Heft 3/2007 - Artscribe
Belgrad. Das Projekt »Breaking Step« ist eine Aporie: ein durchaus anspruchsvoller und komplexer Versuch der kulturellen Übertragung zeitgenössischer britischer Kunst in den Kontext des Balkans. Die Ausstellung verkörpert nicht nur das offenkundige Bestreben um mehr Verständnis für neuere Tendenzen in der britischen Gegenwartskunst, sie versucht auch mit vielen bekannten und unbekannten Stereotypen und Missverständnissen in Bezug auf Großbritannien aufzuräumen, als da wären soziale Werte, Humor, politisches Engagement, ethnische, religiöse, klassenspezifische und andere Unterschiede.
Eines der vielen erfreulichen Ergebnisse des Projekts ist die Tatsache, dass Breaking Step auf dem Balkan die erste Ausstellung britischer KünstlerInnen der jüngeren Generation ist, die für das Belgrader Museum für Zeitgenössische Kunst kuratiert wurde. Eine Partnerschaft zwischen dem Museum und dem British Council ermöglichte es einem KuratorInnenteam, KünstlerInnen auszuwählen, die zwar im Kontext ihrer eigenen Kunst- und Kulturszene sehr angesehen sind, einem serbischen Publikum aber bisher weitgehend unbekannt waren. Nahezu der komplette Museumsraum (ca. 5.000 Quadratmeter) steht für die 17 Projekte zur Verfügung.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen KünstlerInnen, die sich mit künstlerischen Untersuchungen bzw. mit bestimmten Arten von sozio-politischer Interaktion beschäftigen: relationale und partizipatorische Kunstprojekte, auf bestimmten Bevölkerungsgruppen, Gemeinschaften oder Stadtteilen basierende künstlerische Forschungsprojekte und Interventionen, die sich für gesellschaftlichen Wandel einsetzen. Die gewohnte Situation »KuratorInnen aus dem Westen wählen KünstlerInnen aus dem Osten aus« wurde verkehrt, und so erhielten die serbischen KuratorInnen Branislav Dimitrijevic, Sinisa Mitrovic und Jelena Vesic, unterstützt von der »Insiderin« Caroline Douglas, die Gelegenheit, britische KünstlerInnen auszuwählen und zu präsentieren. Dieser Wechsel schafft Raum für neue Diskussionen über den Einfluss dieser Ausstellung in Bezug auf kulturellen und politischen Wandel.
Auf beiden Seiten, Ost und West, hat es enorme Veränderungen gegeben: So ist es beispielsweise kaum vorstellbar, dass eine Arbeit wie Jeremy Dellers Film »The Battle of Orgreave« (2001, Regie: Mike Figgis) zu Zeiten des Kalten Krieges im Osten oder im Westen hätte gezeigt werden können. Dellers Aufnahmen/Re-Inszenierung der brutalen Zusammenstöße zwischen Arbeitern und Polizei während des Bergarbeiterstreiks von 1984 zeichnen nicht gerade ein rosiges Bild der britischen Klassenpolitik. Die Re-Inszenierung der Schlacht ist eine Art wütendes Statement über einen gewissen Schandfleck in der jüngeren britischen Geschichte, das nicht zuletzt durch das berüchtigte Zitat der Margaret Thatcher, die streikenden Bergarbeiter seien »the enemy within«, der innere Feind, eine antikonservative Haltung beweist. Ihre Spitze verliert die Gesellschaftskritik allein durch die Tatsache, dass in der Zeit, als der Film produziert wurde und in den Kinos lief, die Labour Party in Großbritannien an der Macht war. In seiner Zusammenarbeit mit Alan Kane, »Folk Archive«, 2007, lässt sich Deller dagegen auf ein radikales sozio-alchemistisches Experiment ein, das sozialen bzw. kulturellen Plunder (alltägliche Dinge, die man auf Festivals, Partys, Volksfesten etc. findet) in Artefakte verwandelt und außerhalb eines systematisch ausgewerteten Rahmens präsentiert.
»Enthusiasm: Films of Love, Longing and Labour«, 2005, von Neil Cummings und Marysia Lewandowska läuft auf eine institutionelle Kritik am elitären und formalen Verständnis von künstlerischer Urheberschaft hinaus. Sinn und Zweck dieses fortlaufenden Archivs vergessener experimenteller Filmessays über Liebe, Sehnsucht und Arbeit, die zwischen 1950 und 1980 in verschiedenen Filmklubs des sozialistischen Polens entstanden sind, ist die Aufweichung der modernistischen Grenze »zwischen hoher und niederer Kunst«. Das Archiv, das aus den für ein sozialistisches Verständnis von freizeittypischen Produktionen der damals weit verbreiteten Filmklubs schöpft, wird zu einem interkulturellen und -sozialen Übersetzungstool.
Die Arbeit von Mike Nelson ist die vielleicht auf radikalste Art und Weise präsentierte Aufforderung zur interkulturellen Kommunikation. Er verhüllt die drei Tonnen schwere Marmorskulptur des Kroaten Ivan Mestrovic, »Velika udovica« (Große Witwe), 1907, und verweist damit auf die dringend notwendige Auseinandersetzung mit der Frage, ob man sich mit nationalistischen, kommunistischen oder modernistischen Mythen versöhnen oder sie schlichtweg aufgeben sollte. Somit wird die berühmte historische Skulptur zu einer Allegorie für die »Bürde« der Vergangenheit, die sich offensichtlich weder entfernen noch ignorieren lässt.
Als Gegengewicht zu den Projekten, die ihre Inspiration aus sozialen Ungerechtigkeiten schöpfen, setzen einige der ausgewählten KünstlerInnen auf Humor. Phil Collins’ Medieninterventionen sind Performances, die sich Karaoke- oder Castingshows wie »Pop Idol« (der britische Ausgabe von »Starmania« und »Deutschland sucht den Superstar«) zum Vorbild nehmen und sich äußerst unterhaltsam und dennoch sehr ernsthaft mit gesellschaftlicher Einbeziehung und Partizipation beschäftigen. In den videobasierten Arbeiten des Künstlerduos John Wood und Paul Harrison wird Video als Mittel zur indirekten Malerei eingesetzt. Über die Einbeziehung zufälliger, aber aufgrund natürlicher und physikalischer Gesetzmäßigkeiten (Trägheit, Schwerkraft, Chaostheorie etc.) dennoch kalkulierbarer Bewegungen mokieren sie sich über jede Art von übertriebener Erwartungshaltung an die Kunst. In eine ähnliche und doch sehr eigene Richtung geht Jonathan Monks Arbeit »Translation Piece«, 2003: Indem er R. Barrys Originaltext über dessen Telepathie-Performance hintereinander eine Reihe von Übersetzungen durchlaufen lässt, bringt Monk die Unmöglichkeit der Übertragung von Kunst zum Ausdruck und gleichzeitig die fortwährenden Bemühungen zur Kommunikation.
Der Versuch der kuratorischen »Übertragung« bleibt unvollständig: Obwohl die Ausstellung auf die Kluft zwischen angenommenen Idealen und bestehenden sozialen Werten hinweist, fehlen bestimmte Positionen. Das Gegenargument, nicht jede Art von sozialer Ungerechtigkeit könne in einer einzigen Ausstellung aufgeführt werden, beantwortet nicht die Frage, warum keine feministisch ausgerichteten Projekte gezeigt werden und warum das Problem des Rassismus trotz seiner Dringlichkeit für die fragile britische Demokratie komplett vernachlässigt wird.
Übersetzt von Gaby Gehlen