Heft 1/2008 - Netzteil
[Bitte wählen Sie die Suchfelder aus und geben Sie die Suchbegriffe ein … Make sure all words are spelled correctly. Try different keywords. Try more general keywords]
Was passiert, wenn in das Formular einer Suchmaschine ein Schlagwort eingegeben wird? Worin besteht die Arbeit des Suchens und Findens, wenn mithilfe von ausgefeilten Algorithmen und mühseliger Handarbeit mögliche Anfragen und ihre Ergebnisse überhaupt erst in eine sinnvolle Anordnung gebracht werden, die uns das Gefühl vermittelt, tatsächlich etwas gefunden zu haben? Was heißt »finden«, wenn damit nicht das erfolgreiche Ende einer Suche gemeint ist, sondern einzig ein Moment einer Überschreibung, der das bereits Gewusste und Vergessene zur Grundlage einer weiteren Suche macht? Welches Spiegelbild wird uns vor Augen gehalten, wenn bei der Eingabe des Eigennamens nicht nur ein arg verzerrtes Selbstbild, sondern auch noch eine Vielzahl von Doppelgängern erscheinen? Wem gehört die Suche, wenn die Pfade einer Recherche jederzeit problemlos nachzuvollziehen sind?
Manchmal hilft es, den Schreibtisch zu verlassen und auf Recherchereise zu gehen. Wir könnten finden, was wir nie gesucht haben und zu AutorInnen unserer Suche werden, indem wir sie vorantreiben aus einer dunklen Ahnung heraus, dass etwas fehlt oder Dinge passieren, von denen wir nichts wissen. »Forum on Quaero« prangt in großen Lettern im Eingangsportal der Jan van Eyck Akademie in Maastricht und kündigt einen öffentlichen »Think-Tank« an, der Architektur und Politik von Suchmaschinen in Frage zu stellen verspricht. Und tatsächlich wird sich in den nächsten Tagen genau das Unvorhergesehene und Unkalkulierbare ereignen – denn ExpertInnen treffen zusammen, die nicht vorgeben, schon alles zu wissen –, und eine seltene Euphorie wird entstehen, verbunden mit dem Wunsch, die Suche nach der besseren Suchmaschine als etwas explizit Politisches zu verstehen.
Als sich das Design-Research-Team »Metahaven« vor knapp zwei Jahren aufgefordert sah, ein Logo für das europäische Suchmaschinenprojekt »Quaero« zu entwerfen – eine deutsch-französische Kooperation und von Jacques Chirac damals kühn und etwas vorschnell als europäische Herausforderung von Google annonciert –, da ahnten Vinca Kruk, Daniel van der Velden, Gon Zifroni und später Tsila Hassine wohl noch nicht das Ausmaß ihres Unterfangens. »Naiv« nennt Daniel van der Velden heute eher beiläufig und selbstironisch ihre Herangehensweise. Doch im Prinzip hat sich am Produktivmachen einer gewissen Ahnungslosigkeit und Unbefangenheit nicht viel geändert. Metahaven nehmen die Sache mit der Suchmaschine weiterhin nicht nur ernst, sondern ein klein wenig zu ernst – sowohl die Frage nach dem Verhältnis von Oberfläche und Begriff, Farbe und Politik, als auch die politischen, juristischen oder psychoanalytischen Dimensionen der jeweiligen Begriffe selbst.
»Was Quaero bereits mit seinem lateinischen Namen repräsentiert, ist die Melancholie Europas – die Unmöglichkeit, eine kollektive Erfahrung zu finden, ein lebendiges und bedeutungsvolles Symbol für Europa als eine territoriale Einheit. In that sense, Quaero’s mission statement could be: ›Searching for Europe‹.« Quaero als Projekt scheiterte recht bald an unvereinbaren ökonomischen und politischen Interessen der beteiligten Konsortien. Die Etappen, in denen Metahaven das Quaero-Logo entwickelten und sich gerade nicht parasitär am Google-Schriftzug orientierten, und die Chronik des Scheiterns – all das haben Metahaven sorgfältig recherchiert, rekonstruiert und ausführlich dokumentiert und wiederum genau das produktiv gemacht, was verloren scheint: »Quaero’s ›lost image‹ is what Metahaven proposes to create from scratch.«
Metahaven beginnt mit einer neuen Suche: »Quaero Uncorporate & Virtual Territories, Real Borders« lautet ihr neues Motto. Sie suchen Rat in der Theorie und besuchen Etienne Balibar: »Es scheint, Quaero bringe territoriale Ambitionen und alte Antagonismen (Europa vs. Vereinigte Staaten) in einen virtuellen Bereich, der gleichzeitig zum politischen Raum wird und zu einer Arena, die unerbittlich mit kommerzieller Vorherrschaft aufgeladen wird.« Balibar antwortet nicht, sondern stellt Gegenfragen. Was »Territory« in diesem Zusammenhang eigentlich genau bedeute, und was Handeln im virtuellen Raum.
Metahaven treiben ihre Suche in verschiedene Stoßrichtungen voran, in philosophische, technische, politische wie auch ästhetische, und unterstreichen das Splitterhafte ihrer divergierenden Ergebnisse, das übereinander und parallel Stattfindende mithilfe auseinanderstrebender Fenster ihrer Webseite. Nicht auf den ersten Blick und nicht in der Mitte, sondern erst nach etwas Suchen offenbart sich dann ein reichhaltiger Fundus. Dieser vielfältige und sich vervielfältigende Ansatz spiegelt sich letztlich auch in der Liste der geladenen ExpertInnen. Was sich als roter Faden durch die Konferenz zieht und die Debatte auf politischer Ebene verschärft, ist die Frage nach realen, imaginären und symbolischen Grenzziehungen. Wenn Richard Rogers die rhetorische Frage stellt: »Do search engines have politics?«, fragt er letztlich nach der Limitierung der Sichtbarkeit und der Politik des Sichtbarmachens, die er am Beispiel ausgewählter Seiten, die er seit Jahren im Google-Ranking verfolgt und mithilfe zahlreicher Grafiken und Tabellen durchexerziert. Florian Cramer operiert jenseits der Oberfläche. In »Animals that Belong to the Emperor« spannt er den Bogen von der Renaissance bis zum so genannten Web 2.0, um die europäische Sehnsucht nach universellen Klassifikationssystemen sowie deren Scheitern aufzuzeigen. Der »Microsoft Resident Fellow« Michael Zimmer von der Yale Law School hingegen wirft Horrorszenarien von Überwachung und Kontrolle an die Wand, um aufzuzeigen, wie sich die Grenzen zwischen öffentlich und privat verschieben und verwischen. An der komischen Aufblähung des Privaten innerhalb und durch die Blogosphären setzt wiederum Jodi Dean an. Blogs sind für sie eine Technologie, um verteilte, dezentrierte Subjektivitäten zu managen, der Ängste, die ein unstrukturierter, chaotischer Informationsraum auslöst, anstatt durch die scheinbar unschuldige, algorithmisch sortierte Ergebnisliste einer Suchmaschine nun mithilfe von individualisierten und personalisierten Wegweisern Herr zu werden. Florian Schneider hingegen stellt die Analogie auf zwischen einer auf angeblichen europäischen Identität basierenden und innerhalb ihrer Grenzen operierenden Suchmaschine und einem postmodernen Grenzregime, das vorgibt, Migrationsbewegungen »managen« zu können.
Alles schien gesagt, jeder mögliche Spielraum hatte einen Haken, gleichzeitig wollte sich niemand mit Jammern oder dem Stand der Dinge zufriedengeben, geschweige denn Alternativen und neue Projekte entwickeln, bei denen schon jetzt absehbar ist, dass sie früher oder später an denselben Problemen scheitern werden.
In seinem Abschlussbeitrag versuchte Schneider das »Politische« vor dem Hintergrund ebensolcher Ausweglosigkeit zu verorten. Paolo Virno zitierend schlug er vor, die Frage nach Quaero, die Klage über den kalifornischen Google-Golem und die ganze Rede von den Versuchungen der Suchmaschinen doch einfach hinter sich zu lassen: »Exodus means, more than taking power or subduing it, exiting. Exiting means constituting a distinct context, new experiences of non-representative democracy, new modes of production.«
»Exodus« ist nun Motto und Arbeitstitel eines Folgeprojektes, bei dem es darum gehen soll, Architektur, Design und Funktionalitäten eines auf offenen Quellcodes, transparenten Algorithmen und Peer-to-Peer-Technologie basierenden Suchmaschinenprojektes auszuloten. Zusammen mit »Open Search« wurde mittlerweile ein vielversprechender Ansatz initiiert. Es ging um ein Projekt, das sowohl auf langjähriges und oft nur schwer zu vermittelndes Expertenwissen von Pionieren aufbauen kann, aber das Prinzip der Dezentralität nicht nur als technologische Grundlage begreift, sondern vielmehr als Bauprinzip, das die verschiedensten partikularen Interessen von Archiven, Bibliotheken, Magazinen, Web-Projekten eben nicht unter einem Business-Plan zu verallgemeinern versucht, sondern in ihrer jeweiligen medialen Besonderheit zu begreifen und darüber hinaus, sozusagen »postmedial«, produktiv zu machen.
http://www.metahaven.net
Das Forum zu Quaero fand von 29. bis 30. September 2007 and der Jan van Eyck Akademie in Maastricht statt. Teilgenommen haben unter anderem:
Florian Cramer (gopher://cramer.plaintext.cc), Jodi Dean (http://jdeanicite.typepad.com), Ingmar Weber (http://www.ingmarweber.de), Bureau d’Études (http://bureaudetudes.free.fr), Tsila Hassine (http://www.missdata.org), Open Search (http://open-search.net/), Michael Zimmer (http://michaelzimmer.org), Richard Rogers, Florian Schneider (http://kein.org), Maurits de Bruijn (www.mauritsdebruijn.nl), Sabine Niederer (http://www.niederer.info) und André Nusselder.