Heft 2/2006 - Theory Now
Als Christine Kozlov ihre »Compositions for Audio Structures« (»Sound Structures«) 1967 in der legendären Lannis Gallery zeigte, war sie 22 Jahre alt und noch Studentin an der School of Visual Arts in New York. Die ebenso legendär gewordene Ausstellung hieß »Non-Anthropomorphic Art by Four Young Artists« und markiert eine der Geburtsstunden der Konzeptkunst, ebenso wie das Museum of Normal Art, das Christine Kozlov und Joseph Kosuth in den Räumen der Lannis Gallery im selben Jahr gründeten.
In den »Sound Structures« notiert Kozlov auf mehreren Blättern – auf fotomechanischem Weg mit weißer Schrift auf braunem Grund hergestellt – Struktur und Dauer von verschiedenen konstanten bzw. sich überlappenden Tönen, die als logische Aussage eine Versuchsanordnung darstellen. »The Structures are concerned with symmetry, asymmetry, progression or with their own intrinsic logic«, heißt es in einem beigefügten Statement1, das als eine der frühesten programmatischen Schriften der Conceptual Art gelten kann. Kozlov vertritt hier die gemeinsam mit Kosuth entwickelten Vorstellungen einer Kunst abseits von Minimal- und Objektfetischismus, schließt aber darüber hinaus an protokonzeptuelle Verfahren an, wie sie als Akzentverschiebung vom Material zur Idee im Cagean Conceptualism und von Henry Flynt und La Monte Young seit 1961 entwickelt wurden.
Als eine der wenigen Frauen entwickelte Kozlov im männerdominierten Zirkel der Konzeptkunst Arbeiten, die einerseits die selbstreferentielle Bedeutung von Sprache untersuchen, wie etwa im »Practice Project« von 1966, das sie 1968 in »Language II« in der Dwan Gallery ausstellte. Andererseits arbeitete sie an prozessorientierten Zusammenstellungen, von denen die »Neurological Compilation: The Physical Mind since 1945« von 1969, eine Sammlung von Texten zur Gehirnforschung, eine ihrer umfangreicheren Arbeiten ist, die sie in Teilen in der Ausstellung »Twenty-six Contemporary Women Artists« 1971 im Larry Aldrich Museum in Ridgefield zeigte. Dieses Projekt enthält als Teil 1 eine Bibliographie zu Neuropathologie, Neurochemie und Neurophysik von 1945 (ihrem Geburtsjahr) bis 1961 und zeigt in seiner Gesamtheit die große Fähigkeit von Christine Kozlov, sich Dinge zu erarbeiten und darzustellen. In »Las Majas« von 1968 reduziert sie die beiden berühmten Gemälde von Goya auf einen Text, der als Legende, Formel oder Bezeichnung interpretiert werden kann und als weißer Schriftzug auf grauem Untergrund steht. Schon während des Studiums, als sie ihr erstes Bild produzierte, war es ihr ein Anliegen, der Malerei das Subjektive und Gestische zu nehmen. Jenes Bild übermalte sie immer wieder mit grauer Farbe, um so am Ende eine überlagerte Struktur von großem Gewicht zu erhalten, das sich ebenso Kriterien von Bedeutung und Inhalt widersetzte wie ihre Arbeiten »Transparent Film« oder »Black Film«, die nicht zur Aufführung gedacht waren und als Objekte quasi mit einem Wittgensteinschen Zeigegestus behaftet ausgestellt werden.
In den sechziger Jahren beteiligte sich Christine Kozlov regelmäßig an Ausstellungen, darunter »Fifteen People Present Their Favorite Book« im Museum of Normal Art 1967, »One Month« von Seth Siegelaub 1969 oder »557,087« und »955,000« von Lucy Lippard. Sie spricht von einer »rigorously, rejective’ work«2 und macht für eine Arbeit von 1967 als erste auf die Geste der Verweigerung aufmerksam, die in Kozlovs Arbeiten immer wieder enthalten ist: »Christine Kozlov sends out xeroxed calender strips systematically canceled.« Hatte Kozlov in Lucy Lippard offensichtlich eine Förderin, war dies im »Boys’ Club«, wie Alexander Alberro die Gruppe um Seth Siegelaub beschreibt, nicht gegeben, wenngleich sie in der »One Month«-Show die einzige Frau unter etwa dreißig Männern war. Alberro weist auf den wichtigen Anteil von Rosemarie Castoro, Hanne Darboven, Christine Kozlov, Lee Lozano, Adrian Piper und Yvonne Rainer hin, dennoch macht er nichts anderes als diese Geschichte des Ausschlusses weiterzuschreiben, wenn in dieser Publikation3, die eine der aktuellsten zur Konzeptkunst ist, Christine Kozlov im Index lediglich unter »Kosuth/relationship to Kozlov« zu finden ist, also keine eigene Position zugestanden bekommt.
In diesem Zusammenhang ist auch ein Interview von Elena Carlini mit Joseph Kosuth4 von 2002 von Interesse, in dem dieser Kozlov zwar ein »particular kind of work which was very much her own« zugesteht und auch die gegenseitige Beeinflussung betont, trotzdem aber weit entfernt ist, die frühe Zeit als Kooperation zu beschreiben. Dennoch zeigt gerade dieses Interview eine veränderte Sichtweise, die nur als Reaktion auf die Arbeit von Ann Goldstein und Anne Rorimer entstanden sein kann, die ab Mitte der neunziger Jahre das Werk von Christine Kozlov wieder entdeckt haben.5 Noch 1989 wurde Kozlov im Katalog von »l’art conceptuel, une perspective«6 nicht erwähnt und erscheint weder im Einleitungstext von Benjamin Buchloh, der immerhin den Beginn der Konzeptkunst zum Thema hat, noch in einem Statement von Kosuth.
In den Jahren um 1970 stellt Kozlov vermehrt den Informationsgehalt in ebenso konzeptuellen, doch nun mehr medienbezogeneren Ansätzen in den Fokus ihrer Arbeit, wie er etwa vor dem Hintergrund technologischer Erneuerungen und wachsender Bedeutung der Massenmedien in der MoMA-Ausstellung »Information« von 1970 diskutiert wurde. Was oft als Wendepunkt in der Konzeptkunst beschrieben wird, hatte auch im Werk von Christine Kozlov diese Bedeutung. Als ihren Beitrag zur »Information«-Ausstellung schickte Kozlov an den Kurator Kynaston McShine ein Telegramm mit dem Text: »Particulars related to the information not contained herein constitute the form of this action C. Kozlov«. In der Arbeit »Information: No Theory« (1970) wird der aufgenommene Text immer wieder von neuen Informationen gelöscht und dient als Beweis, dass die Information auf dem Prinzip von Wahrscheinlichkeit beruht: »Proof of the existence of the information does in fact not exist in actuality, but is based on probability.«
Ihre mehr oder weniger regelmäßige Ausstellungsbeteiligung verfolgte Kozlov bis 1973. Von 1973 bis 1975 war sie Assistentin von Robert Rauschenberg und am Film »Mostly about Rauschenberg« beteiligt, der 1974 auf der Biennale von Venedig gezeigt wurde. Ihre Produktion der siebziger Jahre macht klar, dass sie sich weiterhin in ein intermediäres Feld hineinbewegte, das durch eine deutliche Bezugsetzung zu »Art & Language« charakterisiert werden kann. Kozlov war Mitglied von Provisional Art & Language, arbeitete 1974 an den »Corrected Slogans« (Art & Language and the Red Crayola LP), 1976 an Zoran Popovics »Struggle in New York« 1976 und im gleichen Jahr am Music-Language-Video »Nine Gross and Conspicious Errors« mit. Was damals in überindividuellen, kollektiven Ansprüchen der Gruppe als egalitär galt, nimmt sich aus heutiger Sicht besonders als Nachteil der Frauen aus, deren Anteil kaum rezipiert werden kann. So kommen etwa, um ein Beispiel zu nennen, die drei Frauen von »Struggle in New York« Paula Ramsden, Kathryn Bigelow und Christine Kozlov in Charles Harrisons »Essays on Art & Language«7 nur marginal vor. Harrison nennt Christine Kozlov unter den AutorInnen von Fox 3 von 1976, dem »The Lumpenheadache«, wo es um die Struktur der Gruppe ging, an deren Neuorientierung sich Kozlov maßgeblich beteiligt haben musste, um nach der Teilung der Gruppe der Seite der »Provisional Art & Language« anzugehören. Ebenso wie Paula und Mel Ramsden gehen auch Mayo Thompson und Christine Kozlov 1977 nach London, wo sie fortan – später mit ihrer Tochter Marilyn – leben wird. Dennoch wird sie im Zusammenhang dieser Gruppenkonstellation in den folgenden Jahren wenig an die Öffentlichkeit treten.
Es ist Ann Goldstein und Anne Rorimer zu verdanken, das Werk von Christine Kozlov wieder in den Diskurs um die Konzeptkunst eingefügt zu haben. Eine Bearbeitung der siebziger Jahre sowie der Zeit danach steht noch aus. 1999 waren Arbeiten Kozlovs in der Ausstellung »Global Conceptualism« im Queens Museum of Art zu sehen. Für die Ausstellung »Kurze Karrieren« kam Christine Kozlov 2004 nach Wien, besichtigte viele Wittgenstein-Orte und erzählte von einem neuen »Work in Progress«, einem Projekt über Kriege, das stark an frühe Arbeiten wie das »Eating Piece« oder die »Neurological Compilation« erinnerte. Dass ihre Produktion nach wie vor weitgefasst war und ebenso intellektuelle Texte wie handwerklich hergestellte Näharbeiten umfassen konnte, macht immer wieder deutlich, dass der Ausstieg aus der Kunst durchaus zwei Seiten hatte, aber niemals das Ende der künstlerischen Arbeit meinte.
1 Alexander Alberro, Blake Stimson (Hg.): Conceptual Art: A Critical Anthology. The MIT Press 2000, S. 6f.
2 Lucy Lippard, Six years: The dematerialization of the art object from 1966 to 1972. New York 1973, S. XIII.
3 Alexander Alberro: Conceptual art and the politics of publicity. The MIT Press 2003, S. 4, 27–29, 179 und 180.
4 http://www-undo.net/cgi-bin/undo/magazines, Jahrgang 20, Nr.110, Dezember 2002.
5 Vgl. Ann Goldstein, Anne Rorimer: Reconsidering the Object of Art: 1965–1975.
The MIT Press 1995; Anne Rorimer: New Art in the 60s and 70s: Redefining Reality. London 2001.
6 L’art conceptuel, une perspective, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, 1989
7 Charles Harrison: Essays on Art & Language. The MIT Press 2001, S.123f.