Heft 1/2007 - Artscribe


»Post Porn Politics«

14. Oktober 2006 bis 15. Oktober 2006
Volksbühne / Berlin

Text: Nicolas Siepen


Berlin. Schwer zu sagen, ob es sich um einen schleichenden, ungeordneten Prozess oder eine strukturelle Notwendigkeit handelt, aber Porno ist in den westlich-kapitalistischen Gesellschaften definitiv im kulturellen Mainstream angekommen. Jenseits bzw. in Vermischung mit der Pornoindustrie hat explizites Zeigen von Sex zumindest etwas von seinem Schrecken verloren und in allen kulturellen Feldern eine fast selbstverständliche öffentliche Sichtbarkeit erlangt. Diese Feststellung scheint paradox, wenn man Foucaults berühmte These berücksichtigt, dass das permanente und obsessive Sprechen über Sex vielleicht ein moderner Imperativ ist. Was sich in den letzten Jahren jedoch intensiviert hat, ist die Durchlässigkeit kultureller Milieus, zwischen denen Porno zirkulieren und oszillieren kann. Harter Sex in narrativen Filmen als Teil der Handlung erregt zwar immer noch Aufsehen, wird aber in Kinos und auf Filmfestivals gezeigt. Gleichzeitig haben sich die Narrationen des Genres Porno extrem ausdifferenziert. Wenn Pornografie in dieser Logik den Sex durch das visuelle Geständnis körperlicher Lust zum Sprechen bringt, dann bedeutet das auch eine Umkehrung der foucaultschen Matrix. Das Geständnis als innere »Wahrheit« des Ich wird im Porno externalisiert und an die Körperoberflächen verlegt. In dieser Umkehrung liegt vielleicht auch die Erklärung, warum mediatisierter Sex sich jedes Medium erobert.
Es ist also nicht verwunderlich, dass die sehr gut besuchte Konferenz »Post Porn Politics« für zwei Tage im Sternfoyer der Berliner Volksbühne stattfand, die eigentliche Überraschung war, dass sich um diesen Gegenstand in sehr konzentrierter Atmosphäre ein so vielfältiger und entspannter Diskurs auf der Basis komplexer Bildpolitik entfalten konnte, ohne in rein akademische Rituale zu verfallen. Das von der Sexarbeiterin und Performancekünstlerin Annie Sprinkle Ende der 1970er Jahre in Umlauf gebrachte Begriffspaar »Post Porn« bezeichnete einst die Doppelbewegung, sich von den Mustern des klassischen männlich dominierten Heteroporno abzusetzen, ohne den öffentlichen Umgang mit Sex generell in Frage zu stellen oder preiszugeben. Die frühe, feministische Kritik an dem frauenfeindlichen Machtdispositiv des Pornos, das weibliche Lust scheinbar nur als männliche Ausbeutung und Projektion inszenieren und zulassen kann, neigte dazu, Pornofilme wie auch das klassische Kino ausschließlich unter dem Blickwinkel der Verdinglichung des weiblichen Körpers zum Objekt männlichen Begehrens zu betrachten und zu kritisieren. Die PorNo-Bewegung ist nur ein konkreter, politischer Ableger dieser Betrachtungsweise. Aber wie Linda Williams in ihrem grundlegenden Buch »Hard Core« Ende der 1980er Jahre schreibt: »Und zu meinem Erstaunen fand ich in dem Genre, in dem ich die uneingeschränkteste und unangefochtenste Herrschaft des Phallus erwartet hatte, stattdessen beträchtliche Unsicherheit und Instabilität«.1 Um diese Unsicherheit und Instabilität, die sowohl den Pornofilmen selber als auch der Rezeption eingeschrieben sind, kreisten eigentlich alle Beiträge der Konferenz und pendelten zwischen den Polen Affirmation und Kritik.
Annie Sprinkle verkörpert heute noch auf ihre unbeschwerte Art das Versprechen einer befreienden und subversiven »Happiness«, die in einem affirmativen Umgang mit Pornografie angelegt ist. Bezeichnenderweise trug ihr Performancevortrag, der als einziger im völlig ausverkauften großen Saal stattfand, den schönen ­Titel: »Annie Sprinkle: My life and work as a post porn modernist for 30 years«.
Der Präfix »Post« lässt ja vermuten, dass Post Porn mit der Postmoderne im Bunde steht. Aber in der Tat hatten die auf Zelluloid gebrannten 1970er-Jahre-Pornos, die auf der gigantischen Leinwand flimmerten und mit denen sie ihre Reise begann, eine moderne Patina, die einen fast melancholisch werden ließ. Am Schluss gab es dann diese »Wer-möchte-in-meine-Vagina­gucken?«-Nummer, die von einigen Fans schon sehnsüchtig erwartet und in Anspruch genommen wurde. War das »Public Cervix Announcement« zu seiner Zeit ein Mittel, den Blick zu intensivieren und quasi ins Absurde laufen zu lassen, weil bei ständiger Vergrößerung auf einmal das Spektakel ausbleibt, kommt dieser quasi-medizinische »Voyeurismus« heute den Regeln des aktuellen Spektakelkults gefährlich nahe. Als fast schon historische Figur steht Annie Sprinkle für den entscheidenden Umstand, dass sich Anfang der 1970er Jahre Frauen in das pornografische Gespräch eingemischt haben. Von da aus haben sich immer mehr Gesprächsteilnehmer zu Wort gemeldet und zu der angesprochenen Diversität beigetragen, die Porno heute wieder interessant macht. Das Ergebnis ist eine bemerkenswerte Demokratisierung, vielleicht die erstaunlichste Entwicklung dieses Genres, die in letzter Zeit durch das Netz zu einer wahren Explosion geführt hat. Mit diesem Aspekt beschäftigten sich viele Vorträge. Der Filmemacher Todd Verow, der seine Präsentation »How to shoot sex scenes and become a porn star« nackt bestritt, sieht in der wuchernden Verbreitung von selbstgedrehten Online-Pornos ganz neue Produktionsformen entstehen und der Gruppenvortrag »Confessions of a porn (fashion victim)« von Jacobs/Pasquinelli/Janssen lotete die kommunikativen Fallen aus, die von netporn gelegt werden. Der Queer-Theoretiker Lee Edelman interessierte sich sowohl für die Implikationen des Cybersex und entwickelte darüber hinaus Thesen in Richtung »dehumanization« als queeres Projekt. Zu diesem Aspekt lieferte auch der Vortrag von Michaela Wünsch wichtige Einsichten, die an die »anal crypt-aestethics« des Schriftstellers Jean Genet erinnerte – daran, dass die Kehrseite dieser diskursiven Explosion mit einer Disziplinierung einhergeht und dass die Unsichtbarkeit und die »Geheimsprache« des Closets einen Versuch darstellt, über Sex zu reden und ihn diesem Zugriff zu entziehen. Wie Genet interessierte sich der französische Queer-Aktivist Maxim Cervulle für die Rückkopplungen von schwuler Pornografie mit den Kategorien ethnischer Herkunft und Klasse. Neben den Vorträgen gab es auch Performances, unter anderem von der Japanerin BuBu de la Madeleine, William Wheeler und dem Kollektiv girlswholikeporno.
Den extremsten Kontrast zu Sprinkles Post Porn Love bildete der audiovisuelle Vortrag von Terre Thaemlitz. Skeptischer Nihilist mit Haut und Haaren, in Ton und Bild immer darum bemüht, den queeren Euphorieimperativen den Wind aus den Segeln zu nehmen, stellte er diesmal den Glamour auf den Prüfstand: »Viva McGlam? Is transgenderism a critique of or capitulation to opulence driven glamour models?« Seine luzide Analyse der inneren Verstrickung von Macht und Überschreitung, die jeder Selbstermächtigung an den Fersen klebt, mündete in eine nicht enden wollende Serie von medizinischen Bildern frisch umoperierter Genitalien, die den Raum mit intimem Schmerz und Einsamkeit fluteten, die sowohl in krassem Gegensatz als auch in Begleitung zu den diversen inszenatorischen Lustkörpern und Partialobjekten standen, die die Leinwand für zwei Tage beherrschten. Thaemlitz erinnert daran, dass dieses neue pornografische und queere Sprechen nicht einfach entstanden ist, weil altruistische Demokraten Frauen, Lesben und Schwule einbeziehen wollten, sondern weil der kapitalistische Expansionsdrang es verlangt. Dafür, dass Porno nicht einfach nur ein beliebiges Genre unter anderen geworden ist, sondern nach wie vor einer besonderen Beobachtung unterliegt, lieferte der Undergroundfilmemacher Bruce LaBruce ein interessantes Beispiel, der sich selber einen »reluctant pornographer« nennt. Sein letzter Film »The Raspberry Reich«, der in Sundance und auf der Berlinale lief, und vielleicht der interessanteste filmische Kommentar der letzten Jahre zur RAF ist, wurde nicht etwa wegen der schwulen Sexszenen zensiert, sondern weil sich die Erben von Che über die Verwendung des Bildes der Revolutionsikone in Tapetengröße aufgeregt haben.

 

 

1 Linda Williams, Hard Core, Frankfurt am Main 1995, S 8.