Heft 1/2008 - Lektüre
»I draw comics so that you can see things through my eyes …« Der Anspruch mag vielleicht bescheiden klingen. Doch der serbische Comiczeichner Aleksandar Zograf schafft mit seinen gesammelten Aufzeichnungen aus den Kriegs- und Krisenzeiten in Serbien seit den 1990er Jahren etwas Einzigartiges: Er bietet eine Perspektive an, die aus den westlichen Medien weitestgehend verdrängt wurde/wird und DurchschnittsfernsehbürgerInnen dieser Länder daher noch immer bitter nötig haben. Über Zografs Comicfigur (zugleich das Alter Ego des Autors) werden die Ereignisse aus einem Kontext des Alltags heraus sichtbar, einschließlich ihrer Unverständlichkeit und Undurchsichtigkeit, mitsamt der Wut, Trauer, Verzweiflung und Ohnmacht, die sie auslösen und mit der sie auch dem Protagonisten zuweilen an den Kragen gehen.
Das Buch spannt einen Bogen von 1991 bis 2006 – von den Kriegsjahren und der Diktatur von Slobodan Milosevic, den Sanktionen durch die UNO, den Bombardierungen durch die NATO bis hin zum Ausnahmezustand im Jahr 2003 wegen der Ermordung des Ministerpräsidenten der Demokratischen Opposition, Zoran Dindic, und schließlich dem Tod Milosevics. Der erste Teil enthält Zografs frühe Comics wie »Life under Sanctions«. Das gut 70 Seiten umfassende Mittelstück (eingeleitet übrigens von Terry Jones/Monty Python: »NATO Bombings for Beginners«) besteht dagegen aus E-Mails, die Zograf während der Zeit der NATO-Luftangriffe 1999 für seine Freunde, insbesondere ZeichnerkollegInnen aus den USA, – soweit möglich – täglich ins Netz lädt. Sie stellen zugleich das kompositorische Gegenstück zu den folgenden wöchentlichen einseitigen Comicstrips »Regards from Serbia« sowie »Aleksandar Zograf’s Diary« dar. In dem Postkartenformat der einseitigen Strips lässt sich ein impliziter ästhetischer Verweis auf den enormen Druck eines im Land Verbliebenen erkennen, der in Pancevo, einer kleinen Stadt in unmittelbarer Nähe von Belgrad, von seinem Fenster aus beobachten kann, wie die Bomben etwa auf die nahe liegende Ölraffinerie niedergehen.
Zografs Buch lässt sich als Beitrag zur Rekonstruktion einer serbischen Geschichte der letzten 15 Jahre lesen, indem er die vernachlässigte Perspektive einer ganzen Bevölkerungsgruppe einbezieht. Es zeigt nochmals auf, in welchem Maße die wirtschaftlichen wie militärischen Sanktionen kontraproduktiv waren, indem sie gerade der Zurückdrängung der Opposition und unabhängiger Medien durch das Regime Vorschub leisteten, während die beabsichtigten Ziele kaum erreicht wurden.
Zografs Comics entziehen sich freilich einem rein dokumentarischen Interesse, indem sie oftmals genau da ansetzen, wo die Schreckensnachrichten unablässig auf das Bewusstsein einhämmern und vielleicht an ihm abprallen. Es ist jene Naht, an der auch ihr Eindringen und Einsickern möglich ist. Was aber geschieht dann? Wie lassen sich diese erdrückenden Ereignisse überhaupt verarbeiten, zudem in einem Land, das abgeschlossen ist und bewusst von außen isoliert wird?
Der Krieg und seine schrecklichen Auswüchse am Anfang der 1990er Jahre lösen in den Köpfen vieler Menschen eine tief greifende Verwirrung aus. Entsprechend rennen die Menschen in Zografs Comics mit rätselhaften Zeichen in ihren Sprech-, Denk- oder Schweigeblasen herum, orientierungslos, mit durchkreuzten Köpfen. Der Wahnsinn des Krieges wird als Schizophrenie, die sich durch die ganze Gesellschaft und ihre einzelnen Individuen zieht, wahrnehmbar.
Diese Zustände nimmt der Autor ernst und sucht zugleich in ihnen nach Auswegen. Die Comics tasten die unterschiedlichsten Bewusstseins- und Wirklichkeitsebenen ab, spüren den Träumen, Vorstellungen, Erinnerungen nach, die in einer ständigen Wechselwirkung mit den äußeren Wirklichkeiten stehen. Plötzlich kehren die Traumfiguren in der helllichten Wirklichkeit wieder. Die harte Realität der Außenwelt verliert zumindest für Augenblicke den Charakter der Selbstverständlichkeit, mit dem sie allzu gerne hausieren geht. In den Rissen dieser Wirklichkeit kann das Bewusstsein kurzweilig pausieren. Ein Abdriften allerdings ist nicht möglich, es wird wieder zurückgeholt. Mit den Mitteln von Witz, abrupten Blickwechseln und unscheinbaren Beobachtungen erhält der Autor diesen (über)lebenswichtigen Abtausch zwischen Rückzug und Herausforderung aufrecht.