Heft 2/2007 - Netzteil


AVI- und DivX-Kunst

Videokunst am Rande des Überlebens

Ana Peraica


Vor einigen Monaten, ich hatte gerade meinen eMule++, den langsamsten aber umfangreichsten aller p2p-Clients, offen, fand ich das neueste Video von Marina Abramovic, »Balkan Erotic Epic« (2006), in Vorführ- und nicht bloß Vorschauqualität. Bemerkenswert ist dies deshalb, weil dieses Video – im Gegensatz zu Werken, die in Sammlungen zur Vorgeschichte der Videokunst auftauchen (etwa der digitalisierten Filmsammlung auf Ubuweb), oder solchen, die durch seltsame Streaming-Sessions zu einer Zeit, als man mit dem Internet noch experimentierte, an die Öffentlichkeit kamen – eben erst produziert wurde.
Eine solche Arbeit, die bei der Vorführung ein entsprechendes »künstlerisches Level« befriedigt bzw. den technischen Anforderungen genügt, von einer Galerie zu bekommen, ist nicht einfach, ja selbst der Import/Export bzw. das Begleichen der Vorführgebühr ist eine komplizierte Angelegenheit – aber immer noch weniger kompliziert als beispielsweise eine Skulptur zu importieren. Dies ist mit ein Grund, warum die meisten Videofestivals heute Wettbewerbe ausschreiben, um so auf günstige Weise zu einer Vielzahl von Kunstwerken zu kommen. Wie steht es aber mit einer aus dem Netz heruntergeladenen Arbeit? Aufgrund der Bezugsquelle ist sie logischerweise illegal, obwohl noch im restriktivsten Urheberrechtsgesetz eine Lücke zu finden ist, welche die unkommerzielle Verwertung erlaubt, etwa unter der Bezeichnung »Ausbildungszweck«.1

Video-Piraterie
Tatsächlich ist es schwierig, Videokunst zu unterrichten, da die meisten Texte und Kritiken kaum Information über die Kunstwerke liefern, sondern bloß eine fiktive Entwicklungsgeschichte erzählen – ohne dass darin wirklich etwas demonstriert oder illustriert würde. Videos können kaum durch Beschreibungen wiedergegeben werden, auch nicht durch Standbilder, die gewöhnlich visuell nichts in Gang setzen, sondern bloß den Text dekorieren. Darüber hinaus wird die Videokunst meist mithilfe eines überkommenen Darstellungssystems katalogisiert, etwa dem traditionellen Ausstellungskatalog, und so entsteht ein schwarzes Verständnisloch – nicht damit vergleichbar, Skulpturen und Bildern in Echt zu begegnen, von denen man bisher nur eine Fotografie kannte. Folglich wurde auch die technische Entwicklung dieser Experimente bis vor kurzem von der Kunstgeschichte kaum wahrgenommen, was sich nun durch die explosionsartige Verbreitung diverser Videoformate und -festivals zu ändern beginnt. Wobei der historische Strang der Medienentwicklung eher über den Experimentalfilm, ein anderer – eher inhaltsbezogener – durch die Geschichte von Kunstexperimenten erzählt wird.
Ein noch größeres Problem, was die Darstellung von Videokunst betrifft und worunter nicht zuletzt die Archive selbst leiden, stellt der Zeitfaktor dar. Ist das Archiv gut, kann es nicht zur Gänze gesichtet werden; ist es schlecht, gibt es zwar die Möglichkeit, Kunstwerke zu sehen, meist befinden sich diese jedoch für eine Vorführung nicht im bestmöglichen Zustand. Anstatt nun Generation nach Generation zu Informationsbesuchen in Videokunstarchive wie etwa das ZKM zu schleppen, sammeln GeisteswissenschaftlerInnen illegal Videos – oftmals in besserer Qualität als auf einem Vorschaumonitor in einem Archiv erreicht wird. Einige dieser Archive bieten Vorschauversionen an, deren Qualität dem Kunstwerk kaum gerecht wird.2
Die Videos werden zu Vorschau-Thumbnails mit verpixelter Oberfläche, die aber sogar als solche für pädagogische Zwecke gesammelt werden. Was am »Diebstahl« von Originalen weniger unfair wirkt, ist der Umstand, dass eine heruntergeladene Kopie bisweilen in größerer Auflösung gezeigt werden kann als die legale Vorschauversion. Und außerdem setzen diese Kopien die BetrachterInnen nicht unter Druck wie auf Festivals und stellen keine Anforderungen, was den Raum der Vorführung betrifft.

Videoprostitution, 50 € pro Minute?
Außer in Archiven werden Videos auch von speziellen Vertrieben gesammelt. Der Unterschied, ein Video von einem Vertrieb bzw. Festival zu beziehen oder das Ganze selbst in die Hand zu nehmen, liegt in der Vorführgebühr, die bisweilen das Fünfzigfache der Minutenanzahl betragen kann. All diese Verträge sind natürlich eine kapitalistische Erfindung – die KünstlerInnen können nur selten kontrollieren, ob ein Kunstwerk gestohlen oder wie oft wo gezeigt wurde.
Demgegenüber ist etwa unter den ehemaligen sozialistischen Ländern der freie Austausch von Videos aufgrund der sozialistischen Privilegierung der Kopie über das Original gang und gäbe. Andere Länder, etwa im fernen Zentral- und Südamerika, haben ein lebhaftes Interesse daran, mit Europa in Austausch zu treten. Es ist also heute ziemlich einfach, an prämierte Arbeiten von VideoBrazil, nicht aber von einigen entlegeneren EU-Festivals zu kommen. Zu Problemen kommt es, sobald ein Video aus einem EU-Land in die Festivalauswahl eines Landes, das keine Vorführgebühren kennt, kommt. Meist gelangen so nur westliche KünstlerInnen zu Einkünften. Auch können beispielsweise nur westliche KuratorInnen oder FestivalkonsulentInnen, osteuropäische Videokunstsammlungen im Ausland zeigen.
An diesem Punkt beginnt sich Paranoia breit zu machen – wer verdient an der leicht transferierbaren Videokunst der Dritten Welt, der postkommunistische Teil eingeschlossen, ohne dass die KünstlerInnen davon wissen?
Die Frage des freien Vertriebs betrifft manchmal den Kern des Kunstwerks selbst. Einige AutorInnen unterschreiben Verträge über als »Elite« gekennzeichnete Kopien und kontrollieren den Vertrieb selbst, etwa Kristina Leko, deren Video »Milk 2002–2003« einen aktivistischen Inhalt hat, die Rettung von Milchfrauen, während andere, etwa Ana Husman, ihr Engagement mit CC (Creative Commons) Lizenzverträgen unter Beweis stellen.3 Die »Elitekopie« hängt nicht so sehr mit einem bestimmten Thema zusammen, sondern viel eher damit, wer in die Originalproduktion investiert hat. Kunstwerke, die aus staatlichen Fonds gefördert wurden, so Husman, sollten nicht für kommerzielle Zwecke, sondern nur für pädagogische verwendet werden.
Aber wie der Fall des Abramovic-Videos belegt, ist heute niemand sicher, auch nicht durch digitale Vorschauversionen. Sobald eine Kopie existiert, lässt sich die Verbreitung einer Arbeit nicht mehr kontrollieren.
DivX und AVI-Formate4 sind heute allgegenwärtig. Videokunst hat Eingang in private Sammlungen etwa von MTV-Spots gefunden, in Pornos, komische Zeichentrick- und Spielfilme, mit deren Inhalt sie sich mischen. In solchen Sammlungen scheint sogar Abramovics Arbeit ihren ursprünglich autobiografischen Aspekt in Sachen Mythenbildung zu verlieren, verschwimmt mit den darin zitierten Performances der kroatischen Band Let 3, verschiedenen Pornofilmen und Animationen … und wird andererseits von Großproduktionen, aber auch von Homevideos in Frage gestellt.
Es scheint, als änderten sich nicht nur die Videoformate, sondern als würde auch ein neuer »kultureller Kodex« nötig. Manche propagieren den freien Austausch, während andere auf rechtmäßige Gebühren bestehen. Die störenden Pixel werden im Hunger nach Information und in der Erotik des Diebstahls gerne übersehen. Bereits vor dem Auftauchen von Sammlungsinstitutionen und Vertriebsverträgen kam es immer wieder zur illegalen Verbreitung, wenn auch nicht im heutigen Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit, die nahezu synchron zur Produktion selbst ist.

 

Übersetzt von Brandon Walder

 

1 So etwa auf http://www.ubuweb.com .
2 Die Real-Player-Übertragungen der Video Data Bank (http://www.vdb.org) oder der Museen in Köln (http://www.museenkoeln.de) verhalten sich gegenüber dem Originalkunstwerk kaum fair, obwohl sie wenigstens informativ etwas leisten, das immer noch besser als Ausstellungskataloge ist.
3 Kristina Lekos Milchfrauen-Projekt ist in drei Versionen zu bekommen, vgl. http://www.cityofwomen-a.si/2003/artists/eng/Leko.html ; eine Vorschau von Ana Husmans prämiertem Video »Plac« (2006) ist auf http://www.anahusman.net/video/plac/ zu sehen.
4 Abkürzung von Digital Video Express bzw. Audio Video Interleaved.