Taktik, schrieb der französische Philosoph Michel de Certeau einmal, ist »ein Kalkül, das nicht mit etwas Eigenem rechnen kann und somit auch nicht mit einer Grenze, die das Andere als eine sichtbare Totalität abtrennt«. Taktiken, ob als künstlerischer Ansatz oder politisches Prozedere verstanden, müssen sich demnach dem Vorhandenen stellen, müssen mit gegebenen Zeit- und Raumbedingungen Vorlieb nehmen, ohne dass die Bereiche von Identität und Differenz dabei klar voneinander getrennt wären. Fragen von Bereichsgrenzen bzw. deren Überschreitung können folglich erst relevant werden, sobald ein taktisches Kalkül auf ein bestimmtes Raum-Zeit-Gefüge Anwendung findet.
Das Heft »Taktiken/Topografien« greift diesen Gedanken de Certeaus auf und versucht, ihn entlang politischer und kultureller Dimensionen weiterzudenken. In Bezug auf ersteren Aspekt überrascht es beispielsweise nicht wenig, dass taktische Vorgehensweisen, etwa gegen Terror und äußere Bedrohungen, heute mit umso letalerer Präzision operieren, je »humanitärer« sich ihr Anliegen geriert. Eyal Weizman belegt dies detailgenau mit einem Auszug aus seinem aktuellen Rechercheprojekt zur israelischen Sicherheits- und Territorialpolitik.
Demgegenüber haben künstlerische Landvermessungen, etwa wenn es um historisch vorbelastete Orte geht, stets einen Blick für das Besondere, Singuläre zu entwickeln versucht. Die Fotografien des 2003 verstorbenen Schriftstellers Heimrad Bäcker führen dies in Bezug auf das Konzentrationslager Mauthausen markant vor Augen, wobei gerade deren »nachgehende Form«, die Spuren- und Umrisssuche im Hinblick auf eine todbringende Moderne, frappieren.
Den Formenvokabularen der Moderne bzw. ihrer heutigen Anwendbarkeit geht eine Reihe weiterer Beiträge nach, sei es in Bezug auf den russischen Revolutionsfilm oder die Widerstände, die sich der Musealisierung eines Auteurs wie Jean-Luc Godard entgegenstellen. Ein spezielles Zeitfenster eröffnet das Feature über das marokkanische Magazin »Souffles«, das in den späten 1960er Jahren eines der führenden Organe der maghrebinischen Intelligenzija war. Als kulturelles »Topogramm« veranschaulicht es nicht nur die spezifische Situiertheit des damit assoziierten KünstlerInnen-Kreises, sondern auch die Beharrlichkeit, mit der taktische Ansätze sich den misslichen Gegebenheiten ihres Umfeldes zu stellen haben.
Mit »Taktiken/Topografien« beginnen wir schwerpunktmäßig eine Auseinandersetzung mit zentralen Leitmotiven der documenta 12, in diesem Fall der Frage »Ist die Moderne unsere Antike?«, die in der nächsten Ausgabe unter dem Motto »Andere Modernen« weitergeführt wird.