Heft 1/2007 - Lektüre



Pierangelo Maset, Rebekka Reuter, Hagen Steffel (Hg.):

Corporate Difference.

Formate der Kunstvermittlung

Lüneburg (Edition Hyde) 2006 , S. 74

Text: Carmen Mörsch


Die Diskussion um das Verhältnis von Kunst und Bildung wird in Deutschland gegenwärtig intensiv geführt. Der Rat der Künste in Berlin hat Ende September 2006 unter dem Titel »Künste und Partner« ein Manifest veröffentlicht, das den institutionalisierten Einsatz von KünstlerInnen in Schulen fordert (http://www.rat-der-kuenste.de); die Kulturstiftung der Bundesrepublik Deutschland hat 2006 Vermittlung als eine ihrer Kernaufgaben definiert; bei der documenta 12 steht die Frage nach der Bildung im Zentrum des kuratorischen Konzepts. Überall entstehen Initiativen zur Kooperation zwischen KünstlerInnen und dem formalen Bildungssektor oder zur Etablierung künstlerisch-edukativer Settings im sozialen Raum. Dieser Entwicklung wohnt, ähnlich wie bei ihrer letzten Welle in den 1970er Jahren, eine Ambivalenz inne, die sich holzschnittartig so umreißen ließe: Das Umdenken von bis dato kunstresistenten EntscheidungsträgerInnen entsteht häufig aus der falschen Hoffung heraus, durch den Einsatz von schlecht bezahlten KünstlerInnen in der Bildungs- und Sozialarbeit ließen sich die Probleme lösen, die durch Deregulierung oder strukturellen Rassismus bzw. Sexismus verursacht werden. Vielen (nicht allen) KünstlerInnen, die in den so geförderten Projekten tätig werden, geht es dagegen um Kritik, Differenzerzeugung und die Evokation unvorhersehbarer Entwicklungen. Es geht ihnen auch um ein ästhetisches Moment: Um die Reflexion und Darstellung von künstlerischem Handeln im Feld der Bildung. So entfaltet der im Entstehen begriffene, höchst fragile Sektor einen Diskurs im Spannungsfeld zwischen Gouvernementalität, auf Genauigkeit bedachter Subversivität, schillernden Kunstbegriffen und KleinstunternehmerInnentum. Die Theoriebildung auf diesem Gebiet ist noch jung – zumindest der Versuch, sich jenseits etablierter Oppositionen der kunstpädagogischen Akademie einerseits und einer instrumentellen Wirkungsforschung andererseits zu verorten. Dazu leistet der im Sommer 2006 erschienene, von Pierangelo Maset, Rebekka Reuter und Hagen Steffel herausgegebene Band »Corporate Difference« einen Beitrag. Er versammelt Texte, die das transformatorische Potenzial künstlerischer Taktiken bei der Arbeit in Schule, Hochschule, der institutionellen Kunstvermittlung oder im öffentlichen Raum exemplarisch herausarbeiten und theoretisch begründen. Dies geschieht mit Zugriff auf Referenzen, die häufig für die Beschreibung performativer und partizipativer Strategien in der Kunst produktiv gemacht werden: Gilles Deleuze und Michel de Certeau, Jacques Derrida, Roland Barthes und AutorInnen, die über relationale, partizipative, post-autonome künstlerische Praxis schreiben wie Nina Möntmann oder Michael Lingner, der selbst einen Text zu KünstlerInnentheorien beisteuert.
Ein Beispiel ist das namensgebende Projekt »Corporate Difference«. Rebekka Reuter und Hagen Steffel beschreiben, wie Studierende die ernüchternde Erfahrung des realpolitischen Verlaufs der Reformen im Zuge des Bolognaprozesses zum Anlass nahmen, die Historie, die zurichtenden Mechanismen genauso wie die potenziellen Gestaltungsräume der Kunstabteilung an der Universität Lüneburg mittels künstlerischer Verfahren zu untersuchen und temporäre, alternative Bildungssettings in die bestehende Struktur zu implementieren. Die Künstlerinnen Stella Geppert und Seraphina Lenz analysieren in »Ein Kreis kann nie perfekt sein«, wie sie Erfahrungen aus künstlerischen Prozessen auf Unterrichtssituationen mit jungen Erwachsenen in der Sophie Scholl Oberschule in Berlin ableiten. Ähnlich wie bei »Corporate Difference« sind es auch hier vor allem die Selbstreferenzialität und die Richtungsoffenheit der Vorgehensweisen, welche die markante Differenz zu den Ritualen des Schulalltags herstellen. Die auch in der Pädagogik nicht unbekannten Paradigmen Selbststeuerung und Autonomie werden durch die künstlerischen Interventionen katalysiert. Um nicht in die Heroisierungsfalle zu tappen, die im Autonomiebegriff mehr offen als verborgen liegt, wird dieser in nahezu allen Texten auf je unterschiedliche Weise als »pragmatisch relativierter« bestimmt: Da sich Selbstbestimmtheit im Vollzug gesellschaftlicher Prozesse ereigne, sei sie nie absolut zu denken. Dasselbe gelte auch für die Kunst, die sich stets in und zur Gesellschaft verhalte. Dieser Hinweis ist notwendig, denn der Band verzichtet weitgehend auf eine Auseinandersetzung mit den ökonomischen oder gouvernementalistischen Aspekten des sich neu etablierenden »dritten Weges« jenseits von Kunstmarkt und Kunstdidaktik. Er benennt auch nicht die mitunter verheerenden, bereits dokumentierten Folgen des Wütens von Künstlermythen in pädagogischen Situationen.
Doch kein Buch kann alles leisten, zumal im Angesicht einer riesigen Masse von Desideraten. Stattdessen konzentriert sich »Corporate Difference« auf die fundierte Theoretisierung von Beispielen guter Praxis und liefert damit unverzichtbaren Stoff für diejenigen, die an einer Diskussion um die Entwicklung von Kriterien für das Bilden mit Kunst interessiert sind.