Heft 1/2006 - Artscribe
Zürich. Die Nation hatte »ihre unerschrockensten Söhne aufgerufen, ihre Ausstrahlung jenseits der Meere zu sichern: mit Mut, mit Begeisterung, mit Zähigkeit haben sie das vollbracht. Die Böden wurden aufgewertet, die Krankheiten bekämpft, sie trieben wahrhaft die Entwicklung voran.« Nein, wer hier spricht, ist nicht ein Historiker aus der gefakten Fernsehdokumentation Hoy Cheong Wongs. Die Realität IST so verdreht, wie es Wong in der Satire »RE:Looking« (2002-–2003) vorführt, in der er der zivilisierenden Wirkung der malaysischen Kolonialherrn auf das Entwicklungsland Österreich nachgeht: Das Zitat stammt zwar ebenso aus 2003, ist aber einem Bericht über Frankreichs Rolle in Algerien entnommen, dessen Beschönigung kolonialistischer Ausbeutung sich nach dem Willen des französischen Parlaments auch im Schulunterricht auswirken soll.
Umso zynischer lässt es sich lachen in Wongs zur Zeit in der Shedhalle Zürich eingerichtetem Fernsehzimmer. Die kaum integrierte europäische Hausmagd in Malaysia, der sentimentale Rückkehrer im Rentenalter, der einfühlsame Jungjournalist und der zornige Politaktivist – Wong lässt ironisch verdreht auftreten, wer im wahren Leben als Bauernopfer der postkolonialen Weltwirtschaft verelendet. Wie das in Zeiten des Kolonialismus errichtete und gefestigte Wohlstandsgefälle sich bis heute auf Tourismus, Migration und unsere kulturelle Identität auswirkt, will das Kuratorium der Shedhalle, Sønke Gau und Katharina Schlieben, in drei Kapiteln über das Jahr verteilt untersuchen. Der erste Ausstellungsparcours konzentriert sich dabei auf den bilderreichsten dieser Aspekte, den Tourismus.
Sascha Reichsteins Fotos zum Beispiel zeigen die normierten Luxusräume der Hilton Hotels in Wien und Colombo, mit Seitenblick auf die als Mehrwert inszenierten, zum Teil auch unvermeidbar sich ins Haus schleichenden Eigenheiten der Standorte. In Gesprächen mit den Angestellten wird deutlich, wie sehr manche die Marke Hilton als identitätsstiftendes Partizipieren am westlichen Wohlstand verinnerlichen. Ihre Biografien unterlegen das anonyme Netzwerk des Hotelkonzerns und die weltweiten Migrationsströme von TouristInnen und Arbeitssuchenden mit dem verbindlichen familiären Beziehungsgeflecht, dem viele ihre Arbeitsstelle verdanken. Ähnlich geht Lisl Ponger in »déjà vu« vor, sie lässt ihre Montage von Amateurfilmen akustisch von Erinnerungen zurückgekehrter MigrantInnen begleiten. Die scheinbar persönlichen Souvenirfilme führen vor, wie repetitiv der touristische Blick Exotik konstruiert: Selbst das besonders Fremde, Arme oder Schöne unterliegt stets unausgesprochen den mitgebrachten Wertmaßstäben. Diese Einsicht verdanken wir auch dem in der Zürcher Ausstellung geschickt platzierten Film von 1916, für den der Amerikaner Burlingham mit Ethnologenblick einen Schweizer »Bauernstamm« im Lötschental aufsuchte. Im historischen Fundstück wie auch in Ruby Sircars Medley aus Bollywoodfilmen begegnet uns ausgerechnet die Schweiz nicht als global tätige Wirtschaftsmacht, sondern als Projektion des Urtümlichen und Paradiesischen.
Die 15 Stationen der Ausstellung, besonders Philippe Rekacewicz’ »Cartography of dreams and nightmares« (2005), führt vielfältig vor Augen, in welch’ historisch belastetem Machtgefüge wir gerade in unserer unbeschwertesten Freizeit navigieren. Sie versammelt subjektive Bildversuche über diejenigen Orte, die wir sonst als Feriendestination oder dann als Krisenherd in den Nachrichten verhandeln. Damit verfolgt die Shedhalle hartnäckig ihre gesellschaftskritische Recherche mit den Mitteln der Kunst, die sie insbesondere in der Schweiz unverzichtbar macht, wo der letzte Ausstellungssommer ganz im Zeichen von »Flowers« und »Wolkenbildern« stand. Mit einem größeren Budget gelänge es womöglich besser, auch diejenigen Arbeiten wirksamer zu inszenieren, die weniger einseitig auf kognitive Erkenntnis setzen. Valérie Jouves »Grand Littoral« zum Beispiel ist eine atmosphärische Videostudie des Niemandslandes rund um ein Shopping Center bei Marseille, die in großem Format das eigentümliche Zeitgefühl, die vage Ortlosigkeit und zwiespältige Identität der jugendlichen Secundos auch physisch für uns erfahrbar machen könnte.