Wie ein riesiger Keil schiebt sich auf den ersten Buchseiten das Areal der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf in die Topografie der Großstadt. Über diese farbige Luftaufnahme mit den seriellen Bauwerken und dem lapidaren Abdruck des entsprechenden Prospektes wird auf das Selbstverständnis des Dienstleistungsbetriebs »Gefängnis« verwiesen. Danach sieht man Wachtürme und Kontrollen, die zu durchlaufen sind, um den Ort zu betreten. Die Absicht des Buchs von Hans-Peter Feldmann, einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Kunsttherapeuten des Kölner Gefängnisses, Klaus Heilmann, ist es, diesen Ort für Außenstehende transparenter zu machen und ihn der Tabuisierung zu entziehen. Außerdem wird mit dieser Publikation den Vorurteilen und dem Scheinwissen begegnet, das eine Boulevardpresse und andere – oft auch bloß schlecht informierte Kreise – gerne über Haftanstalten verbreiten: Man sei dort wie im Hotel unterbracht und konsumiere Kaviar. Eine enge Zelle von 8,5 Quadratmeter wird hier von mindestens zwei Frauen geteilt, Geld- und Personalmangel sind die Regel.
Alle 450 Fotos, die H. P. Feldmann von 2004 bis 2005 machte, sind von Texten und Briefen inhaftierter Mädchen und Frauen und Interviewauszügen mit MitarbeiterInnen, TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, Pfarrern usw. begleitet. Das Buch stellt eine Frage konzeptuell und narrativ ins Zentrum: Wie verbringen Menschen hier ihre Zeit? Welche Ökonomie bestimmt den Alltag? Was müssen Menschen hier tun, was ist verboten? Die Tatsache, dass die Antworten darauf nicht einheitlich ausfallen, liegt nicht allein daran, dass die Personen unterschiedlich schwere Straftaten begangen haben und verschieden lange einsitzen. Wie verarbeiten sie im Einzelnen ihre Schuld und die oft viele Jahre dauernde Inhaftierung und Resozialisierung? Obwohl fast immer frontal fotografiert, blicken viele Porträtierte im Moment der Belichtung zur Seite. In ihren Zellen gesehen zu werden, erfüllt sie mit Scham. Diese auffallende psychosoziale Komponente ist in vielen der Fotografien präsent.
Während die Fotos sich mit großer Genauigkeit dem reglementierten Tages- und Wochenablauf widmen, ist ihnen die Prosa der Anstaltstabellen zur Seite gestellt: Aufstehen, Schule, Ausbildung, Arbeiten, Zuteilungen, Hofgang, Einschluss, Aufschluss, Umschluss, Gemeinschaftskochen, Besuche, Seelsorge, Beruhigungszelle, Krankheiten, Drogen, Freizeit, Sport, Lesen, Briefeschreiben, Kunsttherapie, Freundschaften, Fastnacht – und Entlassenwerden usf. Die Tatsache, dass im Gefängnis alle »Zeit« von Justiz geprägt ist – also nicht frei verfügbar – wie es auch das Wort Justizvollzugsanstalt symbolisch ausdrückt –, wird im Buch ohne bloßstellende Sensationslust oder falsches Mitleid in vielen Dimensionen erkundet. Feldmanns Fotos analysieren die reglementierenden Zwecke von Gefängnisarchitektur genauso wie sie seine Empathie dafür zeigen, wie die kargen Zellen von den Inhaftierten gestaltet sind.
Viele der (jungen) Straftäterinnen stehen auf der Schattenseite des Lebens, waren in der Kindheit selbst Opfer. Auf die Einsicht, dass Missbrauch ein Hintergrund für Straffälligkeiten sein kann, lässt sich ihre Gegenwart oft rückprojizieren. Das spiegelt sich exemplarisch in Stimmungen von Wertlosigkeit, Lebensängsten und Trauer wider. Vertraut gemacht wird man ebenso mit dem nicht selten tragikomischen Slang, der hier gesprochen wird. Am Ende des Buches sieht man Regale mit konfiszierten Objekten: reihenweise gebastelte Tauchsieder, einige wenige gefährliche Hieb- und Schneidewaffen, einen Stiefel mit Radio unter der Spitze und Schlüssel aus Holz – voll funktionstüchtig.
Mehr und mehr wird mit stupender Beharrlichkeit der Alltag im Gefängnis entfaltet und verständlich gemacht. Es ist ein analytisch gemachtes, durch und durch unpathetisches Buch. Differenziert füllt es das Vakuum eines fehlenden politischen Diskurses über Gefängnisse mit alltäglichen Inhalten.