Salzburg. In Georges Perecs Roman »Un homme qui dort« (1967) wird der Rückzug eines jungen Mannes beschrieben. Er verbringt die Zeit alleine in seinem Schlafzimmer, auf dem Bett. Eine Geschichte des Nichthandelns. Die einzig mögliche Perspektive, überhaupt eine Geschichte zu haben, ist die Schilderung seiner inneren Existenz, aus Sicht des Untätigen. Diese Opposition von der inneren Situation der Depression und dem Ausdruck im Kunstwerk ebenso wie der zeitgenössische Typus von Depression – im Unterschied etwa zum romantischen der Melancholie – ist in Perecs Erzählung paradigmatisch dargelegt. Diese Dualität von Empfindung und Darstellung ist eine der Leitlinien von »Soleil Noir«, kuratiert von Hemma Schmutz. In der Ausstellung wird die individuelle psychische Erkrankung als Symptom einer kollektiven Realität gedeutet, in der die Diagnose ein Zeichen aktueller Definitionen von Normalität ist, und persönliches Leiden auch in Bezug zu sozialen Bedingungen steht.
Der Versuch, inneres Leiden zu verstehen, ist Gegenstand von Ingrid Wildis »Portrait Oblique« (2005). Der Film zeigt den Dialog mit ihrem Bruder, Hans Rudolf Wildi, der unter Depression leidet. In Zusammenschnitten aus mehreren Gesprächen spricht er vom Leben als Fremder als chilenischer Emigrant in der Schweiz. In den Konversationen wird die Vertrautheit der miteinander Sprechenden deutlich, und auch die geteilte Hilflosigkeit gegenüber der Trauer. Die angedeuteten alltäglichen, aber unüberwindbaren Leiden, insbesondere das Exil, geben Bezugspunkte für die Gefühlslage des Protagonisten, ohne sie jedoch zu lösen. Versuche von Darstellung und Annäherung sind auch in der Malerei von Pawel Ksiazek und Antje Majewski zu sehen. Ksiazek beschäftigt sich mit der Dichterin Sylvia Plath, eine Kultfigur der leidenden Künstlerin. Isolierte Gegenstände, eine Passage aus einem ihrer Gedichte sowie ein Bild von Plath mit Kind, verschwommen, von Fotos abgemalt, markieren die Unmöglichkeit der Annäherung.
Isolation und Sehnsucht nach Nähe zeigen sich in Miroslav Tichys Schnappschüssen von Frauen im Schwimmbad. Die Fotografien sind auch Zeugnis der Bewältigung der Einsamkeit des Fotografen. Ein weiteres Bild von tätiger Selbstdefinition überschreitet hier die Grenze zwischen Kategorien von Gesundheit, Krankheit, Kunst und Symptom: Eine unaufdringliche Schwarzweißkopie einer Fotografie aus dem Jahr 1894 zeigt das Zimmer der psychiatrischen Patientin Maria Lieb. Lieb hatte Textilien zu komplexen Ornamenten verknüpft im Raum verteilt, sich diesen so zu eigen gemacht und sich auch ihrer Handlungsmöglichkeiten symbolisch bemächtigt. Eine Bewältigungsstrategie sowie einen Versuch der Verallgemeinerung und Normierung ihrer Gefühlswelt zeigt Ioana Nemes’ »Monthly Evaluations« (2006). In
ihrem Textbild, dessen Farbe die beschriebene Haltung ausdrückt, summiert Nemes einen komplexen Prozess, in dem sie anhand von selbst definierten Parametern ihre Aktivitäten, Vorhaben und Träume täglich analysiert, um sich einen objektiven, standardisierten und verfolgbaren Weg durch die eigene Gefühlswelt zu schaffen. Gesellschaftlichen Anforderungen wird hier eine widerständige Form ritualisierter eigener Kontrolle gegenübergestellt. Die Auslotung der Grenzen eines Schemas steht hier auch als Parallele zu Grahams Diagramm. In »First Person Plural – the Electronic Diaries« (1996) spricht Lynn Hershman direkt zur Kamera über persönliches Leiden, und sucht Zusammenhänge, die ihre Situation in eine weitere, geteilte Geschichte von gesellschaftlicher Gewalt zu privater verknüpfen, um die Mechanismen hinter der Wiederholung von Täter und Opferrollen zu verorten. »We learn to transcend the role by feeling it more«, sagt sie, »And how we do that can affect the legacy for the next generation«.
Die gesellschaftlichen Umstände der Depression werden im Gegenstand von Psychopharmaka in Dan Grahams Diagramm »Side Effect/Common Drugs« (1966) und Gerd Löfflers für die Ausstellung geschaffener Installation »Illusion City« thematisiert. Graham bringt die Medikamente als Tabelle hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen, während Verpackungen von Löffler zu einem Stadtbild gebaut werden. Fotos von Details des Großstadtalltags zeigen in der Einöde eine Analogie zur inneren Tristesse. Landschaften als Ausdruck von Trennung finden sich auch in Doris Frohnapfels dokumentarischen Fotografien »Border Horizons« (2004), die Grenzen Europas in der Beliebigkeit des Niemandslandes festhalten. Simon Wachsmuths Video »0,7« (2004) zeigt, in der monotonen Wiederholung im Laufe eines Tages, Überfahrten einer Fähre auf der Elbe, die in bedeutungsleere Distanz kippen. Mit einer vergleichbaren Strategie der Wiederholung werden Sehnsucht und Unmöglichkeit von Nähe in Fritz Rückers Diaprojektion »Elsa« (2006) – unzählige Fotografien, die sein Großvater von der Großmutter gemacht hat – nachgefühlt.
Mit »Making of the Wall« (2003) von Gülsün Karamustafa werden soziale Bedingungen in den Vordergrund gerückt. Das Video zeigt drei Frauen, die von ihrer politischen Gefangenschaft in den siebziger Jahren in der Türkei erzählen. Als Sicherheitsmaßnahme wird ein Baum im Hof des Gefängnisses gefällt, die Handlungsmöglichkeiten werden dadurch immer eingeschränkter. Die Trennung der Frauen in ihrer Erzählung betont weiter Isolation durch die Einschränkungen. Die Isolation durch gesellschaftliche Vorgaben wird beklemmend im scheinbar völlig entgegengesetzten »March« (2005) von Olga Chernysheva offengelegt. Die Parade zur Bewerbung von Moskau als Austragungsort der Olympischen Spiele wird in Ausschnitten, die einzelne Kadetten und CheerleaderInnen und deren Blicke und Gesten verfolgen, gefilmt. Die dabei ablesbare Langeweile und Isolation höhlt das Ereignis als kollektives Ritual ohne gemeinsame Bedeutung aus.
Orientierungslosigkeit durch fragmentierte Darstellungen vermittelt, die gar nicht oder durch Distanz und Wiederholung definiert werden, reproduziert die Isolation und Distanz, die mit Depression verbunden werden. Das Unfassbare am inneren Leiden wird letztlich als widerständiges Potenzial, als nichtbehandelbarer Rest des Individuums ausgedrückt. Zum Zusammenhang von Depression und Gesellschaft wird auch der französische Soziologe Alain Ehrenberg in den Ausstellungstexten zitiert, der die Kategorie der Depression als Ungenügen des autonomen Individuums analysiert. Unter der Tyrannei der permanenten Aktivität sind Depression, ihre Diagnose und Behandlung gesellschaftlich zentral geworden. Wie im Öffentlichmachen der inneren Verlassenheit in »Soleil Noir« deutlich wird, ist individuelle Depression auch ein Leiden am Verlust des Kollektiven. So schließt Hannah Arendt in »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft«: »Aus der Zwiespältigkeit und Vieldeutigkeit der Einsamkeit werde ich erlöst durch die Begegnung mit anderen Menschen, die mich dadurch, dass sie mich als diesen Einen, Unverwechselbaren, Eindeutigen erkennen, ansprechen und mit ihm rechnen, in meiner Identität erst bestätigen. In ihren Zusammenhang gebunden und mit ihnen verbunden, bin ich erst wirklich als Einer in der Welt und erhalte mein Teil Welt von allen anderen«.1