Florenz. »Emotionen« galten einst als unüberwindlicher Unterschied zwischen Mensch und Maschine. Man dachte, dass Maschinen höchstens in der fernen Zukunft mit Gefühlen versehen werden könnten, wie es gewöhnlich von Science-Fiction-Schriftstellern vorgestellt wird. Doch setzte sich diese anthropomorphe Haltung weder bei der Hardware noch in der Software durch. Wenn man sich jedoch genauer ansieht, was heute geschieht, so erkennen wir nicht selten, dass Emotionen von Maschinen nachvollzogen, übermittelt und vermittelt werden, und dass die zeitgenössische Kunst voll von (vorderhand) gefühlsgeleiteten Arbeiten ist.
Das neue CCCS (Centre For Contemporary Culture La Strozzina) in Florenz wurde Ende November mit der Ausstellung »Emotional Systems, Contemporary Art Between Emotion and Reason« eröffnet. Dieses anspruchvolle Thema zielt auf ein ungelöstes Problem bei der Schaffung und Wahrnehmung eines Kunstwerks, nämlich das Verhältnis zwischen der Intention des Künstlers oder der Künstlerin, etwas Bestimmtes im Bewusstsein des Publikums auszulösen, und dem tatsächlichen Erleben des Publikums. Dieses Problem wird u.a. sogar in neurologischer Perspektive beleuchtet. Kuratiert haben Martin Steinhoff und Franziska Nori, die in den letzten Jahren bereits Meilensteine wie »I Love You« oder »adonnam.mp3« gestaltet hat und unlängst zur Programmleiterin des CCCS ernannt wurde. Ganz nach Noris bisherigem kuratorischen Stil soll die Ausstellung keine reine »Ausstellung« für KunstkennerInnen sein. Also wurde nicht nur ein Vermittlungsprogramm organisiert, sondern auch eine Vortrags- und Performancereihe veranstaltet, sowie ein Katalog mit einer guten Auswahl von Theorien und Essays zum Thema gedruckt.
Unter den ausgestellten Arbeiten, die in einem schwarz verdunkelten Raum gezeigt werden, befindet sich die verblüffende Videoinstallation »Observance« von Bill Viola, die wohl jede/n, die/der in seinem/ihrem Leben schon einen großen Verlust erleiden musste, mit einem natürlichen Gefühl der Empathie zu berühren vermag. Christian Nold misst in »Emotional Mapping« den Hautwiderstand von Personen, die durch die Stadt spazieren, stellt die Daten dann mit Programmen wie Google Maps dar und zeichnet so einen kollektiven unbewussten Stadtplan. Yves Netzhammer präsentiert die Arbeit »The Subjectivisation of Repetition«, bei der im von ihm gewohntem Stil abstrakte dreidimensionale Körper von Menschen andere bekannte oder abstrakte Formen behandeln, verändern oder sich mit ihnen zu einer kontinuierlichen und eindrucksvollen Bewegung verbinden. »Mechanics of Emotions« von Maurice Benayoun verbindet Internetsuchergebnisse mit ihrer geographischen Herkunft und stellt dann den Gefühlszustand des Benutzers oder der Benutzerin auf einer dreidimensionalen Weltkarte dar, die aus in Echtzeit visualisierten Worten besteht und sich wie eine endlose und auf abstrakte Weise intime Nachrichtensendung ausmacht. »Air/Aire« von Teresa Margolles wiederum spielt mit der Vieldeutigkeit von Gegenständen. Sie zeigt, wie diese Gegenstände in unterschiedlichen Kontexten wahrgenommen werden. Margolles verwendet eine Klimaanlage und Wasserdampf, der zuvor in der städtischen Leichenhalle Mexico-Citys zum Waschen anonymer Leichen vor der Autopsie benutzt wurde. Die beim Publikum erzeugte Wachsamkeit wird so zum unumgehbaren Teil des Werks.
Katharina Grosses unbetitelte Arbeit verbindet bunt bemalte und findig beleuchtete Rohmaterialien mit dem architektonischen Raum zu einer Farbvision, die plötzlich ihre Raumkoordinaten und die Farbwahrnehmung verändert. Die Arbeiten von William Kentridge und den drei italienischen DichterInnen (Elisa Biagini, Antonella Anedda und Valerio Magrelli) schließlich gehören dem persönlichen/universellen Reich an. Kentridge formuliert seine Episoden aus der Zeit der Apartheid in Südafrika mit einer zeichnerischen Videoanimation, die die ambivalente Dimension des Themas einfängt. Letztere schrieben Lyrik auf die Wände und zeigen damit einen gangbaren Weg, Emotionen durch das geschriebene Wort auszudrücken. Schließlich gab es noch eine Arbeit von Andrea Ferrara (a.k.a. Ongakuaw), bei der die Gehirntätigkeit der BesucherInnen in Reaktion auf Aufnahmen von Bäumen am Arno gemessen wurde, die der Künstler vergangenes Jahr angefertigt hat. Die Messungen wurden danach in Töne umgesetzt und abgespielt. Hier werden Gefühle durch ihren elektrochemischen Aspekt vermittelt, was genug Platz für die Phantasie lässt.
Kann also die Kunst tatsächlich Variationen des Blutdrucks erzeugen, den Bewusstseinszustand ändern, plötzlich Erinnerungen aus der Vergangenheit abrufen oder Licht wie Schatten in unsere Alltagswahrnehmung bringen? Besuchen Sie diese Ausstellung und stellen Sie sich diese Fragen dann noch einmal.
Übersetzt von Thomas Raab