Heft 1/2007 - Netzteil


Futures & Pasts

Sackgassen der Gegenkultur – zum Werk des Regisseurs Peter Whitehead

Christian Höller


Um verloren geglaubte oder zwischenzeitlich vergessene Werke der Mediengeschichte ging es an dieser Stelle die letzten dreizehn Ausgaben über. »Lost & Found«, oder »Found & Lost Again«, wie man häufig auch hätte sagen können – Fundstücke, die im Zuge einer immer umfassenderen Revivalkultur kurz an die Oberfläche geschwemmt werden, um dann umso unausweichlicher in einer allgemeinen Amnesiewolke zu verschwinden. Retro, um besser vergessen zu können. Kein Stück der Vergangenheit ist heute vor dem Zugriff findiger Vermarktungs-ArchäologInnen sicher, und die Tatsache, dass etwas verschwunden Geglaubtes geborgen oder wiederaufbereitet wurde, schützt keineswegs vor den Langzeiteffekten eines ziellos schweifenden »Revivalismus«. Ein gegenwartsvergessenes, sprunghaftes Gedächtnis ist oft nicht mehr wert als das geschichtsblinde Zelebrieren des Augenblicks. Ab sofort ist dieser Ort medienkulturellen Verschränkungen von Zukunft und Vergangenheit gewidmet – und zwar in einem Heute, das von Geschichte im großen Stil derart gesättigt ist, dass die vielen kleinen nachwirkenden Historien darin kaum noch Platz finden.

Eine dieser Historien wusste der Filmemacher Peter Whitehead zu erzählen, ja zu verkörpern, als er im Oktober 2006 als Gast der Viennale sein schmales, aber signifikantes Werk aus den 1960er Jahren präsentierte. Whitehead war eher zufällig beim Film gelandet, als er im Juni 1965 eine der ersten größeren Gegenkulturmanifestationen Großbritanniens, ein Beat-Poetry-Festival in der Royal Albert Hall vor sage und schreibe 7.000 Menschen, filmte. »Wholly Communion«, so der Titel, ist ganz im damals viel strapazierten Cinéma-vérité-Stil gehalten. Die Vorgabe war, so Whitehead, als Filmemacher möglichst unsichtbar zu bleiben und nicht im Weg zu stehen, wenn die Granden der Beatnick-Szene, von Lawrence Ferlinghetti bis Allen Ginsberg, ihre illuminierten Auftritte absolvierten. Abräumer des Abends dürfte »Wholly Communion« zufolge der Österreicher Ernst Jandl gewesen sein, der seine Lautgedichte »schtzngrmm« oder »Na-po-le-on« wie eine gestandene One-Man-Band darbot und dafür heftige Akklamationen erntete.

Von solch’ ungeahnten Energieentladungen war es nur ein kleiner Schritt zur eigentlichen Popkultur, und die Idee einer Poesie für die Massen nahm Mitte der 1960er Jahre immer konkretere Gestalt an. Whitehead wurde beauftragt, eine Irland-Tournee der Rolling Stones ähnlich eindringlich festzuhalten wie er dies bei den stammelnden Wortakrobaten in der Albert Hall getan hatte. »Charlie Is My Darling«, dem unaufdringlichsten und verträumtesten der fünf Musiker gewidmet, enthält Bilder sich entladenden Fantums, etwa das sagenhafte Bühne-Erstürmen und Dem-Sänger-um-den-Hals-Fallen, welche die 1960er wohl auf ewig singulär erscheinen lassen. Historisch betrachtet musste sich dieses gesamtgesellschaftlich aufgestaute, dafür dann umso ungestümere Affekt-Ausleben erst einen Weg bahnen, und Dokumente wie jene Whiteheads halten dies zumindest in Spuren für die Nachwelt fest.

Ab diesem Zeitpunkt war ein spartenübergreifender gegenkultureller Raum eröffnet, laut mancher HistoriografInnen begann er sich Mitte der 1960er allerdings auch schon wieder zu schließen. Zwar unterstreicht Whiteheads »Benefit of the Doubt« (1967) mit der darin dokumentierten Peter-Brook-Inszenierung eines Anti-Vietnamkriegsstückes den Protestgestus der Zeit. Doch schon die nächsten Arbeiten, besonders der berühmteste, aus heutiger Sicht wohl aber schwächste Film des Liverpoolers, »Tonite Let’s All Make Love in London« (1967), weichen entschieden von solch’ pointierten Politagenden ab. »Tonite« nimmt, durchaus legitim, als seinen Ausgangspunkt die amerikanisierte Sichtweise der Gegenkultur, die zu diesem Zeitpunkt von »Time Magazine« bis hin zu allerlei KulturunternehmerInnen vertreten wurde. Der Film greift die Vermarktungsebene auf, bleibt aber zu sehr an kurzlebigen Glamour-Phänomenen haften als dass er ihr analytisch oder agitatorisch viel entgegensetzen könnte. So verhallt der Ruf buchstäblich im Leeren, wenn Vanessa Redgrave bei einem Polit-Happening mit dünner Stimme und a cappella das Protestlied »Guantanamera« anstimmt.

Dabei hätte die Aussage »Ich stamme aus Guantánamo« durchaus mehrdimensionale Sprengkraft besitzen können – etwas, das sich in Whiteheads ambitioniertestem Werk, »The Fall«, noch andeutet. »The Fall«, 1967–68 in New York gedreht und ganz auf die dortigen Vorkommnisse fokussiert, enthält eine Reihe unerwarteter, zweifellos dialektischer Gegenläufigkeiten: Pro-Vietnam-Kundgebungen, Robert Rauschenberg, der erklärt, wie ein Bild zu einem Objekt wird, schließlich eine ausführliche Reportage der 68er-Revolte an der Columbia University.
Whitehead lässt dieses Material aber unausweichlich in einer Sackgasse münden, wenn er endlose Reflexionen am Schneidetisch einstreut, inwiefern das alles nur Medium und Bild sei. Ein Model, das in Peacenick-Kleidern vor seinem gnädigen Auge posieren muss, tut ein Übriges, um diese unnötige Medien-Apokalypse total werden zu lassen.

Und so endet das Bild der Gegenkultur genau dort, wo CIA und Richard Nixon es haben wollten: in Finsternis und Umnachtung, von denen es sich bis heute nicht mehr richtig erholt hat. Dabei hatte Whiteheads »The Fall« die Losung, die er selbst nicht bereit war weiterzuverfolgen, gleich zu Beginn eingeschrieben: »Film is a series of historical moments seeking a synthesis«. Dass dies nicht notwendig totale Virtualität bedeuten muss, wird von Gegenkulturchronisten wie Whitehead oft erst dreißig Jahre später akzeptiert.

http://www.viennale.at/
http://www.peterwhitehead.net/