»Theorie« und Gegenwartskunst stehen in keinem einfachen Verhältnis zueinander. Ob als emanzipatorische Verheißung, instrumentelle Inanspruchnahme oder unverzichtbarer Begleitdiskurs üben Poststrukturalismus, Feminismus, Postkolonialismus und andere Denkrichtungen komplexe Wirkungen auf die Kunst aus. Diese reichen von unkritischer Übernahme, dialogischer Auseinandersetzung und wechselseitiger Anregung bis hin zu heftiger Ablehnung. Grund genug, um nach dem aktuellen Stand der »Theoriebildung« im Bezug auf die aktuelle Kunstproduktion zu fragen – nach Angemessenheit und Verfehlung, Anachronismus und Zeitgemäßheit, Eklektizismus und Innovation.
Da ist zunächst das »partizipatorische Versprechen« der Gegenwartskunst, der Wunsch, Subjekt-Objekt-Trennungen durch das privilegierte Einbeziehen der BetrachterInnen überwinden zu können. Suzana Milevska geht in ihrem Beitrag diesen Versprechungen einer auf Teilnahme und Involvierung beruhenden Kunst nach, um bei einer Problematisierung des Begriffs der Gemeinschaft zu landen. Letztere stellte auch einen Hauptansatzpunkt des französischen »Meisterdenkertums« dar – einer Phase der Theoriegeschichte, die langsam an ihr Ende zu kommen scheint und der Nicolas Siepen anhand ihrer retrospektiven Vereinnahmung nachgeht. Wie stark die französische Philosophie der Nachkriegszeit die jüngere Kunstgeschichtsschreibung beeinflusst hat, lässt sich alleine an den zahlreichen Ansätzen rund um die US-amerikanische Zeitschrift »October« ermessen. Deren Abriss der Kunst des 20. Jahrhunderts nimmt Konstantin Akinsha unter die Lupe, nicht ohne auf die blinden Flecken dieser Annäherung bzw. deren osteuropäische Pendants zu verweisen.
Ergänzt wird dies durch weitere Anwendungsstudien, etwa wenn Edit András die spezifische Theorie-Feindlichkeit eines immer stärker vom Markt beherrschten postkommunistischen Kunstbetriebs herausstreicht. Oder wenn das Symptom neuer »Theorie-Obsessionen« am Fall der jüngeren französischen Szene beleuchtet wird. Vorgestellt wird in dieser Ausgabe zudem ein Projekt des chilenischen Künstlers Mario Navarro, das sich mit den historischen Verwicklungen der kybernetischen Wissenschaft mit dem politischen Regime in Chile zu Beginn der siebziger Jahre befasst. Auch das ein treffendes Beispiel dafür, wie die Theoriebildung nicht aufhört, andere gesellschaftliche Bereiche auf oft unerwartete, wenngleich nie reibungslose Weise zu durchsetzen.