Die Debatte über das Vermächtnis der Moderne scheint in der aktuellen Kunst, aber auch im sozialen wie politischen Leben ungebrochen anzuhalten. Glaubte man vorübergehend, in ein postmodernes Zeitalter eingetreten zu sein, so haben sich die Zeichen die letzte Dekade über zu wandeln begonnen. Leben wir vielleicht doch inmitten einer Art Rest-Moderne, so fragmentiert und überformt diese sein mag? Zumindest ästhetisch bzw. lebensweltlich scheint dies nicht ganz von der Hand zu weisen zu sein. Oder ist gar eine Zweite Moderne angebrochen, wie dies bisweilen im sozialwissenschaftlichen Diskurs behauptet wird? Zusätzlich ist in letzter Zeit die Frage nach anderen, alternativen Konzeptionen von Moderne in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Andere Modernen wären demnach die historisch unterbelichteten bzw. unerforschten Möglichkeiten, die es retrospektiv, aber auch zukunftsgerichtet aufzuarbeiten gilt.
In diesem Sinn greift das Winter-Heft ein Leitmotiv der documenta 12 – »Ist die Moderne unsere Antike?« – auf und versucht, es entlang globaler Parameter weiterzudenken. Das indische Raqs Media Collective etwa begreift die Moderne als eine Art Warteraum, in dem unzählige andere als die tatsächlich realisierten Narrative auftauchen oder zum Vorschein gebracht werden können. Die Idee gespensterhafter Parallelgeschichten bzw. einer »Off-Moderne« findet ihren Widerhall in Lawrence Grossbergs theoretischem Exposé alternativer, ja multipler Modernen. Andreas Fogarasis Rechercheprojekt zu ungarischen Kultur- und Bildungshäusern der Nachkriegszeit sowie ein Kurzfeature über den serbischen Künstler Nesa Paripovic runden diesen ersten Themenblock ab.
Dass die Befreiung der Moderne aus einer vereinheitlichenden, ja totalisierenden Sichtweise stark mit einer Änderung von Repräsentationsparametern zusammenhängt, belegt eine Reihe weiterer Beiträge: Markus Miessen befasst sich in seinem Essay mit der Frage, wie ein nicht-konsensuelles, sondern konfliktbeladenes Verständnis von Partizipation, der Teilnahme an politischen und kulturellen Prozessen, aussehen könnte. Sergio Bologna setzt sich im Interview mit Darstellungsproblemen im Hinblick auf aktuelle Arbeitsverhältnisse auseinander. Und Suzana Milevska widmet sich am Beispiel eines Films über die Roma-Minderheit in Mazedonien der Thematik, welche Einschränkungen und Potenziale in der Repräsentation »nackten Lebens« zum Tragen kommen. Eine Frage, die angesichts aktueller Flüchtlingsproblematiken nicht so schnell an Dringlichkeit verlieren wird – weshalb sie in der nächsten Nummer in erweitertem Rahmen fortgeführt wird.