Heft 3/2006 - Netzteil


Archaisch anmutende Gerätschaften

Über das Konservierungsprojekt »40jahrevideokunst.de«

Christiane Fricke


Etwa 900.000 Euro investierte der deutsche Staat, um zu verhindern, dass von vierzig Jahren Videokunstgeschichte in Deutschland lediglich »weißes Rauschen« bleibt. Mit solch düsterer, aber zutreffender Prophezeiung war Wulf Herzogenrath, Direktor der Kunsthalle Bremen, im Jahr 2002 an die neu gegründete Kulturstiftung des Bundes herangetreten. Das Resultat, »40jahrevideokunst.de – Digitales Erbe: Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute«, liegt inzwischen vor: eine streng jurierte Auswahl von 59 für historisch wichtig befundenen Einkanalvideos auf einer Studienedition, dokumentiert in Buchform mit Videoausschnitten auf DVD, zuzüglich fünf zeitgleiche Ausstellungen, die als Transmissionsriemen dieses aufwändigen und bedeutenden Rettungsprojektes hätten funktionieren können, dies aber nur mit Einschränkungen geleistet haben.

Dass die existenzielle Gefährdung des Kulturgutes Videokunst seine ästhetischen Erscheinungsweisen gravierend verändert, dass dieses Kulturgut die vom hohen Innovationstempo der Medienindustrie diktierte Logik der permanenten Erneuerung verkörpert und damit ein völlig anders geartetes Umgehen und eine andere kritische Wahrnehmung einfordert als es herkömmliche Kunstmedien tun, all dies hätte als zentrale Botschaft klarer artikuliert werden müssen. Stattdessen kommt die überfällige nationale Anstrengung in der Öffentlichkeit – abgesehen von an allen fünf Orten gezeigten Videos der Studienedition – zunächst einmal in Gestalt fünf verschiedener Ausstellungen von sehr unterschiedlicher Qualität an. Deren jeweilige Schwerpunkte werden zudem von der Begleitpublikation nicht gespiegelt, was vor allem bedauerlich ist für die kaum bekannte, inoffiziell entstandene Schmalfilmarbeit in der DDR der achtziger Jahre, die sich Leipzig zum Thema gemacht hat.

Herzogenrath ist der einzige, der sich einen eigenen, schmalen Katalog zu seiner Schau leistete. Ausstellungstechnisch hat er in erhellender Weise noch einmal die erste experimentelle Phase der Medienkunst der sechziger Jahre inszeniert und wartete sogar mit einer hierzulande kaum bekannten Wiederentdeckung auf. Karl Gerstners später nur noch in der Schweiz zur Kenntnis genommene frühe Berliner Aktion mit Fernsehen, »Auto Vision« von 1963/64, war nach aufwändiger Restaurierung erstmalig wieder zu sehen: neun Plexiglasscheiben vor demselben laufenden Fernsehprogramm, welches die jeweils unterschiedlich geformten Plexilinsen in ein verfremdetes, teilweise abstraktes Programm umformen. Es sei ihm »nicht um die Übertragung von Programmen« gegangen, schrieb Gerstner 2005, »sondern um die Erzeugung von Programmen«.

Diese von der Pop Art inspirierte, geradezu spielerische »Störung« dessen, was allmächtige Sender auf ihre ZuschauerInnen loslassen, ist – als Geste – letztlich nicht viel weniger radikal als die körperlichen Eingriffe, die der junge Nam June Paik im März 1963 sanft und freundlich lächelnd an archaischen TV-Gerätschaften in der Wuppertaler Galerie Parnass vornahm. Zu sehen ist von dieser schon historischen Verkörperung der Arbeit einmal das seitenlange handgeschriebene Konzept – versehen mit der höflichen, um Gottes Willen nicht als Entschuldigung gedachten Vorabinformation Paiks, sein TV sei zwar nicht immer interessant, aber auch nicht immer uninteressant –, eine Fotodokumentation des Parnass-Events sowie die Rekonstruktion des Paik’schen Geräteparks für das Musée d’art contemporain in Lyon (1995).

Herzogenraths Re-Inszenierung von Paiks rekonstruierten Videoarbeiten für die Wuppertaler Ausstellung »Exposition of Music – Electronic Television« belegt anschaulich, welchen Veränderungen insbesondere Installationen im Laufe der Zeit unterworfen werden und wie wichtig eine gute Dokumentation der originalen Realisierung ist. Sehr schön ist an dieser Stelle auch die gegenüberliegend platzierte Re-Inszenierung von Wolf Vostells ebenfalls 1995 für Lyon rekonstruierter Installation »TV-dé-coll/age«, die er 1963 in der Smolin Galerie in New York realisierte. Wo Paik humorvoll spielerisch und sehr experimentell die Technologie ad absurdum und zu neuen ästhetischen Erscheinungen führte, kreierte Vostell malerische, sehr bildhaft funktionierende Abläufe auf dem Monitor, die ihre ästhetischen Wurzeln im Informel der fünfziger Jahre haben.

Vergleichbare Mühe war auch der Präsentation in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 in Düsseldorf anzusehen. Sie legte den Fokus auf Positionen künstlerischer Videopraxis in den achtziger Jahren in Westdeutschland und damit auf ein Jahrzehnt, in dem die Entwicklung von der Monitorpräsentation zur Rauminstallation aufzubrechen begann. Allerdings kam es ihr auf eine technologisch zeitgemäße und inhaltlich adäquate Aufführung der Videoarbeiten an, nicht auf eine Rekonstruktion der historischen Präsentationsformate. Wer sich noch an schnöde Monitorvorführungen erinnert, ist überrascht, wie zeitnah zur Entstehung mitunter die KünstlerInnen selbst das Erscheinungsbild ihrer Werke durch alternative bildgebende Verfahren und Formate oder andere Ausstellungskontexte verändert haben. So ist die Präsentation auf einem Monitor heute nur noch eine von vielen Optionen, als Bild sichtbar zu werden, was sich in der ausgereiften Inszenierung der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 mit großem Genuss studieren lässt.

Eine eigene, passenderweise mit TV-Monitoren und bequemen Sesseln ausgestattete Sektion ist jenen Arbeiten gewidmet, die ein besonderes Verhältnis von Videokunst und Fernsehen zum Ausdruck bringen. Darunter finden sich Klaus vom Bruchs alternative Berichterstattung über den Schleyer-Mord oder Hanno Baethes erschütternde, mit Kunstanspruch auftretende Dokumentation über das Sterben des aidskranken Schauspielers Kurt Raab.

Ein Manko des Projekts »40jahrevideokunst.de« ist, dass zumindest die Ausstellung nicht nachdrücklicher sichtbar macht, wie veränderlich der Werkstatus dieses Mediums ist; auch welche Folgen die binnen eines Jahrzehnts nötigen Sicherungsmaßnahmen wie Überspielen oder Digitalisieren für das Erscheinungsbild einer Arbeit haben. Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM), wo alle Bänder auf den neuesten konservatorischen Stand gebracht und rund 14 Bänder restauriert wurden, und wo man seit einigen Jahren ein »Labor für antiquierte Videosysteme« unterhält, hat diese Chance vertan und sich stattdessen weit gehend auf die Exposition archaisch anmutender Gerätschaften zurückgezogen. Was bedeutet die »modellhafte Restaurierung der elektronischen Information«, die ja Forschungsschwerpunkt des Projekts war? Unter welchen Möglichkeiten wurde welche Technologie, welches Modell, welche Maßnahme gewählt? Welche neuen Wege zeichnen sich für die Konservierung ab? Dies alles könnten essenzielle Fragestellungen sein für den ins Auge gefassten zweiten Teil von »40jahrevideokunst.de«.

40jahrevideokunst.de, Teil 1 – Digitales Erbe:
Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute;
25. März bis 21. Mai 2006; Kunsthalle Bremen: Die 60er;
K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Die 80er; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München: Update 06; Museum der Bildenden Künste, Leipzig: Revision.DDR;
ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe:
Revision.ZKM.

Der Katalog mit Ausschnitten der 59 Videoarbeiten auf DVD ist im Hatje Cantz Verlag erschienen.

http://www.40jahrevideokunst.de