Heft 1/2006 - Lektüre
In ihrem Beitrag zum Symposium »Import Export. Cultural Transfer. India, Germany, Austria«, das nun auch als reich bebilderter Reader vorliegt, wendet sich die indische Kulturtheoretikerin Nancy Adajania abschließend ganz bewusst gegen die »viktimologische Darstellung der Globalisierung«. Sie analysiert darin die »Transformation des privaten Bildes im urbanen Indien«, die im Wesentlichen auf der Verbreitung der Adobe Photoshop-Software basiere. Dass der globale Einsatz digitaler Reproduktionstechnologien nicht zwangsläufig zu kultureller Gleichförmigkeit führt, stellt sie mit diversen Bildbeispielen und Alltagsbeobachtungen unter Beweis: mit einem alten indischen Ehepaar, abgebildet in einer Landschaft aus einer Tourismusbroschüre, aber auch mit der mittlerweile gängigen Praxis in indischen Fotostudios, die nunmehr gemeinsam mit ihren Kunden virtuelle Settings für ihre traditionellen Familienfeiern oder Hochzeitsreisen kreieren.
Im Unterschied zu den verbreiteten Stereotypen, die in Bezug auf die Globalisierung davon ausgehen, dass
sie Differenzen aushebt und allem den Stempel des Amerikanischen aufdrückt, interpretiert Adajania diese Bilder als Ergebnisse komplexer Verhandlungen, in denen die Technologie an die jeweilige gesellschaftliche Logik angepasst wird. Und weil sie darüber hinaus beobachtet habe, »wie die Menschen die Globalisierung anpacken, indem sie Handlungsfähigkeit (agency) zeigen, ihre Vorstellungskraft einsetzen und in diesem ›informellen Sektor‹ kultureller Produktion sogar neue Formen hervorbringen«, plädiert sie schließlich auch für ein »nuancierteres Verständnis der Auseinandersetzung mit der Globalisierung«.
Dass ein solch differenzierter Umgang mit den dominanten Erzählungen der Globalisierung auch das umfangreich angelegte Projekt »Import Export« begleitet hat, stellt
nun die Dokumentation desselben unter Beweis. Eingeteilt in die Kapitel »moving concepts«, »moving goods« und »moving people« untersuchen die AutorInnen in mehr als
25 (Bild-)Beiträgen das intellektuelle, ökonomische und soziale Feld der transkulturellen Beziehungen zwischen Indien und Deutschland/Österreich. Nicht zufällig wurden dabei die intellektuellen Beziehungen an den Anfang gesetzt, denn die Geschichte der wechselseitigen Zuschreibungen und Projektionen ist offenbar nicht nur vielseitig, sondern auch lang. In ihrer Beschäftigung mit den »kulturellen Übersetzungen zwischen Indien und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert« beleuchtet die Literaturwissenschaftlerin Mishka Sinha die bis in die Gegenwart reichenden Phantasmen, die die deutschen »Orientalisten« wie Herder, Schelling oder Goethe kreierten, während Christiane Hartnack in ihrem Beitrag die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Freud und seinem indischen Kollegen Girindrasekhar Bose analysiert. In seinen Briefen bezog dieser mit Bezug auf die indischen Muttergottheiten eindeutig Stellung gegen die klassische Psychoanalyse von Freud, die andere indische Psychoanalytiker auch als »Vater-Religion« bzw. »Religion des Sohnes« diffamierten. Bedauerlicherweise konnten die beiden Wissenschaftler, die ihren Kontakt aufgrund ihrer Differenzen bald abbrechen sollten, wohl nicht wirklich von dem Austausch ihrer Erfahrungen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten profitieren.
Anders stellt sich dies angesichts der gegenwartsbezogeneren Beiträge dar: Angelika Fitz, gemeinsam mit Merle Kröger, Alexandra Schneider und Dorothee Wenner eine der Kuratorinnen des Projekts, skizziert anhand eines Kunstprojekts im Stadtraum von Delhi die Möglichkeiten des »Ästhetischen und politischen Handelns im öffentlichen Raum«. Vier Seiten später werden diese Möglichkeiten von dem indischen Soziologen Rahul Srivastava insofern prinzipiell in Frage gestellt werden, als er darin konstatiert, dass die Urbanisierung in Indien auch als eine Ideologie betrachtet werden müsse. Die Lebensräume der ärmsten BewohnerInnen würden in Städten wie Bombay nicht ausradiert, weil sie überbevölkerte Gegenden ohne öffentliche Einrichtungen darstellen, sondern weil sie ganz einfach nicht in die futuristischen Pläne einer globalen Metropole passen. Folglich bewege sich ein Kunstprojekt in einer indischen Großstadt auf jeden Fall auf sehr heiklem Terrain.
Dass die Kuratorinnen des Projekts diese Widersprüchlichkeiten und Bruchstellen nicht geglättet, sondern vielmehr als wesentliche Voraussetzung für einen konstruktiven »kulturellen Transfer« betrachtet haben, zeigt sich nicht zuletzt in der formalen Konzeption der Publikation. Einem Lesebuch ähnlich versammelt der Reader AutorInnen unterschiedlichster Provenienz, die in verschiedenen Textformaten die fatalen Folgen von 9/11 für indische Muslime, die Unsichtbarkeit Indiens in der deutschen Medienberichterstattung oder die Ursprünge des indischen Hindutva-Nationalismus erläutern. Mit einer DVD, die drei Filmessays (u.a. von Michael Wörgötter) umfasst, bietet die Publikation verdichtete, ebenso nuancierte wie globalisierungskritische Information.