Heft 1/2008 - Lektüre
Der Konzeptualismus wertet Autorschaft ihrem klassischen Verständnis nach ab und teilt den Produktionsprozess in Konzept, Planung und Ausführung auf. Deshalb galt er lange Zeit als Gegenbild zum performativen Arbeiten im Sinne einer »representation without reproduction«. Es ist das Verdienst von Sabeth Buchmanns Studie, diese – scheinbaren – Differenzen in Frage zu stellen. Dabei geht sie von zwei Kernthesen aus. Eine besagt, dass der Konzeptualismus keine künstlerische Bewegung, sondern eine künstlerische Taktik ist, die einen strategischen Gegendiskurs zu dominanten Produktions- und Distributionssystemen der Kunst seit den 1960er Jahren bildet. Die andere lautet: Gerade die »Performanz« wird in der Konzeptkunst der 1960er Jahre erstmals mit dem »Ikonischen« verschmolzen. Unter »Performanz« versteht sie einen Modus künstlerischer Produktion, der strukturell einem industriellen Produktionsprozess ähnelt.
Das erste Kapitel ist Sol LeWitts Entwürfen für Wandzeichnungen gewidmet. Einerseits basieren die »Wall Drawings« auf einem Objektbegriff der »Performanz«, bei welchem die Ausführung der Arbeit von der Ideenfindung abgetrennt wird. Andererseits bezieht LeWitt einen Intuitionsbegriff in sein Arbeiten mit ein, der das Ikonische reintegriert. »Raum« – und die damit verbundene Erfahrung von Ausdehnung als reiner Präsenz – wird neu auf der Ebene der Rezeption hergestellt.
Im zweiten Kapitel untersucht Buchmann, in welcher Form die Kybernetik und der Computer ein »kollektives Imaginäres« prägen konnten. 1970 kuratiert Jack Burnham »Software«, eine Ausstellung zu – damals – zeitgenössischer Kontroll- und Kommunikationstechnologie in der Kunst. Die darin formulierte Utopie der Herstellung von offenen, kommunikativen Situationen sollte sich jedoch bald als Trugbild erweisen. Die – von (Kriegs-)Technologie getriebenen – Kunst- und Wissenschaftsphantasmen zerplatzten wie Seifenblasen unter dem Druck der Anti-Vietnam-Bewegung.
Im abschließenden Kapitel finden sich drei exemplarische Analysen zum Produktionsbegriff des Konzeptualismus. In Sol LeWitts Handlungsanweisungen verwirklicht sich eine konstitutive Koppelung von Sprache und Wahrnehmung im Sinne einer Verräumlichung und Verzeitlichung des Sehens. Die »Operationalisierung« von Autorschaft, Medium und Material kann so zu einer neuen Sensibilisierung für die Verfasstheit des Sehens führen. Im Falle von Yvonne Rainers choreografischen Arbeiten sind technologische Strukturen der Produktion als zeit-räumliche Konstellationen mit der Präsenz und Absenz des handelnden Körpers verschränkt. Aus einem diskontinuierlichen Konzept von Zeit heraus wird die Präsenz des Körpers grundsätzlich als durch die vermittelnden Medien konstruiert betrachtet. Bei »Carriage Discreteness« (1966) sind Körperaktion und technische Medialität keine Gegensätze, sondern stellen sich in einer – immer schon gespaltenen Deutung von Präsenz – wechselseitig her.
Der Kunst Südamerikas kommt im Konzeptualismus insofern eine besondere Rolle zu, als sie diesen mit den Anliegen einer sozialrevolutionären Befreiungsbewegung verknüpft. Diese versucht durch neue Verhaltens- und Aktionsformen und mit neuen Kommunikationstechnologien Wünsche und Bedürfnisse jenseits tradierter Kunstdiskurse zu artikulieren. Hélio Oiticicas Installation »Tropicália« (1968) ist ein interaktives Environment, das von seinen BetrachterInnen Partizipation einfordert. Indem der Akt des Bildersehens mit dem Akt des Bilderzeigens verknüpft wird und asynchrone Zeitwahrnehmung räumlich platziert ist, unterscheidet sich »Tropicália« grundsätzlich von immersiven Multimedia-Installationen. Letztere zielen immer auf eine Verbildlichung des Raums ab. Oiticicas »Penetraveis«, Spontanbauten nach anonymen Vorbildern der Architektur der Straße, sind nicht nur referenzieller und allegorischer Natur, sondern auch formaler Raum zur Selbstreflexion von Kunst hinsichtlich ihrer kulturellen und sozialen Bedingungen.
Buchmann sieht hinter dem technologisch gefassten Produktionsbegriff im Konzeptualismus die Offenlegung der Unverfügbarkeit von Subjektivität. Jede Art von Konzeptualismus wird dadurch verständlich als eine Form abweichender medialer Strategien der (künstlerischen) Selbstrepräsentation.