Zu Beginn des 19. Jahrhunderts tritt im wirtschaftlich fortgeschrittenen England und unter dem Eindruck der Revolutionsvorgänge in Frankreich als Nebenprodukt des allgemeinen Ehrgeizes das Problem der Deklassierung erstmals einem größeren Publikum scharf vor Augen. Die psychologischen Wirkungen dieser neuen Möglichkeit sind vielgestaltig, der verstehen wollende Blick auf sie gerät auch auf der Insel mal distanziert (der »Dandy«, der »eskapistische Ästhet«), mal melancholisch (der »Romantiker«) oder mal zornig-verzweifelt (der »Reaktionär« oder, wahlweise, der »Revolutionär«). Dem Grazer Droschl Verlag gebührt das Verdienst, zwei Aufsätze eines zentralen Autors der letzten beiden Gattungen – gleichsam eines Urvaters des »angry young man« neuerer Schule – erstmals ins Deutsche übersetzt herausgegeben zu haben: William Hazlitt.
Hazlitt wird 1778 als Sohn eines eigentumslosen protestantischen Geistlichen in Kent geboren. Nach Kindheit in Irland und Amerika studiert er Philosophie und Malerei und wendet sich ab 1807 der Essayistik und der Theater- und Literaturkritik zu. Hazlitt ist unter anderem mit Coleridge und Wordsworth befreundet, seine Kritiken werden heute als wichtiger Beitrag zur englischen Romantik bewertet. Ursprünglich Anhänger der Französischen Revolution, später Napoleons, behält er seine kompromisslos sozialrevolutionäre Grundgesinnung zeitlebens bei. Nicht nur dies sowie sein polemischer Schreibstil, der scheinbar disparate Beobachtungen unter eine erst aufkommende gesellschaftliche Stimmungslage zu subsumieren vermag, sondern auch die unglückliche Liebesgeschichte mit der 19-jährigen Tochter seiner Vermieterin, an deren Ende er die komplette Korrespondenz veröffentlicht, bringen ihn in Verruf und Geldschwierigkeiten. Als Übergangsmensch von widersprüchlichsten Vorstellungen getrieben sowie zur Lohnschriftstellerei gezwungen, bleibt sein umfangreiches Werk, dessen Sujets von den »großen Themen« bis hin zum Bericht über einen der ersten Boxkämpfe auf britischem Boden reichen, fragmentarisch und auch qualitativ wechselhaft. Hazlitt stirbt 1830 in London, kurz vor Beginn der viktorianischen Epoche, die seine neuen Ideen und seine Zerrissenheit nicht assimilieren wird können.
Der Essay »Vom Vergnügen zu hassen« (1826) lässt schon im Titel die romantische Ironie des Verfassers erkennen. Der alte Hazlitt hasst keineswegs, sondern bereut »die Welt nicht genügend gehasst und verachtet zu haben«. Eine Generation vor Darwin und zwei vor Nietzsche interessiert den Grübler, wie der »Hass«, hat man ihn unter den Klischees der eigenen Kultiviertheit erst erkannt, als verdeckter Antrieb für den Ehrgeiz fungiert. Diese protopsychologische Vorstellung Hazlitts hängt, mangels eines materialistischen Rahmens, merklich in der Luft: Anthropomorph notiert der Autor zum Beispiel seinen »Hass« auf eine Spinne. Vielleicht ahnt der in kargen Verhältnissen Aufgewachsene, dass die Zeit des Genießenkönnens des Hasses naht: »Es ist weniger die Qualität als die Quantität der Erregung, nach der wir gieren. Wir können keinen Zustand der Gleichgültigkeit des ENNUI ertragen.« Noch, möchte man aus heutiger Sicht hinzufügen, denn Oscar Wilde (1854–1900) wird dies, in seinen guten Tagen zumindest, mit Grandezza gelingen. Hazlitt ahnt jedenfalls nicht, dass durch die gesetzliche Sicherung des Eigentums so große Spielräume erwirtschaftet werden können, dass jedes auch noch so »unangenehme« Gefühl ästhetisch distanziert wahrgenommen werden wird können. Hazlitt bleibt also in seiner Grundeinstellung »arm«, ein Mangelwesen in Zeiten beginnenden Überflusses.
»Über den Geldmangel« (1827) kann denn auch als typische Polemik eines Deregulierten gesehen werden. Die Leistung besteht darin, die kommenden Probleme einer technisch entwickelten Gesellschaft, die von Spezialisierung einerseits und Massenphänomenen andererseits unversöhnlich zerrissen ist, gesehen zu haben. Neue »Typen« entstehen. Der Schnorrer, der Dandy, der Journalist – »Projektenmacher« aller Art, die noch keine Märkte finden, sondern sich spekulativ in die entstehende Massengesellschaft einzufügen beginnen. Hazlitt, der selbst oft an Geldmangel litt, beschreibt abermals protopsychologisch und mit großer Eleganz die Auswirkungen von Hunger und mangelnder Hygiene auf das Gemüt des allzu tief gesunkenen Intelligenzlers.
Der vorliegende, von Dieter Hornig elegant übersetzte Band macht den Blick frei auf die Wirren in den Vorstellungen derer, die zu Beginn jener Zeit begreifen wollten, als nicht nur die Demokratie, sondern auch die wissenschaftliche Sichtweise auf den Menschen am Anfang stand. Es ist bezeichnend für das langsame Fortkommen der Ideengeschichte, dass sich Hassneigung bei (subjektiv empfundenem) Geldmangel namentlich in der immer noch vom Ehrgeiz geplagten kreativen Massenboheme heutigen Schlags höchster Aktualität erfreuen. Hass und Geld bedingen einander, sind zusammen hochproduktiv. Indes sind wir immer noch Übergangsmenschen.