Heft 2/2008 - Netzteil
Folgt man der Transmediale 2008, dann hat die Idee der »Verschwörung« zweifellos viele Facetten. Einer ihrer Aspekte bezieht sich auf den sozialen Gebrauch von Techniken, wonach heute kleine Gruppen cleverer Leute einen substantiellen Unterschied in der Beziehungsökonomie ausmachen können. »Sozial« ist allerdings eines der am meisten verschlissenen Worte in der Debatte um Technologieentwicklung und deren Marketing: Sowohl theoretische Analysen als auch die PR-Abteilungen von Unternehmen gehen immer davon aus, dass neue Technik »sozialen« Status, Engagement und sogar bereits erzielte Verbesserungen ein weiteres Mal verbessert. Doch wenn Marketingleute Technologie bewerben, bedeutet »sozial« nicht mehr als »Massenmarkt«. Ein Großteil der Gesellschaft verwendet bzw. »erleidet« bisweilen neue Techniken, deren »sozialen« Merkmale durch die kapitalistische Agenda vorgegeben werden. Wie reagieren nun KünstlerInnen auf diese Entwicklung, bei der die Massen mit radikalen Ideen bewaffnet werden, wie man soziale Techniken betrachten oder nutzen kann (und sich schließlich demgemäß verhalten)?
Aufmerksam machen
Will man sich gegen die Propaganda von Unternehmen stellen, muss man damit beginnen, die eigene Umwelt und ihre unsichtbaren Datenübertragungen und deren Regeln aufmerksam zu beobachten. Die Allgegenwärtigkeit und gleichzeitige Unsichtbarkeit von Computernetzwerken ist eine Tatsache, die man zum Beispiel beim Telefonieren mit dem Handy kaum wahrnimmt. Doch lässt sich der Mythos, wonach große Bandbreiten überall auf der Welt verfügbar sein sollen, zu einer umfassenden virtuellen Welt erweitern, die die gesamte materielle Realität umfasst, sie verdoppelt und bis zur Unendlichkeit verzerrt. Vielleicht ist »Constraint City: The Pain of Everyday Life«1 von den Gefahren einer solchen Zukunft inspiriert. Es handelt sich dabei um die wohl visionärste Arbeit des jungen Gordan Savicic. Sie besteht aus einer drahtlos vernetzten Nintendo DS Lite Konsole (unter Linux), die Signalstärken von WLAN-Zugängen ortet und misst und proportional zu diesen Messwerten über Servomotoren eine Jacke enger zieht. Wer diese Jacke anhat, wird dadurch passiv in ein sadomasochistisches Spiel verwickelt, in dem er/sie zum/zur Bestraften (Sklave oder Sklavin) wird und die WLAN-Signale die dominante Rolle (der gesichtlose Meister) übernehmen. Es wird eine metaphorisch und bisweilen auch physisch schmerzvolle Beziehung hergestellt. Das Risiko, fast zu ersticken, macht uns auf dramatische Weise auf die umfassende Kommunikationsinfrastruktur im Stadtraum aufmerksam. Sie verändert unsere Perspektive auf die Techniken, die wir als Stadtmenschen dauernd verwenden. Und so gewann Savicics Projekt beim Transmediale Award 2008 den dritten Preis.
Gegenmaßnahmen
Man kann an der Allgegenwärtigkeit von Technik ersticken, aber auch an der Zensur. China ist das erste Land, das effektiv schaffte, was InternetaktivistInnen für unmöglich hielten, nämlich das Internet zu zensieren. Noch packender (und dramatischer) aber ist, dass die Mechanismen dieser Zensur – die verwendete Infrastruktur und die Anzahl der an ihr beteiligten Leute – völlig unbekannt sind. Jedenfalls ist sie ungeheuer wirksam und stellt damit selbst die Hochtechnologie des Westens in den Schatten. Während der Anfangsphase der Zensurmaßnahmen reichten noch einige einfache Tricks aus, um sie zu umgehen. Heute aber gibt man auf, sie mit Worten zu bekämpfen, da deren Wirkung zu berechenbar geworden ist. Deswegen hat das schweizerisch-deutsche Duo Christoph Wachter und Mathias Jud mit »Picidae.net«2 einen Hackerangriff auf die so genannte große chinesische Firewall entworfen und implementiert. Ihr Tool zur Freistellung von Information basiert auf einem einfachen aber findigen Konzept: Webpages werden in Bilddateien transformiert, wobei deren Link-Struktur erhalten bleibt. Diese Transformation findet auf ein paar Servern in China und Europa statt. Außer der Programmierleistung besteht die Herausforderung bei diesem Projekt darin, Daten als fließendes Material aufzufassen und nicht als gedruckte Seite oder als Bildfolge (das heißt als Film), die jeweils leicht zu zensieren sind. Daten bestehen aus einem Konglomerat von Informationen, das nach Belieben in bekannte und doch unbekannte abstrakte Darstellungen umgeformt werden kann. Das Projekt gewann 25.000 Schweizer Franken vom Migros Kulturprozent sowie eine lobende Erwähnung beim Transmediale Award 2008.
Rache
Zensur vonseiten der Regierung trifft alle BürgerInnen. Aber auch die Freiheit kann ihre Haken haben. Bei Spams zum Beispiel handelt es sich um die extremen Folgen der Meinungsfreiheit. Gnadenlos nutzen sie die E-Mailboxen von privaten InternetnutzerInnen, die mit riesigen Mengen unerwünschter Werbe- (oder anderer geldbezogener) Reize zugeschüttet werden. Die nicht aufhaltbaren Massen von Spams führen zu immer mehr Rachegelüsten gegen die anonymen, unsichtbaren und unerreichbaren Spammer. »PleaseSpamUs«3 von Jonah Brucker-Cohen ist eines der Kunstprojekte zum Phänomen Spam. Es kümmert sich auf kreative Weise um die Gefühle der ausgenutzten UserInnen. Dabei handelt es sich um ein »gemeinschaftliches Filterprojekt mit Voting-System im Internet, bei dem man URLs angeben kann, die Spammer und deren infame Spam-Programme anlocken sollen. Mit dem Öffentlichmachen einer E-Mail-Adresse nach sozialem »Urteil« kann man »soziale Netzwerke« nutzen, und zwar nicht um die neuesten Dotcom-Hypes und Geldflüsse zu bewerben, sondern um in einem öffentlichen und bisweilen wohl gesonnenen Umfeld die eigene Frustration loszuwerden. Wie die bereits erwähnten Projekte handelt es sich um eine Form der Verschwörung gegen einen gemeinsamen Feind, die nicht abstrakt, sondern greifbar vollzogen wird. Brucker-Cohens Projekt wurde auf der Transmediale in der Lounge gezeigt.
Schlussfolgerungen
Nach dieser Transmediale kann man das Wort »Verschwörung« wohl insofern neu formulieren, als seine alten »finsteren« und elitistischen Attribute durch soziale und öffentliche ersetzbar geworden sind. Dies wurde durch Netzwerke und gemeinschaftlich nutzbare Tools möglich. Während »Verschwörung« ehedem eine Zusammenarbeit auf höchster und obskurster Ebene bedeutete, besteht sie seit der Einführung des Internets aus demokratischen Strategien und Aktionen, die den offenbar unvermeidlichen Status quo unterlaufen. Der Geist ist zwar derselbe (»Kampf einer kleinen Gruppe oder Avantgarde für Veränderungen der Realität«), doch die Ergebnisse können auf politischer, wenn auch nicht unbedingt globaler Ebene greifen. Ideen entstehen eben dadurch, dass sie sich gegen die Realität verschwören.
Übersetzt von Thomas Raab