Heft 4/2006 - Netzteil


Militärische Sperrzonen und Recherche-Kunst

Die Internetplattform »Zone*Interdite« der Künstler Christoph Wachter und Mathias Jud

Villö Huszai


»Sensationelle Entdeckung: Schweizer Internetkünstler lüften Geheimnis der US-Armee«: So kündigte die Sendung »Kulturplatz« des Schweizer Fernsehens am 29. März dieses Jahres das Kunstprojekt »Zone*Interdite« von Christoph Wachter und Mathias Jud an. Seit Anfang 2000 sammeln die zwei Schweizer Daten zu militärischen Sperrzonen und stellen sie auf der Website http://www.zone-interdite.org zusammen. Die Plattform ist mit einer Google-Suchfunktion verknüpft, sodass zu jedem der mittlerweile rund 2.000 Einträge die via Google verfügbaren Informationen mit einem Mausklick abgerufen werden können – eine so unscheinbare wie verblüffende Funktion, finden doch auf diesem Weg alle BesucherInnen der Site ohne Anstrengung eigenhändig eine Fülle an Informationen und Bildern zu den einzelnen Zonen, über die man gemäß militärischer Geheimhaltungspflicht möglichst nichts wissen und schon gar nicht durch Bilder aufgeklärt werden sollte.

Anlass für die Kulturberichterstattung des Schweizer Fernsehens war eine erste kleine Einzelausstellung des Projektes in der Basler Medienkunstinstitution plug_in1. Im Vorfeld der Ausstellung war Wachter und Jud die besagte »sensationelle Entdeckung« gelungen: Sie machten das Gefängnis des amerikanischen Luftstützpunktes Bagram in der Nähe der afghanischen Hauptstadt Kabul ausfindig.2 In derselben Woche hatten die »New York Times« und der »Spiegel« von dem Gefängnis und von mutmaßlichen Missständen berichtet. Die zwei Spitzenmedien des investigativen Journalismus hatten aber auch schreiben müssen, dass es noch keine Bilder gebe und man auch nicht wisse, wo genau sich das Lager befinde. Der News-Wert der Entdeckung von Wachter und Jud war so hoch, dass das politische Nachrichtenmagazin »10vor10« des Schweizer Fernsehens gleich am nächsten Abend mit einem zweiten Bericht über das Projekt nachzog. »Bis gestern«, erklärte die »10vor10«-Ausgabe vom 30. März, »kannte die Öffentlichkeit keine Bilder, nun aber liefern Schweizer Künstler den Fotobeweis!«

Die Kombination zweier Bildquellen, die von ehemaligen Soldaten des Stützpunktes stammen, ermöglichten Wachter und Jud den Scoop. Ein Veteran hatte vom Dach des Bagramer Headquarters eine Kamera-Rundumsicht aufgezeichnet und ins Netz gestellt. Auf dem Video ist das fragliche Gefängnisgebäude, eine Reparaturwerkstätte für Flugzeuge aus der sowjetischen Besatzungszeit, deutlich zu sehen und damit zu lokalisieren – wenn man denn weiß, dass diese ehemalige Werkhalle das Gefängnis in sich birgt. Dies fanden Wachter und Jud in Kombination mit einem zweiten Foto, einer Einzelansicht des Gebäudes, heraus, die ein anderer Soldat in bester Auflösung und mit folgendem freizügigen Kommentar ins Netz gestellt hatte: »The prison at Bagram, Afghanistan that you hear about on the news.« Veteranen haben ein anderes Verhältnis zu militärischen Sperrzonen, so Jud: »Diese Zonen bilden Teil ihres alltäglichen Lebens, von dem sie ihren Angehörigen erzählen wollen.« Aufgrund nostalgischer Veteranen-Sites hatten Wachter und Jud zuvor schon das berüchtigte »Camp Iguana« auf Guantánamo ausfindig gemacht, ein separates Lager, das durch die Inhaftierung von Kindern in die Schlagzeilen geraten war.

Warum waren die beiden Künstler, die ausschließlich über das Internet und dort frei verfügbare Daten recherchieren, in so brisanten Fragen gleich zweimal schneller als die Presse? »Wir gehen etwas anders vor, wir rekonstruieren Bilder«, vermutet Jud. Denn das Herzstück von »Zone*Interdite« ist eine imposante 3D-Rekonstruktion von Guantánamo, die sich jedermann – viel Zeit und ein leistungsstarker PC vorausgesetzt – herunterladen kann. Derzeit sind Wachter und Jud dabei, einer 3D-Simulation Bagrams den letzten Schliff zu geben. Die recherchierten Daten werden mit den visuellen Perfektionsansprüchen eines Computerspiels in dreidimensionale Welten verwandelt: »Man muss verstehen, wie ein solcher Stützpunkt aufgebaut ist, man muss sich hineinleben.« Doch dass die Akribie des digitalen Weltenbauens ein Recherchevorteil ist, stellt nur den einen Teil der Antwort dar. Der andere führt direkt zum gedanklichen Kern des Kunstprojekts. Darin ist der Scoop eher ein willkommener Nebeneffekt. Das lässt sich daraus schließen, dass Wachter und Jud ihr Projekt um 2000 ausgerechnet mit amerikanischen Stützpunkten rund um Berlin starteten; also mit Sperrgebieten, die zwar während des Kalten Krieges brisant waren, aber spätestens seit 1989 Relikte aus der Vergangenheit darstellen. Das störte Wachter und Jud nicht, denn auch diese verödeten Landstriche enthalten noch genug von dem ganz spezifischen Stoff, dem sie mit »Zone*Interdite« auf der Spur sind: den komplexen Wahrnehmungsphänomenen, die das Verbot von eben dieser Wahrnehmung auslöst.

Dieses Interesse in Zusammenhang mit dem »Dispositiv der Macht«, so die Foucault’sche Referenz des Projekts, lässt sich auch an den früheren Arbeiten des studierten Kunstmalers Wachter ermessen, hatte er sich darin doch mit der Wahrnehmung von so restringierten Themen wie Sexualität und Tod beschäftigt. Wachter und Jud möchten mit ihrer Informationsbeschaffung zu einer neuen »Souveränität der Wahrnehmung« beitragen, doch trotz dieses aufklärerischen Zieles gehen sie nicht naiv vor. Das eigene Verhalten angesichts militärischer Sperrzonen wird durchaus mitreflektiert: »Wir untersuchen zuerst einmal uns selbst«, erklärt Jud. Dass nach dem 11. September 2001 das Thema Militär und Geheimhaltung plötzlich hochbrisant wurde, konnten sie nicht voraussehen. Ihre Grundfragen haben sie lange davor entwickelt. Es scheint, dass gerade diese Zeitlosigkeit der Fragestellung Wachter und Jud zuweilen zu den schnelleren Ermittlern macht.

Die Scoops haben »Zone*Interdite« in der Medien- und Blogger-Welt bekannt gemacht. Mittlerweile zählen Wachter und Jud 480 Objekte in dem Ordner, den sie für Presseberichte angelegt haben, auf die sie bislang gestoßen sind. Aus Wachter ist dabei auch schon einmal »Watcher« geworden, und viele Texte sind in so fremden Schriften gehalten, dass sie manchmal nicht wissen, aus welchem Land der jeweilige Bericht stammt. Nach der Logik der News-Industrie, aber auch nach derjenigen der Kunstwelt müssten Wachter und Jud nun schleunigst zu neuen Ufern aufbrechen. Doch im Gespräch kommt immer wieder die Überzeugung zum Ausdruck: »Wir stehen mit ›Zone*Interdite‹ noch ganz am Anfang.« Wachter und Jud bauen derzeit nicht nur an der neuen 3D Simulation Bagrams, sondern sie bauen auch diejenige von Guantánamo weiter aus, denn ständig würden Rechercheergebnisse hinzukommen. Dass die beiden dabei nicht nur dem Nachrichten-, sondern auch dem Kunstbetrieb und seinen Regeln gegenüber ungewöhnlich eigenständig agieren, belegt nicht zuletzt Juds Antwort auf
die letzte Frage zum Stand der Dinge: »Im Moment haben wir keine offiziellen Statements zur Finanzierung.«

http://www.zone-interdite.org