Heft 2/2006 - Netzteil
»Cyber-cafes are like churches.«
(Seun Kuti)
»419 ist nicht mehr trendy. Es gibt die Internetbetrüger, die so genannten ›yahoo yahoo‹. Talentierte Jungs, die unglaublich Geld machen, crazy … Die meisten von ihnen laufen weiter auf der Straße rum, sie gehen in ihr Dorf und sind dort der König. Man fragt dich nicht, woher du kommst, zwei Jahre zuvor warst du auf der Suche nach einem Job, sechs Monate später kaufst du dir ein Haus – und niemand fragt, woher du das Geld hast.«
(Ayo Animashaun, HipHop World Magazine)
Unbeschwert erklingen die Takte einer einfachen Melodie – ein traditionell anmutendes Xylophon, spärlich eingesetzte Keyboard-Akkorde, pointierte Bläser. Wir sehen freundlich lächelnde, leicht bekleidete Backgroundtänzerinnen in den Nationalfarben Nigerias ihre Hüften schwingen, dazwischen erhebt ein Herr im langen weißen Gewand seine Stimme. Nach wenigen Schnitten sitzt er am Schreibtisch, die Beine hochgelegt. Die Einstellung zeigt vor allem die Fußsohlen von schräg unten. »I get sense poverty no good at all … 419 is just a game … I am the master«. Der Refrain allerdings bereitet ihm die größte Genugtuung: »u are da looser i am da winner«. Wir sehen unseren Winner am Murtala-Muhammed-Flughafen in Lagos, wie er Geschäftsleute aus aller Welt begrüßt und in spärlich eingerichteten Zimmern bei dubiosen Businessmeetings Stapel an Geldbündeln einstreicht. »I go chop your Dollar … I will eat your dollars, will take your money and disappear.«
Der Clip ist Teil eines Films namens »The Master« von Uzodinma Okpechi; viele nennen Okpechi einen »funny guy«. Er ist Schauspieler, Regisseur und Produzent, der auf dem besten Weg war, Arzt zu werden. Nun ist er einer der wenigen innerhalb der noch immer wachsenden Home-Movie-Filmindustrie Nigerias, der auf technische Standards Wert legt, auf Licht und Bewegung und den vor kurzem auch international herumgereichten Tunde Kelani sein Vorbild nennt. Das Stück wurde letztes Jahr in Lagos schnell zum Hit und zog etliche Aufregung nach sich – darf man dem Kommentar auf der Seite http://www.naijajams.com Glauben schenken (hier findet man auch den Clip zum Download). Vielen ZuschauerInnen war die Ironie dabei entgangen, und in Blogs und Foren wurde spekuliert, ob das nun tatsächlich eine unverfrorene Aufforderung zum 419-Betrug sei oder nicht.
419 ist ein Anti-Betrugsgesetz, zugeschnitten auf Vorauskassen-Betrug und damit auf das noch immer lukrative Geschäft, das in zig Internetcafés, vor allem in Lagos, als einfallsreiche E-Mail beginnt. Die Grenze zwischen »lovely SPAM« und »lovely SCAM« beginnt, wenn ein »margha« – das ist Yoruba und meint so viel wie Zielperson – auf Reply drückt. Die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn jemand antwortet, auch tatsächlich Geld flie-ßen wird, liegt bei 70 Prozent, so die Analyse eines Ex-Scammers in der »Los Angeles Times«. Jeder mit einem E-Mail-Account kennt die fantastischen Geschichten all der Söhne irgendwelcher Generäle und Gouverneure, die Millionen geerbt oder deponiert, aber nur grade kein Bankkonto zur Hand haben. Erstaunlich dabei ist nicht, dass die Jungs in Lagos das ausprobieren, sondern dass der Fake noch immer funktioniert. Zuletzt war es »Der Spiegel«, der Lagos zur »Stadt der Cyber-Gangster« erklärte; der Autor evozierte mit den üblichen Metaphern eine Atmosphäre von Müll, Chaos und Armut, um dann ausführlich aus der Perspektive eines Opfers zu berichten.
Mit denen hat in Lagos niemand Mitleid. Es treffe eh nie die falschen, hier blieben die »Greedy People« unter sich. »Four-One-Nine« ist vielmehr zum geflügelten Wort für Betrügereien aller Art und beliebtes Thema der Popkultur geworden. »419-State of Mind« nennt etwa der Rapper Modenine einen seiner Songs – ein Bewusstsein, das alle möglichen Auswüchse von Schizo-Zuständen zu fassen versucht. »419 state of mind, don’t wanna slave 4 mine / I was born this way / I’m really trying 2 live straight / but I’m not qualified 4 a job that pays 10 K …«, so Terry tha Rapman in »I am a Nigerian«. Man darf sich das nicht als Gejammere vorstellen. Mit »Hi, I am a … ehn? I am a … what? … I am a Nigerian« eignet sich Terry, der ein abgeschlossenes Studium der Ökonomie hinter sich hat, Eminems »My name is …« Ton für Ton an, verschiebt das Individuelle jedoch auf eine nationale Ebene und beginnt mit den Zeilen: »Hi, do u trust Nigerians? Kinda people who are rugged and resilient, shady like Sicilians? / livin’ off experience and we crave 2 shine.«
Ohne Begriffe wie Madness und Crazyness kommt niemand aus, der versucht, Alltag in Lagos zu beschreiben. JournalistInnen sagen meistens Überlebenskampf dazu. In »419 part 1« reimt Terry: »gotta be a smart man to provide for your family / and only a coward runs from reality / i ain’t gon’ look up in the sky and ask God why / or run to the pastor with tears in my eyes / check this out man, i’ve got a plan more like a scam / to break some wealthy chick off at least five hundred grand / 419 be the code we here to code«.
Der »State of Mind« beschreibt allerdings nicht nur den Kampf ums Überleben, sondern setzt sich immer in ein Verhältnis, korrespondiert mit anderen Teilen der Welt, stets darauf aus, Machtverhältnisse und Abhängigkeiten umzudrehen – zumindest über die virtuellen Kanäle. Ohne Humor, Geschwindigkeit und Selbstbewusstsein wäre das nicht zu meistern. Umgedreht wird das 419-Game wiederum von den so genannten »419 Eatern« – »Scam-Baitern«, die die Scammer mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen versuchen. Sie geben sich als potenziell Interessierte aus, erfinden ihre eigenen Geschichten und schicken die Scammer im besten Fall durch die Stadt zu Western-Union-Filialen, um nicht existierende Geldtransfers abzuholen. Der Sport besteht darin, den Scammern möglichst viel ihrer kostbaren Zeit zu rauben.
Auf der Suche nach einer kurzen Geschichte des Scam steht Wikipedia wie so oft an oberster Stelle. Der spezifische 419-Scam habe sich in Nigeria aus anderen Formen von Betrug entwickelt, der vor allem innerhalb der Ölgesellschaften und der Regierung in den siebziger und achtziger Jahren praktiziert wurde. Über Briefe, Faxe oder Telex wurden zwielichtige Businessmodelle versendet. Eine andere Argumentation folgt der These, 419 habe sich bereits vor mehreren hundert Jahren vor allem in der Region von Igboland entwickelt und sich ebenfalls auf fiktive Ölgeschäfte konzentriert. Relevant wurden diese Betrügereien allerdings erst mit dem Internet, genau genommen seit der Millenniumswende. Es kursieren inzwischen Zahlen, dass die 419-Firma ca. 250.000 Leute beschäftigt.
Ein anderes Spiel mit 419 treibt JJC. JJC wird derzeit als der erfolgreichste nigerianische Rapper Londons gehandelt. Aufgewachsen in Kano, im Norden Nigerias, kam er mit 14 nach England. JJC steht für »Johnny just come« und greift den von Fela Kuti erschaffenen Ausdruck JJD auf, was so viel heißt wie »Johnny just drop« und auf die Erfahrung vieler AfrikanerInnen anspielt, die in Ländern wie England gestrandet sind, zu naiv und unvorbereitet, um sich anfangs zurechtzufinden. Bekannt geworden unter dem Namen Skillz hat sich JJC schließlich seine eigene Crew (Smokey, S.O. Simple and M.P.) zusammengesucht: JJC & 419 Squad. Es geht ihnen dabei nicht darum, 419 zu feiern, eher im Gegenteil, sie wollen Vorurteile und Projektionen auf den Kopf stellen, in die Positiv-Offensive gehen und am Imagewandel ihrer fernen Heimat arbeiten. »Nigeria is the best land, Nigeria’s got the best booty girls …«. Die Haltung von Modenine am Ende seines »419-State of mind« ist so platt wie richtig, er dreht die Mitleidstour um und in herablassendem Tonfall empfiehlt er dem gehörnten E-Mail-User:
»Hey Jack you have bin out shined
By the scam referred to as 419
Now your cursing the day you went on line
Next time be weary of the internet deceit
If you see a strange e-mail my guy
PRESS DELETE!«
Bei out:here records München erscheint dieser Tage
der Sampler »Lagos stori plenti: Urban Sounds from Nigeria«, http://www.outhere.de/