, als es sich jetzt darstellt. Unter den zerstörten Werken nennt Burkhard Brunn in seinen »Erinnerungen an die Künstlerin« etwa »kompliziertere Vorformen der einfarbigen Reliefs von 1967«, die Posenenske der Nachwelt offensichtlich nicht überliefern wollte. Eine spätere Archivierung quasi vorwegnehmend hat sie in einer systematischen, knappen Aufstellung die einzelnen Werkphasen so aufgelistet, wie sie später wahrgenommen werden sollten.
Wie sehr sie damit auch zur Kuratorin ihrer zukünftigen Ausstellungen werden würde, macht nun die erste größere Werkschau deutlich, die von der Galerie im Taxispalais in Kooperation mit dem Museum für Gegenwartskunst Siegen veranstaltet wurde. Etwa vierzig Werke waren – der eigenen Darstellungen Posenenskes folgend – beginnend mit den früheren Arbeiten auf Papier und den plastischen Bildern (Faltungen), den mehrteiligen Metallarbeiten der Serie B und C, den Vierkantrohren und zwei der drei Drehflügel zu sehen. Besonders spannend wurde die Ausstellung durch diverses Archiv- und Dokumentationsmaterial, kam doch dadurch erstmals eine Sichtweise von außen auf die Künstlerin zustande. Etwa zeigte eine Fernsehdokumentation der legendären Ausstellung »Dies alles, Herzchen, wird einmal dir gehören« Posenenske, wie sie Anweisungen für das Umbauen der Vierkantrohre gibt. Zwar waren die Skizzen, die die Schnittstellen von Außen und Innen und die einzelnen Formationen in beeindruckender Prägnanz festlegen, bereits aus dem Nachlass bekannt, nun aber konnte man sich überzeugen, dass Posenenske bis zum Dresscode der Arbeiter hier nichts dem Zufall überlassen hatte. Enthält diese kontrollierte Umgangsweise nicht einen Widerspruch zu ihrer Aufforderung einer freien Anordnung seitens des Publikums? Immer wieder stößt man auf ähnliche Unstimmigkeiten, wenn sie etwa Flugzettel gegen Kunst auf der Documenta 4 verteilte, gleichzeitig aber selbst Kunstausstellungen beschickte.
Charlotte Posenenske würde man eine solide kunsthistorische Bearbeitung wünschen. Das soll keineswegs die Arbeit von Burkhard Brunn schmälern, der mit großem Engagement den Nachlass betreut, heuer seine »Erinnerungen an die Künstlerin« vorlegte und auch ein Oeuvreverzeichnis veranlasste, an dem Eva Huber arbeitet. Aber angesichts des nun erstmals versammelten Materials häufen sich viele Fragen. Eine ist die, wie die sich in schlechtem Zustand befindlichen plastischen Bilder (Faltungen) ausgestellt werden könnten. Sollte man nicht, weil Restaurierungen sicher viel zu umständlich und teuer sind, Ausstellungskopien herstellen, die bei einer Künstlerin, die sich an industrieller Fertigung orientierte, allemal legitim sind?
Ein wichtiger Beitrag zur Posenenske-Forschung ist der Katalogbeitrag von Gerhard Schröder, der Posenenske überzeugend in den Kontext der Minimal Art stellt. Gewissermaßen beantwortet er damit auch die Gretchenfrage, nämlich Posenenkes Beziehung zur Moderne, insofern, als mit Minimal trotz aller Unterschiede die Moderne bezwungen schien und ein wesentliches Interesse dem Realitäts- und Öffentlichkeitscharakter von Kunst galt. Wie komplex und reich an Bezügen Posenenskes Arbeiten dabei sind, zeigt vor allem die letzte Werkgruppe der Drehflügel, die zwar die Forderung Carl Andres nach dem Ort erfüllen, sich von Gestaltprinzipien der Minimal Art aber auch absetzen. Man möchte diese veränderbaren und begehbaren Objekte, die ein Innen und Außen in der Waagschale halten wollen, als kleine demokratische Einheiten, etwa Wahlzellen vergleichbar, begreifen, gleichzeitig rufen sie aber Assoziationen zur Camera Obscura oder zu Smithsons »Enantiomorphic Chambers« und damit zu Fragestellungen von Optik und Wahrnehmung hervor: Hier hat uns Posenenske noch einiges an Fragestellungen hinterlassen.