Heft 1/2007 - Netzteil
Während die westlichen Hightech-Eliten mit der Definition der »digitalen Kluft« (digital divide) beschäftigt sind bzw. damit, wie man sie kompensieren könnte, lassen sie sich eine der besten Lektionen, die man daraus lernen könnte, entgehen. Es ist eine Tatsache, dass Entwicklungsländer per Definition Lowtech sind, sie kämpfen also ständig darum, ihre rudimentäre Infrastruktur durch Ideen bzw. deren Austausch zu verbessern anstatt bloß billige Elektroniktrümmer zusammenzubauen und in den Westen zu liefern. Was man in diesen Gebieten des »nackten Lebens« findet, ist ein Bedürfnis nach technologischer Innovation, mit dem Wissen um die engen technischen Grenzen, innerhalb derer sie entstehen kann. Der Fokus liegt auf kreativer Verwertung bzw. auf kleineren, aber effektiven Verbesserungen, die radikale Änderungen ermöglichen. Wo wir uns in den sogenannten Industrienationen mehr und mehr »vernetzt« finden – selbst am Land oder auf offener Straße – und eine andauernde, unvermeidbare Bindung an unsichtbare Kommunikationsnetze eingehen, sind die Menschen, die nicht in den G8-Staaten leben, in einer komplett anderen Situation. Sie müssen mitunter Kommunikationssysteme hacken, um zu bekommen, was sie brauchen. In diesen Ländern haben etwa Mobiltelefone schon politischen Bewegungen eine Infrastruktur geboten und wurden für diesen Zweck erfolgreich eingesetzt.
Einer der bekanntesten historischen Fälle ist die »People Power II«-Bewegung 2001 in Manila, wo tausende via SMS vernetzte Menschen in der Lage waren, gewaltfreie Demonstrationen gegen Präsident Joseph Estrada und seine institutionelle Korruption zu koordinieren, die in Folge auch zu seiner Absetzung führten. Was dabei den Unterschied ausmachte, war eine effiziente Verteilungsstruktur, die die Nachrichten einer beeindruckenden Zahl von Menschen zukommen ließ: Womit das 1:1-Nachrichtensystem für eine große Gemeinschaft umkonfiguriert wurde. Die Struktur wurde dann für den Einsatz in Notfällen verbessert, erfolgreich verstärkt und schließlich als neues System permanent adoptiert.
Eine ähnliche »Strukturverwertung« gelang 2004 in Kolumbien. Das Volk der Nasa rief zu einem dreitägigen Protestmarsch gegen die konservative Regierungspolitik auf, die sich mehr und mehr neoliberale Positionen aneignete. Als das Gemeinderadio der Nasa von der Regierung besetzt wurde, profitierte der dicht gedrängte Marsch auf seinem langen Weg von einem speziellen Hybrid aus Medium und Transportgerät: dem »Radiocicleta«. Es bestand aus einem Tandemrad für zwei Personen, einem Mikrofon und einem UKW-Sender, der mit einer Antenne verbunden war. Die Radioübertragung wurde in der Folge von vielen, quer über das Land verstreuten Stationen aufgenommen und weitergesendet – eine davon streamte ihn sogar ins Internet. Der gemeinschaftliche Rückhalt unterstrich hier den symbolischen Wert eines Medienwiderstands gegen repressive Kräfte mit spartanischsten Werkzeugen, die noch dazu komplett legal sind. In einer gemeinsamen Anstrengung, die „ultrakurzen“, aber bedeutenden Wellen zu teilen, rückt statt des Mediums die Gemeinschaft selbst wieder in den Mittelpunkt. Genau das ist es, was Medien für bestimmte Bevölkerungsgruppen tun können, nämlich ihre sozialen und kulturellen Bindungen stärken, Einheit und Zusammengehörigkeitsgefühl verbessern. Aber um Gemeinschaften zusammenzuhalten, ist eine Infrastruktur nötig, und die ist weder immer vorhanden noch einfach konstruierbar.
In Kambodscha etwa startete 2004 das »MIT Media Lab« ein Unterstützungsprogramm, das ländliche Dörfer vernetzen sollte – und zwar ohne kostspielige Infrastruktur. Ziel der Initiative war es, ein »Netzwerk« aus 13 ländlichen Schulen herzustellen, die nicht von Elektrizitätswerken versorgt werden. Ein paar Sonnenkollektoren lieferten ausreichend Strom, um drei Computer an jeder Schule installieren zu können. Gleichzeitig wurde die Netzverbindung durch eine gemischt menschliche/digitale Infrastruktur gewährleistet. Fünf (»Motoman« genannte) Motorradfahrer klappern täglich alle Schulen ab und bleiben für einige Zeit vor ihnen stehen. Die Motorräder sind mit einem PC ausgestattet, der von der Motorradbatterie betrieben wird, und mit einem Drahtlos-Board sowie einer Antenne, die eine Verbindung zum Schulcomputer herstellt, lassen sich E-Mails rauf- und runterladen. Dieser digitale Pony-Express macht seine Schultour fünf Tage pro Woche und endet in der Hauptstadt der Provinz Ratanakiri, Ban Lung, wo eine Satellitenverbindung schließlich den PC mit dem Internet verbindet. Die ländlichen bzw. entlegenen Orte sind so mit einer erträglichen Verzögerung untereinander verbunden; die natürlichen und wirtschaftlichen inneren Hindernisse werden mit einem mechanischen bzw. sozialen »Hack« im echten Leben überwunden. Im Westen ist die allgemeine Idee des Hackens (eine technisch elegante und konzeptuelle Lösung eines Problems zu finden) eine strategische, wenn die Wissensdomäne die intelligente Wiederverwertung von Ressourcen darstellt. Bestimmte Ressourcen zu hacken und sie zurück auf die Bahn des Gemeinwohls zu bringen, würde bedeuten, den Konsumkreislauf mit klugen Manövern zu durchbrechen. Michael Rakowitz wendet in seinem »paraSITE«-Projekt den klassisch parasitären Ansatz auf Ressourcen an, dockt an einen anderen Organismus an, ohne ihm wirklich zu schaden. Er baut aufblasbare Behausungen für Obdachlose, die mit einem adaptierbaren Plastikschlauch an Abluftsysteme angeschlossen werden, sich durch die einströmende Luft aufrichten und gleichzeitig durch sie erwärmt werden. Diese Hüllen können zusammengefaltet und in einem einfachen Sack oder Rucksack weggetragen werden.1
Diese Objekte verkörpern eine politische Geste gegen Sozialsysteme, die immer weniger akzeptieren wollen, was hinter ihrer medialisierten Propaganda- und Marketingfassade liegt. Gleichzeitig stellen sie auf brillante Weise Verschwendung und Gleichgültigkeit bloß. Die Arbeit könnte nicht nur als spezifische Lösung, sondern mehr noch als symbolischer Schachzug gesehen werden, wodurch die Menschen, die in sehr einfachen Verhältnissen in westlichen urbanen Gebieten leben, unübersehbar werden. Das Innovationslevel, das in den meisten dieser neu gedachten bzw. überdachten Technologien liegt, zielt auf die Verbesserung der Verhältnisse und Chancen der Menschen, nicht auf Massenproduktionssysteme oder Marktpenetration. Es stützt sich auf simple und grundlegende Mechanismen, vermeidet es, sich in Formalitäten zu verheddern und zielt auf eine essenzielle Unterstützung des wirklichen Lebens. Wie stark könnte die gesamte westliche Digitalkultur von so einem Ansatz profitieren!
Übersetzt von Brandon Walder
1 Vgl. Noah Chasin, Gestohlene Architektur, in: springerin 2/2004.
Radiocicleta, http://www.onic.org.co/minga.html
Motoman, http://www.cambodia.net/kiri/news/nytimes_01272004.html
Michael Rakowitz, http://www.michaelrakowitz.com/